Dienstag, November 26

Schwache US-Konjunkturdaten lassen Rezessionsängste aufleben und schicken die weltweiten Börsen am Freitag auf Talfahrt. Die Kritik am Handeln der US-Notenbank wächst. Derweil senden die Märkte klare Signale.

Nun könnte es plötzlich deutlich schneller gehen als bisher erwartet. An den Terminmärkten gilt eine Zinssenkung durch die US-Notenbank Fed am 18. September für so gut wie sicher, mehr noch: Mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 70% rechnen die Marktteilnehmer mit einer Senkung der Federal Funds Rate um 50 Basispunkte auf 4,75 bis 5%. Eine Reihe enttäuschender Konjunkturindikatoren und die deutlich negative Börsenreaktion am Freitag haben wohl bei vielen zu einem Umdenken geführt.

Einigen wäre auch das noch zu langsam. Stephen Brown, stellvertretender Chefvolkswirt für Nordamerika bei Capital Economics, etwa bringt gar eine Zinssenkung vor dem nächsten ordentlichen Fed-Entscheid ins Spiel. So geschehen im Januar 2001: Damals startete das Fed nach einer ausserordentlichen Sitzung mit einer Zinssenkung um 50 Basispunkte ins Jahr. Bis Ende Jahr wurde der Leitzins von 6 auf gerade noch 1,75% gesenkt. Die Rezession konnte damit aber nicht verhindert werden, diese dauerte gemäss dem National Bureau of Economic Research (NBER) von März bis November.

Alle Optionen lägen nun auf dem Tisch, schreibt Steven Blitz vom britischen Finanzdienstleisters TS Lombard, dies, «weil das Fed von seinem Versprechen abgerückt ist, den Leitzins nach unten zu korrigieren, um den realen Zinssatz nicht zu stark steigen zu lassen, als sich die Wirtschaft abkühlte». Mit dem Rückgang der Inflation auf 3% wären die Voraussetzungen dafür laut dem US-Chefökonom gegeben gewesen.

Kritiker sehen sich bestätigt

In den Aussagen Blitz› steckt ein Vorwurf, den sich das Fed nun ohnehin gefallen lassen muss. Kritiker sehen sich bestätigt, dass die US-Notenbank mit jeder Zinssenkung zu spät kommen wird und nicht verhindern kann, dass die US-Wirtschaft hart landet und in den nächsten zwölf Monaten in eine Rezession rutscht. Die Fed-Mitglieder hätten betrunken vom eigenen Erfolg mit dem Entscheid vom Mittwoch «die Würfel noch einmal gewürfelt und eine sieben gewürfelt», meint Blitz. Eine Referenz zum Spiel Craps, in anderen Worten: Die US-Notenbank kann noch gewinnen oder verlieren, aber sie ist eine starke Wette eingegangen.

Bereits vor dem Fed-Entscheid am vergangenen Mittwoch hatte es kritische Äusserungen und Forderungen nach einer Zinssenkung Ende Juli gegeben, allen voran von Bill Dudley, dem früheren Präsident der Distriktnotenbank New York. Gut möglich, dass das Gremium im Wissen um die heutigen Daten anders entschieden hätte.

Und die realwirtschaftlichen Zeichen für eine Rezession mehren sich: Der gestern publizierte schwache Arbeitsmarktbericht für Juli – praktisch alle Faktoren haben sich auf Monatssicht verschlechtert – reiht sich ein in eine Folge von mehreren sich abkühlenden Konjunkturindikatoren. Da hilft es wenig, dass das Jobwachstum von 114’000 Stellen absolut betrachtet immer noch sehr solide ausgefallen ist, die Erwartungen zählen und diese wurden klar verfehlt. Der Konsens hatte mit 175’000 neuen Jobs gerechnet.

Schon am Donnerstag war der Einkaufsmanagerindex für den verarbeitenden Sektor enttäuschend schwach ausgefallen, die Stimmung hat sich weiter eingetrübt. Laut den Strategen von Bank of America passen die sich abkühlenden Indikatoren gut ins Bild eines sich abschwächenden Wirtschaftswachstum, noch sei aber nicht klar, ob es tatsächlich zu einer Kontraktion kommen werde. Im zweiten Quartal war die US-Wirtschaft auf annualisierter Basis noch 2,8% gewachsen.

Einen Hinweis könnte die separat erhobene Arbeitslosenquote geben: Laut der Ökonomin Claudia Sahm wurde die von ihr entwickelte Sahm-Regel knapp ausgelöst. Mit dem Anstieg der Arbeitslosenquote auf knapp 4,3% liegt der Dreimonatsdurchschnitt mehr als 0,5 Prozentpunkte über dem Mittel der vergangenen zwölf Monate, wobei die Daten auf drei Nachkommastellen nicht ganz schlüssig sind. In der Vergangenheit war ein solcher Anstieg ein verlässlicher Indikator für eine bevorstehende Rezession.

Anleihen- und Aktienmärkte senden deutliches Signal

Das Marktsignal ist indes deutlich: Weltweit flüchteten sich Anlegerinnen am Freitag in sichere Anlagen. Der Goldpreis stieg erstmals überhaupt über 2500 $ je Feinunze, gab einen Teil des Gewinns aber noch im Freitagshandel ab. Der Dollar verlor gegenüber Franken und Euro. US-Treasuries setzten den Aufwärtstrend fort, die Rendite auf zehnjährigen Papieren sank erstmals seit Januar dieses Jahres unter 4%, jene auf zweijährige notiert auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2023.

Damit bleibt die Zinsdifferenz zwischen lang- und kurzfristigen Anleihen klar negativ. Und: Seit Ende April ist die Rendite auf langfristige Staatsanleihen damit deutlich gefallen; ein weiteres Indiz, dass sich die Aussichten zur Wirtschaft eintrüben.

Auch am Aktienmarkt spielten die Investoren nach dem «Recession Playbook»: Defensive Sektoren wie Basiskonsum, Versorger und Pharma schnitten vergleichsweise gut ab, am stärksten unter Druck standen dagegen Technologie, Energie und zyklischer Konsum. Auffallend: Die Tech-Schwergewichte hielten sich mit Ausnahme von Amazon vergleichsweise gut, Apple schloss gar leicht im Plus. Insgesamt gab der S&P 500 1,8% nach, der Nasdaq 100 verlor 2,4%.

Damit wurde auch der Höhenflug des Russell 2000 abrupt gestoppt. Der Small-Caps-Index hatte seit dem 11. Juli zwischenzeitlich mehr als 10% an Wert gewonnen. Dies, während insbesondere der Technologieindex Nasdaq 100 konsolidierte, nach dem er dank der Rally der Halbleiterwerte und Tech-Schwergewichte haussiert hatte.

In der Schweiz kann Nestlé ihre Stärke ausspielen, die Titel des Nahrungsmittelkonzerns beendeten den Handel am Freitag als einzige im SMI im Plus, dahinter rangieren Swisscom, Roche und Novartis. Am unteren Ende des Tableaus finden sich dagegen UBS, ABB und Logitech, und damit Aktien von Unternehmen, die nicht nur konjunktursensitiver sind, sondern auch ein höheres US-Exposure aufweisen. Der Blue-Chip-Index verlor 3,6%, der grösste Tagesverlust seit Ende Januar 2022. Der SPI Extra (ohne SMI-Titel) gab mit 2,5% etwas weniger stark nach.

Die Ausschläge an der Börse werden grösser

Rezession oder nicht: Das Umfeld an den weltweiten Börsen ist zunehmende geprägt von Nervosität, die Ausschläge werden in den kommenden Wochen und Monaten gross bleiben – nicht zuletzt auch, weil der Wahlkampf in den USA in die letzte Phase übergeht. Für Anlegerinnen und Anleger macht es vor diesem Hintergrund durchaus Sinn, das Portfolio defensiver auszurichten.

In den kommenden knapp sechs Wochen bis zum nächsten Fed-Entscheid kommt ein weiterer Arbeitsmarktbericht sowie zwei Updates zum Konsumentenpreisindex, doch bräuchte es jetzt wohl eine grosse Überraschung, um das Fed noch von der nächsten Zinssenkung abzuhalten. Ob sich die gegenwärtige Einschätzung der Terminmärkte mit mindestens vier Zinssenkungen von jeweils 25 Basispunkten auf 4 bis 4,25% bewahrheiten wird, hängt aber ebenfalls von der weiteren Entwicklung der Inflation- und Konjunkturdaten ab. Der Ausschuss wird wohl versuchen, anders als die Börse einzelne Datenpunkte nicht überzuinterpretieren und schrittweise die Zinsen zu senken, sofern keine externen Schocks auftreten.

Für einige wie Marc Pinto, Leiter US-Aktien bei Janus Henderson, wäre schon eine Zinssenkung um 50 Basispunkte im September, das falsche Signal, das «Schockwellen durch die Märkte schicken» könnte, indem sie das Argument verstärkt, dass die Fed im Rückstand ist. Das «wäre ein starkes Signal an den Markt, das vielleicht nicht so gut ankommt».

Immerhin: Von der Inflationsseite zeichnen sich in den USA gegenwärtig keine bösen Überraschungen ab. Der Preisindex der Konsumentenausgaben (Personal Consumption Expenditures, PCE), der vom Fed präferierte Indikator zur Teuerung, tendiert seit einem Quartal wieder wunschgemäss nach unten. Für Juni resultierte im Vorjahresvergleich ein Rückgang auf 2,5%, nach 2,6% im Mai. Die Kernrate, bei der die Preise für Energie und Nahrungsmittel ausgeklammert werden, blieb stabil auf 2,6%. Fed-Chef Jerome Powell zeigte sich denn auch zufrieden mit der Entwicklung.

Und der Citi Inflation Surprise Index ist in den negativen Bereich gesunken, sprich die publizierten Daten zur US-Teuerung lagen zuletzt unterhalb der Erwartungen.

Aber auch das kann sich schnell ändern. Ein besonderes Risiko stellt dabei die angespannte Situation im Nahen Osten dar. Eine weitere Eskalation oder gar ein grossflächiger Krieg zwischen Israel und den Nachbarstaaten wäre für die weltweiten Finanzmärkte derzeit wohl der eine Schock zu viel.

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