Mit einer brutalen Repressionswelle verteidigt Nicolás Maduro seinen gefälschten Wahlsieg. Im Visier steht vor allem die liberale Oppositionsführerin. Doch diese gibt nicht auf.
Es gibt kaum Zweifel, dass María Corina Machado bei freien und fairen Wahlen in Venezuela am 28. Juni zur neuen Präsidentin des Landes gewählt worden wäre – wenn der Diktator Nicolás Maduro sie hätte antreten lassen. Doch wenige Tage nach dem Urnengang musste die unerschrockene Politikerin aus Sicherheitsgründen untertauchen, nachdem es ihr gelungen war, das Regime in bisher nie da gewesenem Ausmass herauszufordern.
Wie sie selbst in einem im «Wall Street Journal» am 1. August veröffentlichten Brief aus einem Versteck mitteilte, fürchtet sie nun um ihr Leben, ihre Freiheit und die Freiheit ihrer Landsleute angesichts der Repression durch die Diktatur von Maduro. Über zweitausend ihrer Anhänger wurden bereits verhaftet, sechs ihrer wichtigsten Berater mussten in die argentinische Botschaft flüchten.
Maduro reklamiert weiterhin einen Wahlsieg mit 51 Prozent der Stimmen für sich, ohne dass er fast zwei Wochen nach der Wahl die detaillierten Resultate der einzelnen Wahlbüros veröffentlicht hat. Er gibt vor, ein Cyberangriff aus Nordmazedonien habe dies verunmöglicht.
Die Opposition hingegen hat etwa 80 Prozent der am Wahltag gesammelten Resultatblätter der elektronischen Wahlmaschinen öffentlich gemacht. Die «Washington Post» hat die mehr als 23 000 Kontrollzettel überprüft und kam zu dem Schluss, dass der Oppositionskandidat Edmundo González aller Wahrscheinlichkeit nach mehr als doppelt so viele Stimmen erhalten hat wie Maduro, wobei sich nur etwa 30 Prozent der Wählenden für den Diktator ausgesprochen haben dürften. Zu einem ähnlichen Resultat kam auch die «New York Times».
Machado hat geschworen, trotz der Repression den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten. «Wir werden uns nicht von der Angst lähmen lassen, wir werden sie überwinden, wie wir es bisher getan haben, und wir werden die Strassen nicht verlassen», sagte Machado in einer am Dienstag veröffentlichten Audiobotschaft. Doch wer ist diese couragierte Frau?
Eine Vertreterin der Oberschicht
María Corina Machado wurde 1967 in Caracas als Tochter des Stahlindustriellen Henrique Machado und der Psychologin Corina Parisca geboren. Sie studierte Wirtschaftsingenieurswesen an der katholischen Universität in der Hauptstadt und machte anschliessend ein Nachdiplomstudium in Yale. Für Hugo Chávez, den Begründer des linkspopulistischen Regimes in Venezuela, war sie damit eine klassische Vertreterin der «parasitären Bourgeoisie». Der 2013 verstorbene Oberstleutnant hatte sich wohl kaum gedacht, dass ausgerechnet Machado dereinst eine Schlüsselrolle dabei spielen werde, die verarmten Anhänger seiner Diktatur gegen seine Revolution zu mobilisieren.
Machado trat vor gut zwanzig Jahren in die Politik ein, aus Protest gegen die Verstaatlichung des Unternehmens ihres Vaters durch Chávez. 2002 war sie Mitbegründerin von Súmate, einer Nichtregierungsorganisation, welche sich die Förderung der freien Ausübung der politischen Rechte der Bürger zum Ziel gesetzt hat. 2010 wurde sie mit der höchsten Stimmenzahl als Abgeordnete ins nationale Parlament gewählt. Landesweit berühmt geworden ist sie 2012, als sie Chávez im Parlament während einer Regierungserklärung vor laufender Kamera unterbrach und den Präsidenten wegen seiner Enteignungspolitik als Dieb bezeichnete.
Zwei Jahre später wurde Machado aus dem Parlament ausgeschlossen, nachdem sie vor der Organisation Amerikanischer Staaten gegen die venezolanische Regierung ausgesagt hatte. Im gleichen Jahr war sie eine der Organisatoren von monatelangen Strassenprotesten der Opposition, die von Maduro aber schliesslich brutal niedergeschlagen wurden. Beim Internationalen Strafgerichtshof ist deshalb ein Verfahren gegen den Präsidenten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hängig. Im Jahr darauf wurde Machado vom Maduro-Regime für fünfzehn Jahre für alle öffentlichen Ämter gesperrt – angeblich wegen Auslassungen in ihrer Vermögensdeklaration, was allerdings von unabhängigen Stellen als rein politisch motiviert kritisiert wurde.
Liberales politisches Programm
Machado vertritt sowohl in wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht ein liberales Programm. Sie tritt für eine freie Marktwirtschaft und die Reprivatisierung der verstaatlichten Unternehmen ein, einschliesslich des Erdölsektors. Ausserdem verlangt sie die Wiederherstellung der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Garantien zur Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen. Damit will sie die Armut bekämpfen und die Mittelschicht fördern. Als ihre intellektuellen Vorbilder bezeichnete sie in der Vergangenheit die liberalen Ökonomen Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises.
In gesellschaftlicher Hinsicht hat sie sich für die Homo-Ehe ausgesprochen. Ausserdem würde sie auch eine Lockerung des Abtreibungsverbots und die Möglichkeit der Sterbehilfe in gewissen Fällen unterstützen.
Aufstieg zur Oppositionsführerin
Machado stand lange im Schatten von gemässigteren Oppositionspolitikern. Doch mit der zunehmenden Frustration der Venezolaner über die Ausweglosigkeit des Maduro-Regimes kam bei den diesjährigen Wahlen ihr Moment.
Die geschiedene Mutter von drei Kindern erlangte grosse Popularität, weil sie trotz allen Bedrohungen im Land geblieben war, selbst als sie ihre Kinder zur Sicherheit ins Ausland schicken musste. Bei den Vorwahlen der Opposition im vergangenen Oktober, an denen 2,3 Millionen Wähler teilnahmen, wurde sie mit 92 Prozent der Stimmen überwältigend zur Kandidatin der Opposition bestimmt.
Als das Regime sich weigerte, sie als Präsidentschaftskandidatin zu registrieren, verzichtete sie uneigennützig und unterstützte stattdessen mit vollem Einsatz den Ersatzkandidaten Edmundo González. Die für ihre feurigen Reden und ihre Fähigkeit, Massen zu mobilisieren, bekannte Machado führte einen monatelangen unermüdlichen Wahlkampf für den 75-jährigen González und schaffte es damit, die Stimmen vieler ehemaliger Maduro-Anhänger zu gewinnen.
Anfang letzter Woche gab der venezolanische Generalstaatsanwalt, ein enger Verbündeter von Maduro, eine Untersuchung gegen Machado wegen Anstiftung zum Aufstand bekannt. Die Oppositionsführerin hatte zuvor die Sicherheitskräfte dazu aufgerufen, die Befehle zur Repression gegen das Volk zu ignorieren. Bisher hat sich Maduro nicht getraut, Machado zu verhaften, ganz im Gegensatz zu zahlreichen weniger prominenten Oppositionellen.
Eine Verhaftung von Machado würde diese erst recht zur Märtyrerin und zum Vorbild für die Opposition machen. Sollte Maduro dies dennoch riskieren, würde das zeigen, als wie unsicher er seine eigene Position nach den gefälschten Wahlen einschätzt.

