Samstag, September 6

Während die Welt 1816 nach dem heftigsten Vulkanausbruch der Menschheitsgeschichte in Dunkelheit und Not versinkt, schreibt die 18-jährige Mary Wollstonecraft Godwin am Ufer des Genfersees ihren ersten Roman.

Im Sommer 1816 genossen die Gäste im Hotel d’Angleterre ein skandalöses Spektakel. Derart fasziniert war man vom Geschehen am gegenüberliegenden Ufer des Genfersees, dass nicht nur Ferngläser, sondern auch Teleskope zum Einsatz gekommen sein sollen. Fokussiert wurden sie abwechselnd auf zwei Häuser unterhalb des Dörfchens Cologny.

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Dort, mit Blick auf Genfersee und Juramassiv, die französischen Alpen im Rücken, steht die Villa Diodati und stand einst auch, zu Fuss nur acht Minuten von der Villa entfernt, die Maison Chapuis. Zwei Monster wurden in diesen Häusern geboren, die nicht nur die Literaturgeschichte nachhaltig prägten, sondern bis heute Teil der Populärkultur sind: Der erste moderne Vampir – und Victor Frankensteins schreckliches Geschöpf.

Davon allerdings ahnten die vornehmlich britischen Gäste im Hotel d’Angleterre nichts. Sie interessierten sich nicht für Monster, ihnen reichten die Menschen. Über die berichtete zu Hause in England sogar die Regenbogenpresse.

Lord, Ehebrecher, Monstermutter

In der Villa Diodati wohnt während dieses Sommers Lord Byron – Dichter, Dandy, wichtiger Vertreter der englischen Romantik. Und durch das Gemisch aus Geld, bewundertem Talent, Verruchtheit und Extravaganz, das ihn umgibt, eine Art Rockstar seiner Zeit. Für viele Gäste im Hotel d’Angleterre war die Tatsache, dass der berühmte Byron nach Genf fuhr, Grund genug für die Reise in die Schweiz.

Begleitet wird Byron von seinem Leibarzt John Polidori, seinerseits ein aspirierender Autor. Nachdem beide zu einem Gesellschaftsanlass in Genf eingeladen worden sind, schreibt Polidori in sein Tagebuch: «Der Name von Lord Byron wurde allein erwähnt; mein Name war, wie ein Stern im Strahlenkranz des Mondes, nicht zu erkennen.»

Nur einen Tag zuvor hat Polidori, der in seinem Tagebuch Namen gern abkürzte, notiert: «L. B. traf Mary Wollstonecraft Godwin, ihre Schwester und Percy Shelley. Ich bestieg das Boot und ruderte hinaus auf den Genfersee.» Damit ist die Diodati-Truppe komplett. Und der Skandal perfekt.

Ein britischer Skandal

Treibende Kraft hinter der Idee, in diesem Sommer an den Genfersee zu reisen, ist Claire Clairmont, Mary Godwins Stiefschwester. Sie wurde nach einer kurzen Londoner Affäre mit Lord Byron schwanger und hofft, ihn in der Schweiz wiederzusehen. Das allerdings werden die neugierigen Bewohner hinter ihren Teleskopen am anderen Ufer des Sees nie erfahren. Stattdessen wissen sie bestens Bescheid über die inakzeptable Beziehung zwischen Mary Godwin, 18-jährige Tochter aus umstrittenem Haus, und dem noch anderweitig verheirateten, adeligen Dichter Percy Bysshe Shelley.

Bereits Marys Nachnamen sind für die Gesellschaft ein Makel. Ihre Mutter Mary Wollstonecraft war Frauenrechtlerin, bekannt geworden etwa mit ihrem Werk «A Vindication of the Rights of Woman» (1792). Als sie den Autor und Philosophen William Godwin kennenlernte, hatte sie bereits eine uneheliche Tochter, Fanny. Das störte Godwin, der König, Gott und Ehe ablehnte, allerdings nicht.

Elf Tage nach der Geburt ihrer Tochter, die Mary Wollstonecraft nach sich selbst benannte, starb sie am Kindbettfieber. Godwin zog die beiden Töchter Fanny und Mary anfangs alleine gross und ermöglichte ihnen einen für Mädchen seltenen Zugang zu Literatur, Wissenschaft und Politik.

Was der Gesellschaft als Makel galt, faszinierte Percy Shelley: Da stand, irgendwann im Frühjahr 1814, die 16-jährige Tochter zweier intellektueller Rebellen vor ihm. Belesen und aufgewachsen mit den Idealen eines Philosophen, den er bewunderte. Dass William Godwin seine Ansichten besonders in Bezug auf die freie Liebe unterdessen revidiert hatte, ignorierte der verheiratete Shelley.

Am Grab von Wollstonecraft erklärten die beiden sich ihre Liebe. Einen Monat später brachen sie, noch immer unverheiratet, gemeinsam mit Godwins zweiter Stiefschwester, Claire Clairmont, zu einem Unterfangen auf, das die Shelleys eine Europareise nannten, die englische Gesellschaft dagegen eine Flucht.

Endstation Luzern

«Wir verliessen London am 28. Juli 1814, an einem so heissen Tag, wie es in diesen Breiten seit Jahren nicht der Fall gewesen war», schreibt Mary Godwin in «Geschichte einer sechswöchigen Reise durch Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Holland 1814». Ein dünnes Büchlein, das Godwin und Shelley 1817, noch vor ihrer Heirat, anonym veröffentlichen werden. Von Dover setzten sie in einer stürmischen Nacht nach Calais über.

In Paris kauften sich Godwin und Shelley ein grünes Notizbuch, in dem sie fortan gemeinsam ein knappes, ereigniszentriertes Tagebuch führten. Obwohl man sie vor herumstreunenden Soldaten warnte, die nach dem Ende der Napoleonischen Kriege noch nicht in die Heimat zurückgefunden hatten – oder anderweitig vom rechten Weg abgekommen waren –, reisten Shelley und die Schwestern weiter. Zu Fuss, mit einem Maultier für das Gepäck, das Geld war knapp. Unterwegs las man sich gegenseitig Mary Wollstonecrafts Schriften vor, führte Tagebuch, und Godwin notierte 1826 in einer Erinnerung an jene Zeit: «Es war wie in einem Roman, wie eine gelebte Romanze.» Bis den Reisenden in Luzern das Geld ausging und sie über Deutschland und die Niederlande heimkehren mussten.

Der zweite Tod

Als Napoleon aus seiner Verbannung auf der Insel Elba nach Frankreich zurückkehrte, gebar die mittlerweile 17-jährige Godwin ihr erstes Kind. Das Mädchen, Clara, kam zwei Monate zu früh zur Welt und starb wenige Tage nach der Geburt. In das gemeinsame Tagebuch schrieb sie: «Montag, 6. März – fand mein Baby tot auf. Ein miserabler Tag.» Später: «Ich war eine Mutter und bin es nicht mehr.» Und schliesslich: «Ich träumte, dass mein kleines Baby wieder zu leben begann; dass es kalt war und wir es vor dem Feuer warm rieben und es lebte.»

Als im Juni 1815 Napoleons Regentschaft der 100 Tage bei Waterloo ihr endgültiges Ende fand, wurde Godwin wieder schwanger. Ende Januar des neuen Jahres brachte sie in einer bescheidenen Mietwohnung in London einen Sohn zur Welt. Zu Ehren seines Grossvaters taufte sie ihn William, Shelley nannte ihn liebevoll «Willmouse».

Im darauffolgenden Sommer 1816 reisten Godwin, Shelley und Clairmont mit William erneut in die Schweiz. Diesmal reichte das Geld bis Genf.

«Den ganzen Tag Regen»

In «Geschichte einer sechswöchigen Reise» schreibt Shelley: «Der See liegt zu unseren Füssen, und in einem kleinen Hafen liegt unser Boot, mit dem wir unsere abendlichen Ausflüge auf dem Wasser geniessen. Leider können wir kaum noch über den strahlenden Himmel staunen, der uns bei unserer Ankunft in diesem Land begrüsste. Fast ununterbrochener Regen zwingt uns, hauptsächlich im Haus zu bleiben.» Und weiter unten: «Die Gewitter, die uns heimsuchen, sind grandioser und furchterregender als alles, was ich bisher gesehen habe.»

Byrons Leibarzt Polidori notiert mehrmals knapp in seinem Tagebuch: «Den ganzen Tag Regen.» An den Folgetagen manchmal nur noch: «Same» – «das Gleiche». Oft folgte als Zusatz ein Treffen mit den Shelleys, die Polidori der Einfachheit halber Mr. und Mrs. S. nannte. Innerhalb kürzester Zeit verschmolzen die Bewohner der Maison Chapuis und jene der Villa Diodati zu einer Gruppe, die fast alle Tage gemeinsam verbringt. Obwohl ihr eigenes Haus nur wenige Minuten entfernt ist, übernachten Godwin, Shelley und Clairmont nach den langen Abenden am Kamin oft in der Villa Diodati.

Auch Godwin beschäftigt das unüblich kalte, feuchte Wetter. Im grünen Notizbuch notiert sie während eines Ausflugs in die französischen Alpen: «Es regnete weiter in Strömen. (. . . ) Als wir ankamen, waren wir nass bis auf die Haut.» Doch was man in der Villa Diodati mit einer Mischung aus Resignation und naturwissenschaftlichem Interesse zur Kenntnis nimmt, ist tatsächlich eine zwar temporäre, aber schwerwiegende globale Klimaveränderung.

Die Welt verdunkelt sich

In den Monaten, die als «Sommer ohne Sonne» in die Geschichtsbücher geschrieben wurden, sank die globale Durchschnittstemperatur um knapp drei Grad. In der Schweiz schneite es noch im Juli bis ins Flachland, die Anzahl Regentage stieg um 80 Prozent, und unter der schwachen, meist wolkenverhangenen Sonne wuchsen die Pflanzen auf den Feldern ungenügend oder gar nicht.

Weltweite Hungersnöte und Epidemien waren die Folge. Als im Frühjahr endlich wieder eine wärmende Sonne am Himmel aufzog, schmolzen die überdurchschnittlich grossen Schnee- und Eismassen und sorgten für schlimme Überschwemmungen. In der Schweiz stieg die Mortalitätsrate für die Jahre 1816 und 1817 um 20 Prozent.

Erst hundert Jahre später fand der amerikanische Klimaforscher William Jackson Humphreys eine Erklärung für das, was sich wie das Ende der Welt angefühlt haben muss: Im April 1815 war im heutigen Indonesien der Tambora ausgebrochen. Der grösste Vulkanausbruch der Menschheitsgeschichte begrub sein Umland unter Lava, spie eine gigantische Wolke aus Asche, Staub und Schwefelverbindungen in die Atmosphäre und sorgte für eine drastische Abkühlung des Weltklimas.

Sturm und Geister

Während der ewige Regen rauscht, ist für Godwin, Shelley, Byron und Konsorten nicht viel zu tun, ausser zu lesen, zu diskutieren und sich einer romantisch-düsteren Weltuntergangsstimmung hinzugeben. Meist schlafen die fünf bis am Mittag. Denn oft wird bei Alkohol und der Opiumtinktur Laudanum bis tief in die Nacht diskutiert.

Sie sprechen über den geistigen Zwischenzustand beim Schlafwandeln, über die Experimente von Erasmus Darwin, Charles Darwins Grossvater, der – so erzählt man es sich – zerhackten Würmern neues Leben eingehaucht haben soll. Dazu kam die Frage, ob man mittels Elektrizität irgendwann tote Teile zu einem lebendigen Ganzen würde zusammenfügen können. Meistens, so wird Godwin später schreiben, hätten Shelley und Byron diskutiert, «ich war eine andächtige Zuhörerin».

Im August besucht der Gothic-Autor Matthew Lewis die Villa. Nach seinem bekanntesten Werk, «Der Mönch» (1796), hat Lewis den Spitznamen «Monk» erhalten. Shelley schreibt im grünen Notizbuch: «Wir sprechen über Geister; weder Lord Byron, noch Monk Lewis scheinen an sie zu glauben; beide sind sich einig, dass im Angesicht der Vernunft niemand an Geister glauben kann, der nicht auch an Gott glaubt.» Irgendwann, wie Godwin schreibt, fallen der Gruppe «einige Bände mit Geistergeschichten, aus dem Deutschen ins Französische übersetzt, in die Hände».

Die «Fantasmagoriana»

Vor dem Kamin liest Byron nun regelmässig aus der «Fantasmagoriana», dieser Sammlung deutscher Schreckensgeschichten, vor. In ihren Sesseln und Sofas erschauern die Zuhörer wohlig. Eines Abends, so wird es Shelley später aufschreiben, schlägt Byron vor, dass alle eine eigene, neue Geistergeschichte erfinden und vortragen könnten.

Später zählt Godwin auf: Byron habe eine «Erzählung, von der er einen Ausschnitt am Ende seines Gedichts ‹Mazeppa› veröffentlichte», angefangen, Shelley «begann eine Geschichte, die auf den Erfahrungen seiner frühen Lebensjahre basierte. Der arme Polidori hatte eine schreckliche Idee über eine Frau, die dafür bestraft wurde, dass sie durch ein Schlüsselloch spähte – was sie dort sah, habe ich vergessen –, etwas sehr Schockierendes und Unrechtes natürlich.»

Polidori kommt bald zum selben Schluss wie Godwin, legt die eigene Idee ad acta und bedient sich stattdessen grosszügig bei Byrons nie vollendeter Vampir-Erzählung – und schreibt sie zu Ende: «The Vampyre» ist die erste moderne Vampirgeschichte der Weltliteratur und das Vorbild für Bram Stokers «Dracula». Byron allerdings hat ihm den Ideendiebstahl nie verziehen.

Die Geburt eines Monsters

Während Clairmont gar nicht erst mit einer Geschichte beginnt, scheint Godwin sich selbst unter Druck zu setzen. Sie will eine Geschichte schreiben, «die die geheimnisvollen Ängste unserer Natur ansprach und spannenden Horror weckte». Doch es fällt ihr nichts ein. «Hast du dir eine Geschichte ausgedacht?, wurde ich jeden Morgen gefragt, und jeden Morgen musste ich mit einem demütigenden Nein antworten», erinnert sie sich später.

Eines Nachts in der Villa Diodati allerdings, «selbst die Geisterstunde war bereits vorbei», ergreift die Phantasie urplötzlich von ihr Besitz. «Ich sah den blassen Studenten der unheiligen Künste neben dem Wesen knien, das er zusammengesetzt hatte. Ich sah das abscheuliche Phantom eines ausgestreckten Mannes, das dann, durch die Kraft eines mächtigen Motors, Lebenszeichen von sich gab und sich mit einer unruhigen, halb lebendigen Bewegung regte», schreibt Mary Godwin Jahre später.

Erschrocken sei sie aus der eigenen Phantasie hochgefahren, dann habe sie ein beglückender Gedanke erfasst: «Ich habe es gefunden! Was mich erschreckt hat, wird auch andere erschrecken.» Ihre Biografen bezweifeln allerdings, dass die Erinnerung mehr ist als bloss eine gute Story. Im grünen Notizbuch jedenfalls steht am 22. Juli: «Ich schreibe und schreibe an meiner Geschichte» und einen Monat später: «Shelley und ich sprachen über meine Geschichte (‹Frankenstein›).»

Frankensteins Genf

«Liebe Berge! Mein schöner See! Wie heisst ihr euren Wanderer willkommen?», ruft Victor Frankenstein, als er aus Ingolstadt nach Genf zurückkehrt. In ihr grünes Notizbuch schreibt seine Autorin nach einer mehrtägigen Alpenwanderung im Juli 1816: «Jura und See wie alte Freunde wiedergesehen.»

«Dies ist der einsamste Ort der Welt; er ist von vereisten Bergen umgeben; es gibt keinerlei Anzeichen von Vegetation», schreibt Godwin in ihr grünes Notizbuch, nachdem sie den Gletscher Mer de Glace bestiegen hat. «Wir begaben uns auf das Eis; es ist von unregelmässigen Spalten durchzogen, deren Seiten blau erscheinen, während die Oberfläche schmutzig weiss ist.» Später wurde aus dem Alpengletscher das Arktisbild, wie es bei «Frankenstein» vorherrscht.

Während einer Wanderung entlang der Arve durch das Chamonix-Tal schreibt Mary Shelley in das grüne Notizbuch, wie die Berggipfel «in den gleichmässigen Wolken verschwanden, während der Regen vom dunklen Himmel fiel und den melancholischen Eindruck, den die Objekte um mich herum auf mich machten, verstärkte». Bald darauf lässt sie Frankenstein sagen: «Am nächsten Morgen regnete es in Strömen, und dichter Nebel verhüllte die Berggipfel. Ich stand früh auf, fühlte mich jedoch ungewöhnlich melancholisch. Der Regen bedrückte mich.»

Percy Shelley klagt über Genf: «Die Stadt ist von einer Mauer umgeben, deren drei Tore genau um zehn Uhr geschlossen werden, und dann kann sie keine Bestechung (wie in Frankreich) mehr öffnen.» Auch Frankenstein steht bei seiner Rückkehr nach Genf vor verschlossenen Stadttoren. «Frankenstein» zu lesen heisst auch, von Genf, seinem Umland, dem See und jenem Sommer ohne Sonne zu lesen.

Hinter den Hecken

Wer sich heute in den Wintergarten des Hotel d’Angleterre setzt, sähe wohl auch mit einem Teleskop nicht viel vom Geschehen in der Villa Diodati. Längst ist alles um sie herum gewachsen. Die Bäume und Hecken, die Mauern und die vielen neuen Villen an den vielen neuen Strassen. Wer mit dem Schiff in einigen Minuten nach Cologny übersetzt, wie die Diodati-Truppe das gern tat, sieht Porsches und Jaguare im Schritttempo über Quartierstrassen fahren, bevor sie durch ein leise zur Seite gleitendes Einfahrtstor ins Private verschwinden.

Mehr als zweihundert Jahre liegt der Sommer ohne Sonne zurück. Doch auch an diesem Sommertag im Jahr 2025 bricht das Gewitter vom Jura her über den See. Regenschlieren verwischen erst den Horizont, bevor graue Wolken auch die Sonne über Cologny verschlucken. Als wüsste der Himmel selbst, woran er erinnern soll.

Die Shelleys kehrten Ende August 1816 mit Claire, William und dem Schweizer Kindermädchen nach London zurück, im Dezember heirateten sie. Als «Frankenstein» 1818 anonym publiziert wurde, glaubten Leser und Kritiker, den Roman eines Mannes in Händen zu halten. Wie Sir Walter Scott, der das Werk hoch lobte, vermuteten viele Percy Shelley als Autor. Mary Shelley korrigierte die Fehlinterpretation allerdings bald.

Auf den munteren Sommer ohne Sonne folgte für Mary Shelley ein Leben auf der Schattenseite. In den sechs Jahren nach ihrer Rückkehr aus Genf starben ihre Halbschwester Fanny, ihr Sohn William, die später geborene und ebenfalls Clara genannte Tochter und schliesslich, bei einem Bootsunglück im Meer vor dem italienischen Viareggio, Percy Shelley.

Im Vorwort zur dritten, überarbeiteten Ausgabe von «Frankenstein» (1831) schrieb Shelley über ihren ersten Roman: «Ich hege eine Zuneigung zu ihm, denn es ist das Ergebnis glücklicher Tage, als Tod und Trauer nur Worte waren, die in meinem Herzen keinen wahren Widerhall fanden. Seine zahlreichen Seiten erzählen von vielen Spaziergängen, vielen Ausflügen und vielen Gesprächen, als ich nicht allein war; mein Begleiter war jemand, den ich in dieser Welt nie wieder sehen werde.»

Mary Shelley: Frankenstein. Editiert von Paul Hunter. Third Norton Critical Edition, London 2022.
Miranda Seymour: Mary Shelley. Grove Press, New York 2000.
Rebekka Rohleder & Klaudia Ruschkowski: Mary Shelley. Was wurde aus den Geistern? Texte der Frankenstein-Autorin. S. Marix Verlag, Wiesbaden 2022.
Thomas Moore: Life of Byron. Band 3. Project Gutenberg, Salt Lake City 2005.
William Michael Rossetti: The Diary of Dr. John William Polidori 1816. Relating to Byron, Shelley, etc. Richard Clay & Sons, London 1911.

Künstler und ihre Orte

rbl. · Die einen gehen an den Genfersee, andere zieht es ins Tessin oder Engadin: Künstler suchen sich besondere Orte. Sei es, weil sie Anregungen erhalten durch die Landschaft, oder weil sie ein Haus finden, das ihnen als Rückzugsort ungestörtes Schaffen verspricht. In einer Reihe von Artikeln stellen wir temporäre Refugien von bedeutenden Künstlern, Dichtern und Musikern in der Schweiz vor. Den Auftakt macht die englische Schriftstellerin Mary Shelley, die 1816 in Cologny am Genfersee den Anfang des Romans «Frankenstein» schrieb. Am nächsten Samstag lesen Sie an dieser Stelle über den Wiener Schriftsteller Felix Salten, der vor den Nazis nach Zürich geflüchtet war, wo er die Fortsetzung seines Weltbestsellers «Bambi» schrieb.

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