Dienstag, November 26

Er galt als Prototyp des Latin Lover, als Verkörperung von Bellezza und lässiger Eleganz: Marcello Mastroianni hat Filmgeschichte geschrieben. Auf seine eigene, feine Art.

Er mochte sein Äusseres nicht. Das hat er jedenfalls behauptet: dünne Arme, dürre Beine, zu kurze Nase. Lippen wie Jean Gabin hätte er sich gewünscht, sagte Marcello Mastroianni einmal, und eine markante Adlernase. Aber bei ihm wusste man nie so ganz, woran man war. Jedenfalls wenn er über sich selbst sprach. In Interviews gab er manchmal Geschichten zum Besten, bei denen man den Eindruck hatte, er habe sie nur erzählt, um zu sehen, ob sie jemand glaubt.

Zum Beispiel die, wie er auf einer Reise im Flugzeug mit einer Frau geflirtet habe, die sich entsetzt von ihm abwendete, als am Zoll sein Gepäck kontrolliert wurde: im Koffer lag eine Vorratsdose mit dem von seiner Mutter zubereiteten Lieblingsessen. Dass er ab und zu im Autobus durch Rom gefahren sei, um zu sehen, ob die Leute ihn erkennen. Oder dass er viel zu faul gewesen sei, um bis ins Detail an seinen Rollen zu arbeiten. Er habe sich die Drehbücher ein paar Tage lang angeschaut, ja. Aber das habe dann genügen müssen.

Das erzählte er mit sanfter Stimme, einem leicht verlegenen Lächeln, das sprachlos macht, und dem treuherzigen Blick dessen, der weiss, dass man ihm fast alles verzeiht. Seit den sechziger Jahren galt Mastroianni als der schönste Mann des italienischen Kinos, «un gran bell’uomo». Das war ihm bewusst. Und er genoss es. Leicht wütend reagierte er allerdings, wenn er als Latin Lover bezeichnet wurde. Das sei lächerlich. Ein Etikett, das ihm die Amerikaner 1960 umgehängt hätten, als «La dolce vita» in die Kinos kam. Nun bringe er es nicht mehr los.

«Marcello, come here!»

Fellinis rauschhafter Film über den römischen Klatschreporter Marcello, der die Tage auf der Jagd nach Promis verbringt und sich die Nächte in Nachtklubs, Bars und den Betten wechselnder Frauenbekanntschaften um die Ohren schlägt, war Mastroiannis Durchbruch. Wie er in den frühen Morgenstunden im perfekt sitzenden Abendanzug mit Anita Ekberg durch die Fontana di Trevi watet – das wurde zu einer ikonischen Szene des italienischen Kinos, ja des Films überhaupt.

Marcello Mastroianni wurde am 28. September 1924 als Sohn eines Kunstschreiners in einem kleinen Dorf in Latium geboren. Er wollte Architekt werden und spielte in einer Studententheatergruppe mit. Dort wurde er entdeckt, von einem der Grossen des italienischen Theaters: Luchino Visconti. Der holte ihn 1948 in sein Ensemble und bot ihm schon bald grössere Rollen an, in Stücken von Tennessee Williams oder Arthur Miller.

Fellini, in allen Variationen

Visconti war es auch, der ihm einige Jahre später die erste grosse Filmrolle anvertraute. In der Dostojewski-Verfilmung «Le notti bianche» spielte Mastroianni 1957 einen jungen Mann, der eine Frau (Maria Schell) in einer düsteren, pittoresk versifften Kulissenstadt von der unglücklichen Liebe zu ihrem abwesenden Geliebten abzubringen versuchte. Erfolglos. Der Film gewann in Venedig den silbernen Löwen.

C'était quoi Marcello Mastroianni ? - Blow Up - ARTE

Dann kam das erste Treffen mit Federico Fellini, der einen Hauptdarsteller für «La dolce vita» suchte. Mastroianni wollte das Drehbuch lesen. Fellini habe ihm einen Zettel mit einer Zeichnung in die Hand gedrückt. «Darauf war das Meer zu sehen», erinnerte sich Mastroianni später, «und im Meer war ein riesengrosses männliches Geschlecht, das bis auf den Meeresgrund reichte und von Seepferdchen, Seesternen und Sirenen umgeben war.» Seit diesem Tag habe er nie mehr ein Drehbuch verlangt.

Eine leere Schachtel

Mastroianni wurde zum Alter Ego des Regisseurs. In «La dolce vita» liess Fellini ihn durch die Ausschweifungen der römischen Hautevolee flanieren, in «Otto e mezzo» (1963) trieb er ihn in die Albträume eines Künstlers in der Schaffenskrise, in «Città delle donne» (1980) durch die sexuellen Obsessionen eines alternden Schürzenjägers. In «Ginger e Fred» (1986) inszenierte er einen sarkastischen Abgesang auf die Glitzerwelt des Revuetheaters, und in «Intervista» (1987) liess er die Fontana-di-Trevi-Szene noch einmal aufleben: als Zaubertrick eines Magiers, der die besten Zeiten seiner Karriere lange hinter sich hat.

Die Zusammenarbeit mit Fellini wurde zu einem grossen Moment des Films. In Mastroiannis Schaffen nehmen die Filme, die er mit Fellini drehte, allerdings nur einen kleinen Raum ein. Er war ein Schwerarbeiter, der rastlos von einem Dreh zum anderen eilte. Manchmal spielte er in bis zu vier Filmen im Jahr. Etwas anderes konnte er sich nicht vorstellen. Ein Schauspieler sei eine leere Schachtel, sagte er einmal, die immer wieder gefüllt werden müsse, bis zum Rand.

In rund fünfzig Jahren drehte Mastroianni mehr als hundertsechzig Filme, mit grossen Regisseuren von Michelangelo Antonioni, Louis Malle, Nikita Michalkow und Ettore Scola bis zu Raoul Ruiz. Für dessen «Trois vies et une seule mort» stand er 1996, bereits schwer krank, ein letztes Mal vor der Kamera. Wenige Monate später, im Dezember 1996 starb Mastroianni an einer Krebserkrankung. Er hatte mit den grossen Schauspielern und vor allem Schauspielerinnen gespielt, mit Romy Schneider, Claudia Cardinale, Brigitte Bardot und Sophia Loren. In Komödien wie «Matrimonio all’italiana» etablierten sich die beiden in den sechziger Jahren als Traumpaar des italienischen Films.

«Entschuldige, so bin ich bin halt!»

Aus einer Zusammenarbeit konnte bei Mastroianni auch mehr werden. So sehr er sich gegen das Image des Latin Lover verwahrte: In seinem Privatleben reihten sich die Liebschaften zu einer beeindruckend langen Folge. Seine Frau Flora, mit der er ab 1948 bis zu seinem Tod verheiratet war, arrangierte sich damit. Mastroianni tat sich keinen Zwang an. Aus der Beziehung mit Catherine Deneuve, der die Schauspielerin Chiara Mastroianni entstammt, machte Mastroianni nie ein Geheimnis.

Marcello Mastroianni hat auch komische Rollen gespielt. Aber selbst dann blieb er der elegante, zurückhaltende, leicht melancholische Charmeur. Das Ideal des Italieners, die Verkörperung von Bellezza und lässiger Eleganz. Und immer war ein Hauch Schüchternheit zu spüren. Da stand ein Mensch, der sich selbst nie ganz traut. Es gibt Kritiker, die sagen, Mastroianni habe immer nur sich selbst gespielt. Den verletzlichen Macho mit den traurigen Augen, der sagt «Schau, hier bin ich!» Aber zugleich zu sagen scheint: «Entschuldige, so bin ich halt!»

Diese Kritik verkennt, wie präzis Mastroianni spielen konnte. In einer seiner schönsten Rollen, in Ettore Scolas «Che ora è?» (1989), spielt er einen Vater, der seinen erwachsenen Sohn besucht. Die beiden haben sich lange nicht gesehen, es verbindet sie kaum noch etwas miteinander. In einer Szene sitzen sie in einer Bar, schweigend. Eine junge Frau geht zur Jukebox, schaut zu ihnen hinüber. Der Vater betrachtet sie, mit einem Blick, in dem die ganze Trauer über die Jahre liegt, die sie trennen. Der Sohn ertappt ihn, beide lächeln verlegen. Das Ganze dauert nur ein paar Sekunden. Man vergisst es nie.

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