Sonntag, Oktober 20

Das Liebesleben von Marlene Dietrich hat stets Schlagzeilen gemacht. Ein neues Buch befasst sich mit ihrer Beziehung zum weltberühmten Autor. Ausserdem gibt es Home-Movies von ihr zu entdecken, die Remarque im Côte-d’Azur-Sonnenbrillenlook zeigen.

Plötzlich steht sie da. Eine Erscheinung, die dem Film eine neue Richtung verleiht. Das Licht verändert sich, es leuchtet greller und sanfter zugleich. Sie muss gar nichts sagen, stolziert nur trotzig durchs Bild und vertraut auf das Geheimnis, das sie umhüllt. Vielleicht singt sie ein Lied, vielleicht hält sie einfach ihre Zigarettenspitze aufreizend in die Kamera. Ihre mit Tausenden von Lux angestrahlten blonden Haare, ihre Augen und die um den Hals baumelnden Diamanten tun ein Übriges, um ein bleibendes Bild von Unerreichbarkeit zu schaffen. So sieht das fast in jedem Film aus, den sie in den 1930ern und 1940ern gedreht hat.

Marlene Dietrich gehörte zu jenen Schauspielerinnen des klassischen Hollywoodkinos, die von einer männlich dominierten Industrie als Phantasieobjekte aufgebaut wurden. Ihr Image war ein zwischen kecker Erotik und eiskalter Berechnung oszillierendes Gemisch, ihre dunkle Stimme, ihre unter der Oberfläche wabernde Verletzlichkeit prägten ihre Rollen, in denen sie oft als Nachtklubtänzerin, als Femme fatale die Männer bezirzte. «Morocco» (1930), «The Scarlet Empress» (1934) und «Witness for the Prosecution» (1957) gehören zu ihren schönsten Filmen.

Die Aufgabe der Filmemacher schien es stets zu sein, ihre Narben sichtbar zu machen, ihren Breaking-Point offenzulegen, so dass sie am Ende der Filme weinend oder vor Liebe dahinschmelzend zusammenbrechen konnte. Dazwischen aber beherrschte sie mit einer unerreicht beiläufigen Eleganz den Rhythmus der Bilder, weil sie es verstand, dem Kitsch auszuweichen, der in den Geschichten angelegt war. Sie stemmte sich mit einem pragmatischen Schulterzucken gegen die vom Drehbuch angelegten Tränen. In ihr überlebten alte preussische Werte im Glitzergewand der Traumfabrik.

Queere Galionsfigur

Die gebürtige Berlinerin setzte sich nach ihrem Durchbruch mit «Der blaue Engel» (1930) zusammen mit ihrem Entdecker und grossen Förderer Josef von Sternberg nach Los Angeles ab, um zu einer jener Diven aufzusteigen, die weit grösser wurden als die Filme, in denen sie spielten. Als vehemente Antifaschistin wandte sie sich von ihrem Herkunftsland ab, wird aber bis heute als Ikone des Weimarer Stils gefeiert.

Sie verkörperte Babylon Berlin wie keine andere. Dabei bewahrte sie sich einen erstaunlichen Rest Unabhängigkeit, und sie dient mittlerweile ob ihres Stils und freien Sexuallebens als queere Galionsfigur. Obwohl Dietrich bemüht war, ihr Privatleben von ihrer Schauspiel- und Gesangsarbeit zu trennen, hat ihr Liebesleben stets Schlagzeilen gemacht. Darin kann man durchaus einen fragwürdigen Umgang mit weiblichen Stars erkennen, schliesslich gibt es weit weniger Texte über John Waynes Liebesleben als über das von Ava Gardner oder eben Marlene Dietrich.

Die jüngsten Beiträge zu dieser Reihe filmkulturellen Klatschs liefern ein Buch, das sich mit der Beziehung zwischen Dietrich und Erich Maria Remarque befasst sowie von der Deutschen Kinemathek veröffentlichte Home-Movies der Darstellerin. In beiden Fällen lässt sich natürlich mehr finden als reiner Gossip. Das Buch «Man lebt sein Leben nur einmal» von Thomas Hüetlin erschien bei Kiepenheuer & Witsch, die Home-Movies kann man in einer Filmreihe zu Dietrich im Filmpodium Zürich entdecken.

Vulgäre Untertreibung

«Ich gehe mich einen Dreck an», sagt Dietrich zu Beginn von Maximilian Schells faszinierender Dokumentation «Marlene» (1984), in der er seine Schauspielkollegin nach deren Rückzug aus der Öffentlichkeit Ende der siebziger Jahre interviewt, ohne ein Bild von ihr oder ihrer Pariser Wohnung drehen zu dürfen. Eine typische, vulgäre Untertreibung à la Dietrich, denn die 300 000 Blatt Schriftgut inklusive Tausender Seiten Korrespondenzen und persönlicher Objekte wurden sicher nicht aus Desinteresse aufbewahrt. Inzwischen kümmert sich die Deutsche Kinemathek um diesen riesigen Nachlass, der eben auch Material über die sich nie vollends realisierende Beziehung zwischen Remarque, dem weltberühmten Autor, und dem Schauspielstar beinhaltet.

Hüetlin zeichnet ein Bild zweier verlorener Seelen, die sich in einer mondänen Welt der Dekadenz und ihrer Ablehnung Hitlers wiederfinden. Irgendwo zwischen einer politischen Haltung und Juan-les-Pins treffen sich zwei einsame Menschen in gegenseitiger Bewunderung. Sein Buch erzählt aus ihren jeweiligen Biografien, deren Berührungspunkte mit dem Ende der Weimarer Republik sowie der Geschichte des Nazismus und des Zweiten Weltkriegs zusammenfallen.

Wiederholt nimmt der Autor Bezug auf die Geschichte und zeigt, dass Liebe immer auch ein Produkt der Umstände ist. Dietrich setzte sich in die USA ab und trat später vor amerikanischen Soldaten auf. Remarques Bücher wurden verbrannt. Dabei bekommt man den Eindruck, dass für den sich im tessinischen Ronco sopra Ascona zurückziehenden Autor von «Im Westen nichts Neues» die aufflammende Liebe deutlich ernster gewesen ist als für den «Puma», wie er Dietrich spielerisch nannte.

Er, der aus einfachen Verhältnissen stammte, war zunächst bereit, sein Leben für die Diva aufzugeben, für sie war er nur einer von vielen. Zumindest liest sich das teilweise so, in anderen Passagen bekommt man den Eindruck, beide interessierten sich vor allem aus Karrieregründen füreinander. Von Sternberg hat das einmal in seinen eigenen, diffamierenden Worten über Dietrich gesagt: «Bei ihr ist Eis, wo bei anderen ein Herz schlägt.»

Sie kochte deftig

Hüetlin, der sich um einen direkten Stil bemüht, kämpft spürbar mit den geografischen Distanzen dieser auf dem Cover als «grenzenlose Leidenschaft» beworbenen Geschichte. Etwas redundant dreht er sich um seine Protagonisten, wiederholt etwa mehrfach, dass Dietrich ihren Liebhabern gern deftig kochte und es sowieso nicht primär um den Sex gegangen sei, weswegen ihr der sich als «impotent» vorstellende Remarque gerade recht gekommen sei.

Sein Roman balanciert auf den Drahtseilen des Recherchierten und Spekulativen. Denn lange Strecken sahen sich die beiden nicht, und das, was man guten Gewissens erzählen kann, entspringt Briefen, die man sich bekanntlich schreibt, wenn man sich nicht sieht. Eigentlich passt das aber ganz gut zu zwei Menschen, die das Leben stets über Fiktionen verstanden. In diesen Fiktionen wechseln sich wütende Verzweiflung und zärtliche Zuneigung ab

Sicherlich hätten Dietrich und Remarque nichts einzuwenden gegen die Dialoge, die ihr Zusammenleben nacherzählen, in gewisser Weise arbeiteten sie zeitlebens daran, selbst zu einer Fiktion zu werden. Beide waren ausserhalb ihrer Beziehung verheiratet, sie fanden und verloren sich im Versuch, den bürgerlichen Idealen einer Zweisamkeit zu entrinnen, so viel wird klar.

Kennedy im Bademantel

In den Home-Movies von Dietrich sieht man Bilder vom Lido aus dem Jahr 1937. Darin filmt Dietrich auch Remarque in schwarzer Badehose und seine frühere Ehefrau Ilse Jutta Zambona, die er ein Jahr nach den Aufnahmen noch einmal heiraten sollte, um ihr die Immigration in die Schweiz zu ermöglichen. In den Bildern lässt sich nach Gefühlen suchen, sie verstecken sich hinter dem Gestus reicher Menschen am Strand.

Die kurze Einstellung von Jutta zeigt ein vertrautes und entspanntes Miteinander, das Hüetlin schildert, wenn er von einer grossen Familie schreibt, die sich um Dietrich versammelte. Dazu zählte auch Dietrichs Ehemann Rudolf Sieber oder ein in Bademantel durchs Bild huschender John F. Kennedy. Später noch einmal Remarque im Bild, im Côte-d’Azur-Sonnenbrillenlook, enge weisse Shorts, braungebrannter Körper, Zigaretten. Was heute eine Instagram-Story wäre, wurde auf Film gebannt.

Die Interpretation dieser Geschichten, die Vermarktung des Ich, ist inzwischen viel stärker in die Hände der Berühmtheiten selbst gefallen. Bei Dietrich und Remarque zeigt sich noch die Kraft dessen, was man nicht weiss. Dietrich war zeitlebens gewohnt, dass sie nicht Herrin ihres öffentlichen Bildes war. Mit eiserner Disziplin entsprach sie dem, was andere von ihr wollten. Und doch ist das, was von ihr bleibt, sei es in den Filmen, den überlieferten Geschichten, den Briefen oder ihren eigenen Filmaufnahmen, vor allem das Bild einer Freiheit. Es ist nur ein Bild, aber niemand wusste besser, wie entscheidend ein solches Bild sein kann.

Als Teil einer Reihe zu Marlene Dietrich im Filmpodium Zürich stellt die Deutsche Kinemathek am 5. November die Home-Movies von Dietrich vor.

Thomas Hüetlin: «Man lebt sein Leben nur einmal». Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024. 352 S., Fr. 37.90.

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