Mittwoch, November 20

Die 83-jährige Martha Stewart ist Küchenexpertin, Perfektionistin, ehemalige Gefängnisinsassin und mit einer Netflix-Doku wieder in aller Munde. Dabei fragt man sich, was ihr Erfolgsrezept dafür ist, immer wieder präsent zu sein.

Zwei Monate vor Weihnachten, wenn Thanksgiving vor der Tür steht, ist sie Jahr für Jahr eine gefragte Person. Seit einer gefühlten Ewigkeit, zumindest seit den 1990er Jahren, hat Martha Stewart, die amerikanische «Queen der Heimdekors und Festtagsrezepte», dann Hochkonjunktur: Sie tritt als anspruchsvolle Expertin mit erlesenem Geschmack in Talkshows auf, um den einen oder anderen Kniff beim Kochen eines Gerichts, beim Mixen eines Cocktails oder beim Basteln einer schönen Dekoration zu demonstrieren.

In diesem Jahr entstand im November allerdings ein regelrechter «buzz» um sie. Der Grund dafür ist die Netflix-Dokumentation «Martha» des Regisseurs und Produzenten R. J. Cutler, der unter anderem auch die Dokumentation «The September Issue» (2009) über die amerikanische «Vogue» gedreht und tiefen Einblick in ihr Leben und Business gewonnen hat. Der Film beleuchtet die schillernde wie auch geschäftstüchtige Stewart von allen Seiten: ihren Aufstieg vom Model aus New Jersey, das sich zur Börsenmaklerin hocharbeitet, die sich nochmals neu erfindet. Martha Stewart entdeckt ihr Talent, Events auszustatten, und nimmt sich intensiv des Themas «trautes Heim» an. Ihr Credo ist dabei immer: «das Alltägliche aufwerten». Damit schafft sie es, sich als äusserst erfolgreiche Geschäftsfrau, Verlegerin, TV-Persönlichkeit und Autorin zu etablieren. Dann der plötzliche Fall – die Verurteilung wegen Insiderhandels zu einer fünfmonatigen Haftstrafe anno 2004 – und seither das hart erkämpfte Comeback.

Wie perfekt kann Martha Stewart sein?

Heute wird sie rückblickend als die erste Influencerin eingeordnet, so wird es auch im Film thematisiert. «Sie war die erste Person, die die Marktfähigkeit ihres Privatlebens erkannte», so ihr Freund Lloyd Allen in der Dokumentation. Kritiker bezeichnen Stewart hingegen als kleinkarierte, zwanghafte Perfektionistin, ungehobelte Domina oder «Königin der Kontrollfreaks», die ihre Angestellte schlecht behandle und ihre einstige Straftat als Folge eines sexistischen Justizsystems herunterspiele, auch das kommt zur Sprache in der Dokumentation.

Stewart selbst ist bekannt dafür, dass sie sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Resilienz scheint eine ihrer Stärken, gepaart mit einer leicht überheblichen und direkten Manier. Am Dokumentarfilm kritisiert sie diverse Stellen, laut einem Interview mit der «New York Times» hasst sie besonders den Schluss, in dem sie als einsame, alte Frau in ihrem Garten dargestellt wird. Völlig lehnt sie den Film aber nicht ab, in dem sie selbst in Interviews zu Wort kommt. Sie nutzt als gewiefte Geschäftsfrau die Gunst der Stunde, ihre Popularität weiter auszuweiten.

Und man fragt sich, was genau ihr Erfolgsrezept dafür ist, mit 83 Jahren derart im Gespräch zu bleiben, Tiefen zu ihren Höhen zu machen – dazu gehören folgende Zutaten, auf denen ihre Popularität zu basieren scheint.

Offen für Menschen jenseits der eigenen Bubble

Die enge Freundschaft zu Snoop Dogg geht auf das Jahr 2008 zurück, als Martha Stewart den Rapper einlud, in einer Folge der «Martha Stewart Show» aufzutreten. Während des Auftritts brachte Stewart Snoop bei, wie man cremiges Kartoffelpüree zubereitet, während er im Gegenzug ihr einige neue Slangwörter beibrachte.

Spätestens seit einem gemeinsamen Auftritt im Jahre 2015 in der Sendung «Comedy Central Roast» scheinen die beiden schier unzertrennlich und machen so von sich reden. Martha Stewart gewinnt auf diesem Weg auch ein neues Publikum: 2016 bis 2020 hostete das exotische Paar die Sendung «Martha & Snoop’s Potluck Dinner Party» und 2021 den «Puppy Bowl», ein American-Football-Spiel mit Hundewelpen.

Der Höhepunkt dieser Tandem-Auftritte zeigte sich diesen Sommer an den Olympischen Spielen in Paris, wo sie die Mannschaftsdressur im Schloss von Versailles besuchten – im Partnerlook und in Reitermontur. Die Bilder mit Snoop Dogg, der die Olympischen Spiele im Auftrag des Sender NBC besuchte, und seiner besten Kollegin Martha spülten die Feeds in den sozialen Netzwerken. Mission erfüllt.

Sichtbar machen – auch als Cover-Model

Von 1990 bis 2022 war Martha Stewart regelmässig Cover-Model ihrer eigenen Zeitschrift «Martha Stewart Living». Ein Jahr nachdem die Publikation eingestellt worden war, erschien sie aber wieder auf der Titelseite einer Zeitschrift – und sorgte für Schlagzeilen: Als 81-Jährige präsentierte sie Bademode für «Sports Illustrated».

Ikonisch ist dabei nicht nur dieser Auftritt, der beweist, dass man sich im Alter nicht verstecken muss, sondern auch ihre typisch unverblümten Worte im Interview zum Shooting: «Normalerweise motiviert mich die Bezahlung.»

Martha Stewart’s 2023 SI Swimsuit Cover Photo Shoot

Martha Stewart immer wieder – in Film und TV

Martha Stewart tritt seit Jahrzehnten nicht nur als Moderatorin und Ratgeberin ihrer verschiedenen selbstproduzierten Sendungen auf, sondern taucht seit rund dreissig Jahren auch immer wieder in kleinen Gastrollen in TV-Serien und Kinofilmen auf. Ganz ähnlich wie der Talkmaster Larry King (1933–2021) spielt sie sich dabei fast immer selbst. 1998 etwa in der Serie «Cosby» oder 2002 im Film «Men in Black II».

In der Zeit vor, während und nach der fünfmonatigen Gefängnisstrafe im Jahr 2004 diente Martha Stewarts Lebensgeschichte als Stoff für zwei Fernsehfilme. In «Martha, Inc: The Story of Martha Stewart» und «Martha: Behind Bars» wurde sie von der Schauspielerin Cybill Shepherd dargestellt. Danach übernahm sie wieder selbst die Regie, wenn es um die Darstellung ihrer selbst ging: 2006 mit der Serie «Ugly Betty», 2010 gar in der Zeichentrickserie «The Simpsons».

2012 probierte sie sich als Schauspielerin in einer Episode der Serie «Law & Order: Special Victims Unit» in der Rolle als Privatschuldirektorin Eleanor Hastings. In der selbstproduzierten Reality-Serie «Martha Gets Down and Dirty» stellte sie sich 2021 wieder selbst dar.

Werbebotschaften verbreiten

Auch in ihrem hohen Alter – oder gerade deswegen – geht Martha Stewart schier unermüdlich neue Geschäftsbeziehungen ein, so auch als Werbebotschafterin. Während sie in ihren TV- und Filmauftritten ihr übliches Image als anspruchsvolle Priesterin des erlesenen «art de vivre» ausspielt, geht sie in vielen Werbeclips einen Schritt weiter und lässt sich auch augenzwinkernd oder ironisch überzeichnet darstellen. Unter dem Titel «Martha in Marfa» bewirbt sie für das Reiseportal Booking.com die Ranch ihres guten Freundes, des Architekturfotografen Douglas Friedman – glamourös gekleidet als die New Yorker Version eines Cowgirls.

Man kann sich vorstellen, dass Martha Stewart auch das Angebot für einen Werbeclip mit Snoop Dogg nicht ausschlagen konnte. Für ein Feuerzeug. Der Clip bewirbt die Verwendung des «EZ Reach» von Bic für Barbecues, Öllampen, Kerzen oder Marshmallow-Grilladen – spielt aber augenzwinkernd auch auf andere Tätigkeiten an, für die ein Feuerzeug benötigt wird.

In ihrer Rolle als Genuss-Influencerin stellte sie sich auch für die Eröffnung von «Le Café Louis Vuitton» in New York zur Verfügung, wo sie das Menu der Chefköche Christophe Bellanca und Mary George probiert.

Den Mainstream ansprechen

Auf die alten Jahre hin scheint Martha Stewart, die nach aussen stets hohen Wert auf guten Geschmack und Qualität legte, etwas weniger streng zu werden. Kürzlich lancierte etwa das Selbstbedienungs-Warenhaus Walmart eine kitschige Dekofigur mit dem Namen «Martha on the Mantle». Der offiziell lizenzierte Martha-Stewart-Artikel ist als Eingeständnis an ihre ironischen Selbstdarstellungen der jüngsten Zeit zu verstehen – oder sie hat es wegen des Budgets getan.

Weiterhin Bücher verkaufen

Am 5. November ist Stewarts jüngstes Werk herausgekommen: «Martha: The Cookbook» – ein Meilenstein, ist es doch ihr 100. Buch. Es enthält nebst ihren Lieblingsrezepten auch Tipps und Fotos aus ihrem Privatarchiv. Dass es nicht ihr letztes Buch sein wird, verriet sie kürzlich in einem Interview in der Talksendung «Today Show»: Der Verlag Penguin Random House werde in zwei Jahren ihre Autobiografie veröffentlichen, voller persönlicher Geschichten und «fabelhafter Dinge», die Stewart in ihrem Leben getan habe. «Bisher hat dies noch niemand erzählt.» Diese Geschichte werde sie erzählen, meinte sie und findet, dass ihr nächstes Buch noch aufschlussreicher sein werde als die jüngste Netflix-Dokumentation.

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