Starkes Amerika, schwaches Europa. Zu diesem Schluss kommt, wer die Wettbewerbsfähigkeit betrachtet. Die Rezepte, die der ehemalige Zentralbanker empfiehlt, bringen die EU aber nicht voran.
Super-Mario soll es richten. Nachdem der Italiener, so die Legende, schon im Alleingang den Euro vor dem Untergang bewahrt hat, traut man ihm nun auch die Rettung der EU zu. Doch mit drei Worten – «whatever it takes» – ist es diesmal nicht getan.
Mario Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, legt der Kommission einen fast 400 Seiten dicken Bericht vor. Darin wird aufgelistet, wie die Union ihre wirtschaftliche Wettbewerbskraft zurückerlangen und den Rückstand gegenüber den Konkurrenten aus den USA und Asien verringern soll.
Richtige Diagnose, falsche Therapie
Der Draghi-Report kommt als Expertenbericht daher. Doch der Ökonom, der schon als Notenbanker mehr Politiker als Technokrat war, erliegt dem gleichen Reflex wie die meisten Volksvertreter: Wenn ein Problem auftaucht, wird versucht, es mit Steuergeld zu überschütten. So fordert Draghi zusätzliche Investitionen in der Höhe von 800 Milliarden Euro pro Jahr. Gemessen an der Wirtschaftskraft wäre dies dreimal so viel, wie nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen des Marshall-Plans für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Europa benötigt wurde.
Draghis Problemanalyse ist zwar korrekt: Die EU hat ein deutlich geringeres Produktivitätswachstum als die USA. Den Preis zahlen die europäischen Haushalte in Form von Verzicht auf einen höheren Lebensstandard. Das real verfügbare Einkommen pro Kopf ist in der EU seit 2000 nur halb so stark gestiegen wie in den USA. Und die digitale Revolution durch das Internet hat die Union weitgehend verschlafen. Ein Beispiel: Nur 4 der 50 weltweit führenden Technologiekonzerne kommen aus Europa.
Doch so richtig die Diagnose, so falsch die Therapie: Mit mehr zentralistischer Planung und Plänen für gigantische Ausgaben, wie sie Draghi vorschweben, kommt die EU nicht voran. Im Gegenteil: Die geforderte Koordination der nationalen Industriepolitiken potenziert die Probleme.
Denn Bürokraten wissen nicht besser als Private, welche Industrien in Zukunft florieren werden und welche Technologien gefördert werden sollten. Derzeit gleichen sich die Fehler nationaler Wetten noch halbwegs aus; wo der eine irrt, setzt der andere aufs richtige Pferd. Bei einer zentralisierten EU-Industriepolitik wäre das nicht mehr der Fall.
Zentralisierung der Schulden
Brisant ist auch der Vorschlag, bei der Finanzierung «bahnbrechender Innovationen» auf eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU zu setzen. Dass Draghi entsprechende Schuldpapiere wohlklingend als «gemeinsame sichere Vermögenswerte» tituliert, macht die Sache nicht appetitlicher.
Was sicher sein soll an einer Schuldenunion, in der hohe nationale Defizite belohnt und massvolle Finanzpolitiken bestraft werden, weiss wohl nur Draghi selbst. Sinnvoller wäre es, die Kapitalmarktunion rasch voranzutreiben, damit innovative Firmen einfacher an privates Kapital gelangen.
Wirklich überraschend kommt der Vorschlag für gemeinsame Schulden nicht. Denn der Tabubruch erfolgte bereits 2021. Damals verschuldeten sich die EU-Staaten im Zuge der Corona-Krise erstmals kollektiv, im Rahmen des sogenannten Wiederaufbaufonds. Selbstverständlich wurde in der Pandemie die Einmaligkeit der Situation betont. Doch was einmal geht, geht bei Politikern auch zwei- oder dreimal. Die aktuelle Lage sei ebenso ernst wie die Corona-Krise, begründet Draghi. Er weiss: Die finanzpolitischen Dämme in der EU sind längst gebrochen.
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner hat bereits Widerstand gegen gemeinsame Schulden angekündigt. Mit Schulden löse man keine strukturellen Probleme, sagt er zu Recht. Den Firmen mangle es nicht an Subventionen, sie seien durch Bürokratie gefesselt. Es ist zu hoffen, dass Berlin gegenüber Rom und Paris, wo Draghi mehr Freunde hat, standhaft bleibt. Die Stärke der EU ist ihre Vielfalt; das muss auch ökonomisch gelten. Fehlende Innovationskraft lässt sich nicht mit Zentralismus beheben. Mehr Erfolg verspricht der Wettbewerb der Staaten.