Mittwoch, Dezember 4

Feintool streicht Stellen in Süddeutschland. Für den Hauptaktionär Michael Pieper wird sein Investment zunehmend zu einem Verlustgeschäft.

Die Krise der europäischen und besonders der deutschen Automobilindustrie macht vor Schweizer Zulieferern nicht Halt. Das Berner Unternehmen Feintool, das sich mehrheitlich im Besitz des Industriellen Michel Pieper befindet, sieht sich schon zum zweiten Mal dieses Jahr gezwungen, einen grossen Personalabbau anzukündigen.

Personalabbau im Raum Stuttgart

Dieses Mal trifft es zwei Produktionsstätten in der Nähe von Stuttgart. Insgesamt sollen dort knapp 200 Arbeitsplätze wegfallen. Im vergangenen Mai hatte das Unternehmen bereits bekanntgegeben, an seinem Stammsitz in Lyss 70 Stellen zu streichen.

Per Mitte dieses Jahres zählte Feintool gruppenweit noch knapp 3300 Beschäftigte. Der Konzern kämpft wie fast alle Unternehmen, deren Aktivitäten auf die Automobilindustrie ausgerichtet sind, mit einer schwachen Auftragslage.

Kunden reduzieren Aufträge oder stornieren sie ganz

Die Probleme haben sich jüngst noch verschärft. Weil Autohersteller in Europa ihrerseits zu wenig Arbeit hätten, würden sie Bestellungen reduzieren oder ganz stornieren, sagte eine Unternehmenssprecherin auf Anfrage.

Bitter für Feintool ist, dass inzwischen selbst das Geschäft mit Elektroautos in der Krise steckt. Das Unternehmen, das traditionell mithilfe seiner Anwendungen in den Bereichen Feinschneiden und Umformen vor allem Metallteile für Autos mit Verbrennungsmotor produziert hatte, diversifizierte in den vergangenen Jahren zunehmend in das Segment Elektroblechstanzen.

Dieses kommt bei der Herstellung von Elektromotoren zum Einsatz. 2022 wurde der deutsche Konkurrent Kienle + Spiess erworben. Feintool ermöglichte dies, die Aktivitäten im Bereich Elektroblechstanzen deutlich auszubauen.

Verlagerungen nach Ungarn und nach Tschechien

Im Zuge dieser Akquisition wurden auch die beiden Produktionsstätten in Sachsenheim und in Vaihingen an der Enz im Grossraum Stuttgart übernommen. Die beiden Fabriken liegen nur zehn Kilometer voneinander entfernt. Das Werk in Sachsenheim soll bis Ende 2027 geschlossen werden. Die bisherige dortige Produktion, die das Unternehmen als «verlustreich» bezeichnet, wird an den Feintool-Standort im ungarischen Tokod verlagert. Man verfüge in Ungarn über ein «hochmodernes» Werk.

Laut der Unternehmenssprecherin lässt sich in Ländern Ostmitteleuropas weiterhin zu wettbewerbsfähigeren Konditionen als in Deutschland und in der Schweiz produzieren. Im Zusammenhang mit dem Stellenabbau in Lyss hatte Feintool bekanntgegeben, die Grossserienfertigung im Bereich Feinschneiden von der Schweiz in das Werk im tschechischen Most zu transferieren. Die Restrukturierung in Lyss wurde mittlerweile abgeschlossen. Entgegen der ursprünglichen Ankündigung konnte der Abbau auf rund 60 Stellen begrenzt werden.

Die Automobilproduktion in Europa steckt in einer hartnäckigen Absatzkrise. Nach Einschätzung der meisten Branchenbeobachter dürften 2024 nochmals weniger Autos als im Vorjahr hergestellt werden.

Selbst Elektroautos sind in Europa weniger gefragt

Im vergangenen Jahr beschränkte sich der europaweite Absatz auf 11,5 Millionen Personenwagen. Vor der Pandemie waren es noch bis zu 16 Millionen pro Jahr gewesen. Wie Arno Antlitz, der Finanzchef von Volkswagen jüngst sagte, dürfte der europäische Automobilmarkt nie mehr auf die früheren Spitzenniveaus kommen.

Mittlerweile schrumpfen nicht nur die Verkäufe von Autos mit Verbrennungsmotor. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres bildete sich auch der Absatz von E-Autos im Vergleich zum Vorjahr um 5 Prozent zurück. In Deutschland erreichte der Rückgang sogar 27 Prozent.

Feintool schloss das erste Semester dieses Jahres mit einem Verlust von 3 Millionen Franken ab, nachdem in der Vorjahresperiode sogar ein Fehlbetrag von 21 Millionen Franken resultiert hatte. Auf eine Prognose für das Gesamtjahr verzichtete das Unternehmen mit der Begründung, die Visibilität sei dafür zu gering.

Auch nun hat sich das Management nicht dazu geäussert, mit welchen Geschäftszahlen es rechne. Nach Einschätzung von Analytikern der Zürcher Kantonalbank (ZKB), die bis anhin schon auf Stufe Betriebsergebnis (Ebit) einen Verlust von 8 Millionen Franken prognostiziert hatten, dürfte Feintool angesichts der misslichen Marktsituation und zusätzlicher Restrukturierungsaufwendungen noch tiefer in die Verlustzone rutschen. «Wir haben nun deutlich höhere Kosten anzurechnen», halten sie fest.

Der Aktienkurs von Feintool fiel am Dienstag bis zum frühen Nachmittag um weitere knapp 4 Prozent auf unter 15 Franken. Die Börsenkapitalisierung des Unternehmens beträgt damit nur noch gut 200 Millionen Franken.

Der starke Wertverlust ist vor allem für den Hauptaktionär Michael Pieper bitter. Er kontrolliert über die Beteiligungsgesellschaft Artemis 50,1 Prozent des Kapitals von Feintool. Artemis, in deren Führung mittlerweile auch Sohn Alexander sowie die Tochter Nina und deren Ehemann involviert sind, besitzt unter anderem auch den Küchenausrüster Franke.

Erst vor einer Woche hatte Feintool zudem angekündigt, dass der langjährige Verwaltungsratspräsident Alexander von Witzleben nicht für ein weiteres Amtsjahr zur Verfügung stehen werde. Von Witzleben, der als enger Vertrauter von Pieper gilt, hatte das Präsidium seit 2009 inne und stand interimistisch ein Jahr lang auch der Geschäftsführung vor. Er soll durch den bisherigen Vizepräsidenten Norbert Indlekofer ersetzt werden, der dem Gremium seit 2018 angehört.

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