Neuerdings patrouillieren schwerbewaffnete Soldaten in der New Yorker Subway. Sie sind Teil eines Massnahmenpakets der Gouverneurin Kathy Hochul. Sie will so Verbrechen verhindern, die statistisch gesehen gar nicht zugenommen haben.
Nach einigen aufsehenerregenden Gewalttaten sind seit Anfang März die Sicherheitsvorkehrungen in der New Yorker U-Bahn massiv verstärkt worden. Sogar die Nationalgarde patrouilliert in den Subway-Stationen. Abgesehen von der Präsenz der Stadtpolizei, die aufgestockt wurde, sind 1000 weitere Einsatzkräfte im Dienst – dazu gehören Polizisten des Gliedstaats New York sowie die 750 Nationalgardisten. Abgesehen davon, dass sie die Bahnhöfe überwachen und Präsenz markieren, durchsuchen sie stichprobenartig Taschen der Passagiere.
Vom Freund vor den einfahrenden Zug gestossen
Darüber hinaus sollen spezielle Teams Leute mit psychischen Problemen erkennen und entsprechenden Institutionen zuführen. Zusätzliche Kameras wurden installiert, Fahrverbote für verurteilte Angreifer ausgesprochen und Dateien mit Wiederholungstätern angelegt. Auch neue Schranken wurden erstellt, die Schwarzfahrer nicht mehr so leicht überspringen können. Die meisten Massnahmen wurden von Kathy Hochul angeordnet, der demokratischen Gouverneurin des Gliedstaats New York.
Hintergrund der Massnahmen war eine ganze Reihe von schockierenden Vorkommnissen. Am 14. Januar wurde ein 45-Jähriger, der bei einem Streit wegen lauter Musik schlichten wollte, in einer U-Bahn im Stadtteil Brooklyn erschossen. Für Aufsehen sorgte auch ein Schusswechsel zwischen rivalisierenden Jugendbanden; bei der bewaffneten Auseinandersetzung auf einem U-Bahn-Perron in der Bronx am 12. Februar wurde ein Mann getötet und fünf weitere Personen verletzt. Am 29. Februar wurde einem Zugführer ein Messer in den Hals gestossen, als er an einer Haltestelle in Brooklyn aus dem Fenster schaute; er konnte im Spital gerettet werden.
Ähnliche Fälle ereigneten sich allerdings auch nach der Einführung der Sicherheitsmassnahmen. Am 14. März griff ein Mann, der mit einer Pistole und einem Messer bewaffnet war, im Stadtteil Brooklyn während der Fahrt einen Passagier an, der ihm jedoch die Waffe entreissen und auf ihn schiessen konnte. Am 9. März wurde eine Frau von ihrem Freund in Manhattan vor einen einfahrenden Zug gestossen. Beide Beine mussten ihr amputiert werden. Etwas Vergleichbares ereignete sich am 25. März, als ein Mann in Harlem von einem Unbekannten auf die Gleise geschubst, vom Zug erfasst und getötet wurde. Bei dem verhafteten Täter handelte es sich laut der Polizei um einen 24-Jährigen mit schweren psychischen Problemen.
Die Bedrohung ist eher subjektiv als objektiv
Untersuchungen der Metropolitan Transportation Authority (MTA), die für die Subway verantwortlich ist, zeigen, dass sich viele Passagiere unsicher fühlen. Offensichtlich reagierte Hochul mit ihren Massnahmen auf dieses verbreitete Unbehagen. Bemerkenswert ist allerdings, dass es zwar in der Metro und in den Stationen von Drogensüchtigen, Obdachlosen und Leuten wimmelt, die eigentlich psychiatrische Hilfe brauchen, aber die Kriminalität kaum zugenommen hat. Wie es die «New York Times» kürzlich formulierte: «Die Verwaltung investiert Millionen, damit sich die Passagiere sicherer fühlen. Ausschlaggebend dafür ist aber weniger die tatsächliche Häufigkeit von Vorfällen als vielmehr deren Wahrnehmung durch die Bevölkerung.» Tatsächlich erreichte die Kriminalität rund um das Metrosystem während der Corona-Zeit ein Rekordhoch, sank dann aber rasch.
Letztes Jahr nahmen die gewaltsamen Vorfälle im Vergleich zu 2022 um 3 Prozent ab, zugleich nahm die Zahl der Passagiere um 14 Prozent zu. In diesem Jahr war es bis Anfang März zu drei tödlichen Gewalttaten gekommen, in der gleichen Periode im Vorjahr zu einer. Diese Zahlen sind allerdings so niedrig, dass der Zufall eine grosse Rolle spielt und sich kaum systematische Schlussfolgerungen ziehen lassen.
In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Drastik und die mediale Behandlung der Fälle wichtiger als die Anzahl Fälle. Wenn man sich vor Augen führt, dass täglich mehr als drei Millionen Personen die Subway in New York benützen, aber jeden Tag drei Personen bei Autounfällen ums Leben kommen und eine Person umgebracht wird, ist es statistisch gesehen sicherer, sich in New York mit der U-Bahn fortzubewegen als mit dem Auto oder zu Fuss.
Die Massnahmen sind Teil des Wahlkampfs
«Die Wahrnehmung wird für die Leute zur Realität», sagte Lisa Daglian, Direktorin des Permanent Citizens Advisory Committee bei der MTA, gegenüber der «New York Times». «Wenn du zwar siehst, dass die Zahlen in den Statistiken sinken, die Nachbarn aber sagen, dass sie Angst hätten, die Metro zu benutzen, dann wird das deine Wirklichkeit.»
In der BBC wird Jeffrey Fagan, Experte für öffentliche Sicherheit an der Columbia Law School, mit den Worten zitiert: «Man geht mit einer Krise der Obdachlosigkeit und der psychiatrischen Versorgung um, als handle es sich um eine Kriminalitätskrise. Natürlich gibt es Kriminalität in der U-Bahn, aber nicht in epidemischem Ausmass.» Einige Kritiker sprechen angesichts der Massnahmen von «einschüchternder Militarisierung», die das Gefühl der Bedrohung verstärke statt mindere, und von einem «Sicherheitstheater».
Wichtiger als die nüchterne Statistik dürften allerdings die näher rückenden Präsidentschaftswahlen sein. Kriminalität, gerade im demokratisch dominierten New York, ist immer ein beliebtes Argument der Republikaner gegen die «Linken». Mit der publikumswirksamen Entsendung der schwerbewaffneten Soldaten signalisiert Hochul, dass sie nicht zu den «Laisser-faire-Liberalen» gehört und die Durchsetzung von Gesetz und Ordnung nicht den Konservativen überlässt.