Nabelschnur und Nadelöhr zugleich: Die Infrastruktur an Deutschlands Flüssen und Kanälen muss modernisiert werden. Das betrifft auch den Rhein als einzigen schiffbaren Zugang der Schweiz.

Die Havarie an der Schleuse Müden an der Mosel schaffte es im letzten Dezember bis in die Fernsehnachrichten. Ein Frachtschiff hatte bei der Einfahrt eines der beiden Schleusentore schwer beschädigt, die Durchfahrt war bis auf weiteres unterbrochen. So waren über siebzig Güterschiffe im Oberlauf der wichtigen europäischen Wasserstrasse gefangen, bis sie dank improvisierten Notschleusungen doch noch vor Weihnachten das Nadelöhr passieren konnten. Mindestens ein Vierteljahr, so die erste Prognose des Wasserstrassen- und Schifffahrtsamts Mosel-Saar-Lahn (WSA), werde es aber dauern, bis ein neues Schleusentor eingebaut sei und die vollständige Sperrung für die Schifffahrt wieder aufgehoben werden könne.

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Eine Umfahrung der Unfallstelle über eine parallele zweite Schleusenkammer war nicht möglich. Denn ein derartiges, millionenteures Bauwerk ist zwar seit 2003 als «Vordringlicher Bedarf» im Bundesverkehrswegeplan festgeschrieben – gemeinsam mit den anderen deutschen Mosel-Schleusen. Aber bisher sind erst drei Schleusen ausgebaut worden.

Dank dem Einsatz rund um die Uhr gelang es den Experten des WSA dann schneller als erwartet, das neue Schleusentor zu installieren. Anfang Februar hatte die Binnenschifffahrt wieder freie Fahrt auf der Mosel.

Auch die Schweiz ist betroffen

Florian Röthlingshöfer ist Direktor der Schweizerischen Rheinhäfen, international als Port of Switzerland bekannt. Er dürfte das dramatische Geschehen von Basel aus mit gelegentlichem Schaudern verfolgt haben. Denn es sind Unfälle denkbar, die auch die Schweiz betreffen würden. Was würde es bedeuten, wenn eine der Staustufen auf dem Oberrhein nach einer Havarie unpassierbar wäre? Sein drastischer Befund: «Dann wären wir jetzt tot. Der Oberrhein ist unsere Nabelschnur zu den Nordseehäfen in den Niederlanden und Belgien. Unser einziger Zugang zu den Weltmeeren.»

Die Schifffahrt auf dem Rhein sei für die Schweiz ein «Landesversorgungsthema»: Über fünf Millionen Tonnen Güter wandern pro Jahr über die Quais der drei Basler Häfen, 30 Prozent aller Schweizer Container-Importe und -Exporte, 40 Prozent der Dünger- und 25 Prozent der Getreide- und Futtermitteleinfuhren sowie 30 Prozent der Mineralölprodukte. Und es wird mehr. Hochrechnungen für das Jahr 2050 sehen den Schweizer Güterverkehr auf dem Wasser um fast ein Drittel weiterwachsen, selbst wenn der Transport fossiler Energieträger zurückgeht. «Der Rhein muss für uns immer schiffbar bleiben», betont Florian Röthlingshöfer.

Nadelöhre auf dem Weg von der Eidgenossenschaft zum Meer sind zunächst die zehn Staustufen des Flusses zwischen Basel und Iffezheim bei Baden-Baden. Auf 170 Stromkilometern überwinden sie über 130 Höhenmeter und regulieren den Wasserstand. Die Schleusen haben das, was in Müden an der Mosel fehlt: eine zweite Schleusenkammer. Die war bitter nötig, nachdem ein Frachtschiff im November 2023 in Iffezheim ein Schleusentor gerammt hatte.

Bis Anfang 2025 dauerte die Reparatur der Anlage, die rund 30 000 Schleusungen im Jahr in beiden Richtungen vornimmt und damit etwa 25 Millionen Tonnen Güter rheinauf oder rheinab bringt. Die einzige Staustufe in Verantwortung der Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) ist – wie die Staustufen flussaufwärts – ein Laufwasserkraftwerk. Die neun anderen werden vom französischen Energieversorger EDF betrieben.

Von der öffentlichen Hand im Stich gelassen

Doch die in die Jahre gekommene technische Infrastruktur, fehlende Kapazitäten und die natürlichen Bewegungen der Flussgründe – die «Geschiebe» – erfordern immer wieder nachbessernde, meist kostspielige Bauarbeiten. Das System Wasserstrasse sei empfindlich und heikel, doch das werde in der Politik nicht wahrgenommen, klagt Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB). Er moniert, dass gesetzlich fixierte Ausbaupläne einfach ignoriert würden. Es gebe ein Wasserstrassen-Ausbau-Gesetz, genauso wie entsprechende Normen für Strassen und Schienen. «Doch die Verkehrspolitik übersieht, dass ein Verkehrsträger allein nicht glücklich machen kann.»

Die Binnenschifffahrt sei nicht nur ökologisch überzeugend, sondern sie biete viele Möglichkeiten in Bereichen, wo die anderen Verkehrsträger scheiterten. Beispielhaft nennt Schwanen Gross- und Schwerguttransporte, etwa für Komponenten von Windrädern, welche auf der Strasse einen immensen Aufwand und angesichts der steigenden Zahl altersschwacher Brücken teure Umwegfahrten erforderten. «Das Binnenschiff braucht nur eine Quaikante und einen Kran, und dann gibt es weder Probleme mit den Ausmassen noch mit dem Gewicht des Ladeguts.» Doch er lobt die Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung. Sie halte mit hohem Engagement auch überalterte Infrastruktur am Laufen – und das mit nur beschränkten Mitteln.

So trommeln die Binnenschiffer seit Jahren für einen «vernünftigen Wasserstrassen-Etat» zum Ausbau der Flüsse und Kanäle. Jährliche Investitionen von 900 Millionen Euro – Preisstand 2015 – sind laut Bundesverkehrsministerium dafür erforderlich. Jens Schwanen: «Man muss befürchten, dass irgendwann etwas zusammenbricht – wie die Carolabrücke in Dresden.» Das weist Eric Oehlmann weit von sich. Etliche Schleusen und Wehre seien über fünfzig Jahre in Betrieb, sagt er. Dies sei im Bereich des Wasserbaus mit robusten Anlagen grundsätzlich nicht ungewöhnlich: «Wir betreiben bis zu hundert Jahre alte Schleusen sicher und verlässlich.» Der Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur der Bundeswasserstrassen sei zwar erheblich. «Doch im Gesamtetat für die Bundeswasserstrassen von insgesamt etwa 1,8 Milliarden Euro sind alle erforderlichen Erhaltungsmassnahmen enthalten», betont Oehlmann.

In den letzten beiden Haushaltsjahren seien die Beträge aus dem Verkehrsetat des Bundes angestiegen, aber bislang nicht über 1,7 Milliarden Euro gekommen. Für das laufende Jahr rechnet Schwanen nach dem Platzen der Ampelkoalition erst Mitte des Jahres mit dem neuen Etat und befürchtet, dass «sich die jahrelange Unterfinanzierung zunächst fortsetzt».

Die Schweiz wünscht sich mehr Transparenz bei der strategischen Planung des Lebenszyklus der Infrastruktur für die Schifffahrt. Eine international abgestimmte, langfristige Unterhalts- und Erneuerungsplanung für die Wasserstrasse Rhein sei unerlässlich, sagt der Basler Hafendirektor Röthlingshöfer. Der Behördenchef Oehlmann verweist auf entsprechende Planungen auch für die Bauwerke am Rhein. Die Bauwerke würden in kurzfristigen Abständen überprüft und bewertet; das sei die Grundlage für die Planungen von Ersatzinvestitionen.

Main und Neckar sind Problemzonen

Aus deutscher Sicht häufen sich jedoch die Versäumnisse bei der weiteren Entwicklung des Wasserstrassennetzes. Zu den grossen Pleiten zählt der BDB den vorerst gescheiterten Ausbau des Neckars. Seit Jahren war geplant, die Kammern der 27 Schleusen zu verlängern, damit die Generation der 135 Meter langen Grossmotorgüterschiffe den Wasserweg nutzen kann. Im Jahr 2008 formulierten der Bund und das Land Baden-Württemberg dazu eine Kooperationsvereinbarung. Doch dem bereitete der «Ampel»-Verkehrsminister Volker Wissing vor drei Jahren ein knallhartes Ende. Seine Begründung: «Wegen des langen Realisierungszeitraums» könne die Schleusenverlängerung am Neckar «keine Planungsperspektive für unternehmerische Entscheidungen bieten», hiess es.

Immer wieder aufgeschoben wird die Fahrrinnenvertiefung im Main von der Mündung bis Aschaffenburg. Dies sei unverständlich, meint der BDB. Das Projekt verheisse ein Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 27. Das heisst: Jeder investierte Euro bringe volkswirtschaftlich den 27fachen Nutzen. Einen Grund für das Nichtstun sieht der Geschäftsführer Schwanen in der angespannten Personalsituation der WSV. Innerhalb der nächsten fünf Jahre gehe ein Viertel der Belegschaft in den Ruhestand.

Ungeachtet dessen will die Behörde aber ein Projekt realisieren, das die Wasserstrasse Rhein zu Niedrigwasserzeiten optimieren soll. Das bereits im Jahr 2003 beschlossene Mittelrhein-Projekt sieht vor, auf dem romantischen Flussabschnitt zwischen Wiesbaden und Sankt Goar an sechs neuralgischen Punkten die nutzbare Wassertiefe für die Schifffahrt um 20 Zentimeter zu vergrössern.

Die anspruchsvolle Bauaufgabe, von Fachleuten «Abladeoptimierung» genannt, ist seit 2016 ein Projekt des Bundesverkehrswegeplans 2030. Doch erschwert wird sie durch zu tiefe Pegelstände. Im Dürrejahr 2018 bremste anhaltendes Niedrigwasser die Schifffahrt und damit die Transportmengen. Die Preise vervielfältigten sich, da die Ladekapazitäten nur noch sehr klein waren. Und die Kundschaft in der Wirtschaft verlor deshalb mehrstellige Millionenbeträge.

In drei Bauabschnitten soll für Abhilfe gesorgt werden. Eric Oehlmann ist überzeugt, dass die schnelle Umsetzung der Massnahmen für die Binnenschifffahrt entscheidende Verbesserungen bringe, vor allem bei Niedrigwasser: «Mit sehr überschaubaren wasserbaulichen Massnahmen werden wir grosse Effekte erzielen.» Die WSV, mit rund 12 500 Beschäftigten an über vierzig Standorten die grösste zivile Behörde des Bundes, habe ihre Kräfte für die Planung des Vorhabens konzentriert und zusätzlich Personal angeworben. Die Befürchtung in der Schifffahrt, alle anderen Projekte würden jetzt bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, sei nicht angebracht.

Die Schifffahrt und die Schweizer finden den Ausbau gut. Immerhin soll die Vertiefung des Mittelrheins sogar ein NKV von 30 haben. Das sollte für Verkehrs- und Finanzminister der nächsten Bundesregierung eine lohnende Infrastrukturinvestition sein.

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