Sonntag, Oktober 20

Der Milliardär und Amag-Besitzer Martin Haefner hatte schon als junger Mann eine Faszination für Stahl. Nun zahlt er einen hohen Preis dafür. Sein Investment bei Swiss Steel wird zum Fass ohne Boden.

Martin Haefner faltet während des Gesprächs immer wieder die Hände. Bevor er eine Frage beantwortet, hält er meist kurz inne. Der Unternehmer und Investor ist kein Schnellsprecher. Haefner formuliert bedächtig, oft in Substantivkonstruktionen, und wenn ihm etwas besonders wichtig ist, spricht er Hochdeutsch. Dabei wirkt wohl auch seine Vergangenheit als Mathematiklehrer an der Kantonsschule Alpenquai in Luzern nach. Mathematiker sind selten Sprachtalente, sie rechnen lieber.

Doch kalkulierbar ist derzeit wenig im Leben von Martin Haefner. Es gibt zu viele Unbekannte und unabhängige Variablen, um die Gleichungen zu lösen. Der Besitzer des grössten Automobilimporteurs der Schweiz, der Amag, ist mit Faktoren konfrontiert, die für ihre Unberechenbarkeit berüchtigt sind: der Politik, der Konjunktur und Menschen, die über viel Geld und grosse Egos verfügen.

Spätberufen zum Unternehmer und Investor

Haefner ist siebzig, doch für ihn sind das relativ neue Erfahrungen. Sein Vater Walter Haefner war ein Patron alter Schule, er gründete die Amag 1945 und führte sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang mit eiserner Hand. Mit dem Import und Verkauf von VW, Audi und Skoda wurden die Haefners zu einer der reichsten Familien des Landes.

Der einzige Sohn blendete dies lange aus. Fernab vom Einfluss des Vaters ging er seinen eigenen Weg als Student, Lehrer, Ehemann. Erst mit 51 liess er sich erweichen, ins familiäre Unternehmen einzusteigen. Als Walter Haefner 2012 im Alter von 101 Jahren verstarb, erbten Martin und seine Schwester ein Milliardenvermögen. Das Magazin «Bilanz» schätzt seines auf 5,5 Milliarden Franken.

Die Normalität hat sich Haefner auch in seinem neuen Leben bewahrt. Er bringt die Hemden selber zur Reinigung, seine Hobbys teilt er mit 90 Prozent seiner Landsleute: Wandern, Lesen, Gartenarbeit. Stolz erzählt er von seinem Nussbaum, der dieses Jahr besonders viele Nüsse trage. Auch jene, die auf die Strasse fielen, sammele er ein. Ein Ferienhaus in Kanada ist die einzige Extravaganz, die er und seine Frau sich leisten. Mindestens so wichtig für Haefner ist aber Kontemplation. «Ich nehme mir den Luxus, Zeit verstreichen zu lassen, ohne etwas zu tun.»

Pleiten, Pech und eine herunterstürzende Schmelzpfanne

In diesen Tagen dürfte er dabei öfters ins Grübeln geraten. Kopfzerbrechen bereitet ihm weniger die Amag als vielmehr der Stahlhersteller Swiss Steel. Noch als Lehrer hatte Haefner erste Aktien der Vorgängerfirma von Moos Stahl gekauft. «Stahl steht am Anfang der Wertschöpfung. Das hat mich fasziniert», sagt er.

Zwar hiess es schon damals, dass die Zukunft Kunststoffen gehöre, doch Haefner liess sich nicht beirren. Er wettete darauf, dass die Stahlproduktion auch im Hochlohnland Schweiz eine Berechtigung hat. Nach dem Erbantritt baute er seine Investitionen aus, bis er zusammen mit der einstigen Besitzerfamilie aus Deutschland und dem russischen Oligarchen Viktor Vekselberg zu den drei grössten Aktionären von Swiss Steel gehörte.

Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. 2019 ging der Firma das erste Mal das Geld aus. Haefner schritt voran, schoss 200 Millionen Euro ein und übernahm die Macht. Dann kam Corona, und das Geld war weg. Wieder öffnete Haefner sein Portemonnaie, wieder folgte eine Katastrophe: In einem Werk in Frankreich fiel eine Schmelzpfanne herunter und riss ein Loch von 100 Millionen Euro in die Kasse.

Ohne ihn wäre Swiss Steel längst untergegangen. «Martin Haefner war und ist der Schlüssel für die Zukunft dieses Unternehmens», sagte der Verwaltungsratspräsident Jens Alder an der ausserordentlichen Generalversammlung vom letzten April. Haefner bat die Kleinaktionäre im Saal, auch «einen Batzen» beizutragen. Doch fast alle verweigerten ihm die Gefolgschaft. Haefner musste das Geld für die dritte Kapitalerhöhung beinahe vollständig selbst aufbringen.

Das Zerwürfnis mit Peter Spuhler

Die Bilanz heute: Inklusive eines Kredits über 200 Millionen Euro steht Haefner mit rund 750 Millionen Euro im Risiko bei Swiss Steel. Haefner will dem Eindruck entgegenwirken, dass er schlechtem Geld gutes hinterhergeworfen hat. Doch genau diesen Eindruck erhält man von aussen.

Gewiss, sein Engagement hat ein Traditionsunternehmen mit 7500 Arbeitsplätzen gerettet. Doch die Frage ist: für wie lange? Lässt sich Swiss Steel dauerhaft auf sichere Beine stellen? Haefner muss diese Aufgabe allein bewältigen. Verbündete hat er keine mehr. Sein Kampf um Swiss Steel ist auch eine Geschichte eines Zerwürfnisses zweier Männer.

Zweimal suchte Haefner einen Pakt mit dem Industriellen Peter Spuhler, zweimal scheiterte er. Spuhler ist ein Unternehmer wie aus dem Bilderbuch. Er formte aus einem Kleinunternehmen den Weltkonzern Stadler Rail. Er kann zwar laut und aufbrausend sein, doch hat er die seltene Gabe, Leute hinter sich zu scharen und sie zu Höchstleistungen anzuspornen.

Der Patron von Stadler Rail ist damit von einem ganz anderen Naturell als der introvertierte Haefner. Diesem wird nachgesagt, sich stark auf Empfehlungen von Beratern zu verlassen. Das Charisma Spuhlers und dessen unternehmerischer Leistungsausweis liessen auch Haefner nicht unbeeindruckt.

Im Frühling 2020 führten die beiden erste Gespräche. Spuhler sollte bei der nächsten Kapitalerhöhung mitziehen, so lautete der Plan. Kurz bevor es ernst wurde, tauchte das Gerücht auf, Spuhler wolle russischer Generalkonsul werden. Haefner witterte einen Komplott zwischen Spuhler und dem russischen Grossaktionär Vekselberg und brach den Kontakt ab. Das Gerücht war eine Falschmeldung, offensichtlich gezielt gestreut.

Ein halbes Jahr später stieg dann Spuhler doch noch ein. Es schienen sich zwei gefunden zu haben, denen die Schweizer Industrie am Herzen liegt und die genügend tiefe Taschen haben, um Emotionen Taten folgen zu lassen. Doch als Swiss Steel im Frühling 2023 in die nächste Krise schlitterte, zerbrach die Liaison.

Spuhler drängte auf eine rasche Restrukturierung, den Präsidenten Jens Alder wollte er durch seinen Vertrauensmann Barend Fruithof ersetzen. Dafür war Haefner nicht zu haben. Er bestand darauf, dass ein einzelner Aktionär nicht das Präsidium beanspruchen dürfe. «Peter Spuhler und seine Leute wollten direkt auf das Management zugreifen und operativ tätig werden», sagt Haefner. «Das war völlig inkompatibel mit dem Führungsmodell des verantwortlichen Jens Alder.»

Der Aufschwung, der nicht kommen will

Im März dieses Jahres kam es zum Eklat, Spuhlers Leute verliessen das Aufsichtsgremium von Swiss Steel Knall auf Fall. Haefner musste die Kapitalerhöhung allein stemmen. Zudem muss er Spuhlers Aktienanteil zu einem fixierten Preis von 55 Millionen Franken übernehmen – mehr als fünf Mal so viel wie der gegenwärtige Marktpreis.

Statt auf den gestandenen Industriellen hörte er lieber auf das Swiss-Steel-Management. Dieses stellte einen Aufschwung im ersten Halbjahr 2024 in Aussicht. Eingetreten ist er bis heute nicht. Im Stammwerk Steeltec in Emmenbrücke sind Teile der Belegschaft auf Kurzarbeit. Im ersten Halbjahr brach der Umsatz auf 1,4 Milliarden Euro ein. «Wir befinden uns in einem perfekten Sturm», sagt Haefner. Der Abschwung scheine sich sogar noch zu akzentuieren.

Wegen der Flaute in der Automobilbranche und im Maschinenbau, den beiden wichtigsten Absatzmärkten von Swiss Steel, dürfte auch das zweite Semester verlustreich ausfallen. Marktbeobachter spekulieren denn auch darüber, dass Swiss Steel schon bald wieder frisches Kapital benötigen könnte.

Ist Haefner bereit, noch einmal Geld einzuschiessen? Er wechselt ins Hochdeutsche: «Es geht nun darum, die Restrukturierung energisch anzugehen und nötigenfalls auch tiefgreifende Massnahmen umzusetzen, um die Zukunft von Swiss Steel zu sichern», sagt er. Eine direkte Antwort auf die Frage will und kann er nicht geben, aus börsenrechtlichen, aber wohl auch aus taktischen Gründen. Bei einer Zusage könnte das Management die Hände in den Schoss legen. Ein dezidiertes Nein würde hingegen Panik bei Banken und Lieferanten auslösen.

Der nächste Hoffnungsträger ist ein Schwede

Haefners Hoffnung ruht nun auf dem Schweden Martin Lindqvist. Der langjährige Chef des schwedischen Stahlkonzerns SSAB löst Ende Monat Alder an der Spitze des Verwaltungsrates ab. Er bringt mit, was sowohl Alder wie Spuhlers Leuten fehlte: ein Kontaktnetz in der Stahlbranche. Lindqvist soll für Swiss Steel Kooperationen erschliessen, womöglich auch neue Investoren an Bord holen. Im besten Fall würde das den Exit für Martin Haefner ebnen.

Doch davon wagt er derzeit wohl noch nicht zu träumen. Illusionen macht er sich keine: «Wer ein solches Engagement eingeht, muss in der Lage sein, einen Totalverlust zu verkraften», sagt er. «Das ist bei mir der Fall – und zwar ohne dass die Substanz der Amag auch nur im Geringsten Schaden nimmt.»

Swiss Steel ist für Haefner letztlich ein verunglücktes Abenteuer in einer Welt, in der er sich nicht auskannte. «Wenn ich die ganze Kaskade an Entwicklungen geahnt hätte, wäre ich möglicherweise nicht in dieser Form eingestiegen», gesteht er zu. Die Amag hingegen ist das Familiensilber. Hier darf nicht einmal der Anschein eines Zweifels auf sein Engagement fallen.

Dass er kinderlos ist, spiele dabei keine Rolle. «Die Zügel lasse ich deshalb sicher nicht schleifen. Ich habe für eine gute Nachfolgeregelung vorgesorgt», sagt er. Wie diese genau aussieht, will er nicht verraten. Zugleich betont er, dass der VW-Konzern über die Nachfolgeregelung informiert sei und diese mittrage.

Bis mindestens achtzig will Haefner selber am Steuer bleiben bei der Amag. Er führt das Erbe seines Vater nicht einfach fort, sondern richtet es neu aus: auf Elektromobilität. Sanft, aber bestimmt lenkte er das Management in eine fossilfreie Zukunft. Er selbst fährt zwar noch einen Audi S6 Avant mit Dieselmotor, doch der Umstieg auf einen Stromer soll demnächst erfolgen.

Die Amag ist schon weiter. Erst am Freitag dieser Woche lancierte sie eine neue Initiative, um den Kunden den Umstieg zu vereinfachen – mit garantierten Stromtarifen, günstigeren Modellen und Testmöglichkeiten.

Das ist bitter nötig. Dieses Jahr schrumpften die Verkäufe von E-Autos in der Schweiz um fast 10 Prozent. Die Amag ist besonders betroffen davon – wobei Haefner die Verantwortung vor allem bei der Politik sieht: Sie schrecke vor verbindlichen Massnahmen zurück und fahre beim ersten Gegenwind die Förderung der E-Mobilität zurück. Damit ist das nächste Thema gesetzt: die verkehrspolitischen Irrwege links-grüner Stadtregierungen. «Diese Kreise», enerviert sich Haefner, «setzen knallhart ihre Eigeninteressen durch, um ihre Klientel im linken Milieu zu befriedigen.» Das eidgenössische Miteinander bleibe auf der Strecke.

Es ist der einzige Moment, in dem der sonst so kontrollierte Mathematiker die Contenance verliert. Das Millionengrab bei Swiss Steel scheint ein Klacks zu sein dagegen.

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