Dienstag, November 26

Frankreichs Minderheitsregierung ist keine drei Monate im Amt. Bisher wurde sie vom rechten Rassemblement national geduldet. Aber Marine Le Pen scheint sich keinen Nutzen mehr davon zu versprechen.

Für Marine Le Pen geht es in diesen Tagen um nicht weniger als um ihr politisches Überleben. Frankreichs rechte Oppositionsführerin könnte tatsächlich, wenn es schlecht für sie läuft, in einigen Wochen ins Gefängnis gehen und müsste dann ihre Träume von der Präsidentschaft im Jahr 2027 begraben.

Fünf Jahre Haft hatte die Staatsanwaltschaft Mitte November für sie gefordert, davon drei auf Bewährung, und dazu eine fünfjährige Sperre für alle Spitzenämter. Der Vorwurf in dem brisanten Prozess vor einem Pariser Gericht gegen Le Pen und ihre Partei lautet, über Jahre Assistenten im EU-Parlament nur zum Schein beschäftigt zu haben. Knapp sieben Millionen an europäischen Steuergeldern sollen so veruntreut worden sein.

Flucht nach vorn

Vollführt die langjährige Chefin des Rassemblement national (RN) deswegen die Flucht nach vorne? Nach einem Treffen mit dem französischen Premierminister Michel Barnier sah man Le Pen am Montagmorgen fast schon vergnügt. Es ging um den umstrittenen Haushaltsentwurf, den Barnier im Oktober eingebracht hatte und der von der linken Opposition ebenso wie von den Rechtsnationalisten heftig abgelehnt wird. Barnier hatte Le Pen zu einem gemeinsamen Treffen ins Hotel Matignon eingeladen, und im Anschluss daran bekräftigte diese unverblümt ihre Bereitschaft, Barnier fallenzulassen.

Sollte die französische Regierung ihren Haushaltsplan 2025 so verabschieden wollen, wie er gerade vorliegt, so sagte Le Pen der Presse, werde ihre Partei ein Misstrauensvotum gegen den Premierminister und sein Kabinett unterstützen. Schon das Linksbündnis hatte einen solchen Misstrauensantrag gegen die Regierung eingelegt. Bisher fehlte dem Bündnis aber die dazu nötige Mehrheit. Zusammen mit den Rechten würde es reichen.

Der Premierminister habe seine Position wiederholt und sie habe ebenfalls auf ihre «roten Linien» hingewiesen, sagte Le Pen nach dem Treffen. Zu den Massnahmen, die das RN nicht hinnehmen will, zählten eine Steuererhöhung auf Strom, eine Neuberechnung der Renten und das Ende der Finanzierung verschiedener Medikamente.

Barniers Minderheitsregierung konnte sich bisher, nicht zuletzt wegen einer verschärften Einwanderungspolitik, auf die Duldung des RN verlassen. Doch beim Haushalt stösst der Premierminister an seine Grenzen, weil sein Mix aus staatlichen Ausgabensenkungen und Steuererhöhungen auf den vereinten Widerstand von links und rechts stösst.

Barnier wird deswegen wohl den sogenannten Verfassungsartikel 49.3 nutzen, mit dem er den Haushalt ohne Abstimmung im Parlament verabschieden könnte. Noch debattiert der Senat über den Entwurf, am 12. Dezember wird dann erneut abgestimmt. Die Nationalversammlung hatte die Gesetze in ihrer aktuellen Form bereits abgelehnt. Als Stichtag für die Verabschiedung des Haushalts auf Basis des Artikels 49.3 gilt der 18. Dezember. Zwei Tage später könnte dann der Misstrauensantrag erfolgen – mit Unterstützung Le Pens.

Unruhe könnte Le Pen nutzen

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Prozess gegen die RN-Chefin und dem drohenden Sturz der Regierung? Bisher, erklärt der französische Politologe Olivier Costa, sei es die Linke gewesen, die sich um ihren Wahlsieg im Juli betrogen sah und die ungeliebte Koalition aus Macronisten und Konservativen unbedingt zu Fall bringen wollte. Nun aber drohe diese Gefahr zum ersten Mal von rechts, und das habe nicht allein damit zu tun, dass sich die Lepenisten als Vertreter der «kleinen Leute» über einige der drohenden Einsparungen empörten.

In Wahrheit, so Costa, sei Le Pen auch unzufrieden, weil sie ihrer Meinung nach bisher zu wenig politischen Nutzen aus der Tolerierung Barniers gezogen habe. Und schliesslich könne die Unruhe Le Pen auch helfen, von dem Verfahren gegen sie abzulenken: «Wenn die Barnier-Regierung stürzt, wird sich niemand um den Prozess gegen Le Pen und die parlamentarischen Assistenten kümmern.»

Laut einer aktuellen Umfrage unterstützen 53 Prozent der Franzosen einen Misstrauensantrag, unter den Anhängern des RN sind es sogar 73 Prozent. Bisher hatte Le Pen stets argumentiert, ihre Partei dulde Barnier, um Chaos und Instabilität zu verhindern. Doch inzwischen hat die angeklagte Rechtsnationalistin selbst wenig zu verlieren.

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