Samstag, Oktober 5

Der gemässigte Politiker hat sich gegen seinen erzkonservativen Konkurrenten durchgesetzt. Im Wahlkampf forderte er Reformen und bessere Beziehungen zum Westen. Wieviel er davon tatsächlich umsetzen kann, ist ungewiss.

Auf den letzten Metern wählten die Unterstützer von Masud Pezeshkian nochmals dramatische Worte, um die Iraner zum Urnengang zu bewegen: Es sei eine Wahl zwischen Tag und Nacht, sagte etwa der populäre frühere Aussenminister Mohammed Javad Zarif, der quer durch das Land gereist war, um für Pezeshkian die Werbetrommel zu rühren. Mit Erfolg. Tief in der Nacht auf Samstag stand fest: Pezeshkian hat es geschafft. Er ist der neue Präsident der Islamischen Republik Iran.

Der 69-jährige Politiker der Reformer setzte sich mit 16,3 Millionen zu 13,5 Millionen Stimmen gegen den ultrakonservativen Hardliner Said Jalili durch. Er folgt damit auf Ebrahim Raisi, der vor knapp zwei Monaten bei einem Helikopterunglück ums Leben gekommen war. Pezeshkians Sieg gelang allerdings erst einer Stichwahl. Vergangene Woche war es keinem der Kandidaten gelungen, in der ersten Runde die benötigte absolute Mehrheit zu erzielen.

Pezeshkian will die Beziehungen zum Westen verbessern

In Teheran strömten noch in der Nacht zahlreiche Anhänger des siegreichen Kandidaten auf die Strassen, um zu feiern. Grosse Euphorie löst der Erfolg allerdings nicht aus. Denn viele Iraner haben den Glauben an die Reformierbarkeit ihres Landes verloren. So verzeichnete die erste Runde der Präsidentschaftswahlen vor einer Woche eine rekordtiefe Wahlbeteiligung von knapp 40 Prozent. Und auch am Freitag gingen trotz der dringlichen Aufrufe nur knapp 50 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne.

Pezeshkian ist nach Mohammed Khatami und Hassan Rohani der dritte moderate Präsident in der Geschichte der Islamischen Republik. Der 69-jährige Herzchirurg aus der nordiranischen Stadt Mahabad war Gesundheitsminister unter dem Reformpräsidenten Khatami gewesen und mehrfach als Abgeordneter ins iranische Parlament gewählt worden. Dem Arzt, der seine Frau vor Jahren bei einem Unfall verloren hatte und seine Kinder alleine aufzog, stand der ultrakonservative Hardliner Jalili gegenüber, ein Mann der Sicherheitskräfte.

In den Tagen vor der Wahl hatten sich die beide Kandidaten zum Teil hitzige Debatten geliefert. Pezeshkian beschuldigte Jalili dabei, den isolierten und unter den westlichen Sanktionen leidenden Iran wirtschaftlich ruinieren zu wollen. Zudem kündigte er an, im Falle eines Sieges die Beziehungen Teherans zum Westen zu verbessern. Vor allem aber äusserte sich Pezeshkian immer wieder kritisch über die bleierne Stimmung im Land. Schon 2022 hatte er die Sicherheitskräfte kritisiert, als diese mit harter Hand gegen die Proteste vorgingen, die nach dem gewaltsamen Tod der Studentin Mahsa Amini ausgebrochen waren.

Die Macht des Präsidenten ist begrenzt

Gleichzeitig gab sich Pezeshkian aber auch stets als treu ergebener Anhänger des greisen Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei – dem eigentlich starken Mann in Teheran – und äusserte sich lobend über die Revolutionswächter – jene Prätorianergarde, welche die Sicherheits- und Aussenpolitik des Landes massgeblich bestimmt. Er stellte sich zudem hinter den iranischen Drohnen- und Raketenangriff auf Israel im April. Möglicherweise gelang es ihm so, auch Stimmen aus dem konservativen Lager zu gewinnen.

Auf den Sieger warten jetzt grosse Herausforderungen. Iran steckt seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise, leidet unter Sanktionen und droht, angesichts der Kämpfe in Gaza in einen offenen Krieg gegen Israel und Amerika zu schlittern. Zudem kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Aufständen und Demonstrationen gegen das Regime – zuletzt 2022, als Zehntausende gegen die strengen Moralgesetze der Islamischen Republik auf die Strasse gingen.

Ob Pezeshkian viel bewirken kann, ist fraglich, denn die Macht des Präsidenten in Iran ist begrenzt. Er wäre nicht der erste moderate Staatschef, der sich an den konservativen Machteliten die Zähne ausbeisst. Seinen Vorgänger Khatami und Rohani wurden von Khamenei und den Revolutionswächtern schnell die Grenzen aufgezeigt. Der neue Präsident wird deshalb wohl vordringlich versuchen, innenpolitisch die zuletzt eng angezogenen Daumenschrauben wieder etwas zu lockern und so Spannungen abzubauen.

Gedämpfte Stimmung im Land

Das könnte auch im Sinne des um seine Nachfolge besorgten Khamenei sein. Ob der Neue auch aussenpolitisch über Spielraum verfügt, wird sich zeigen. Zwar hat Pezeshkian erklärt, die Verhandlungen über ein neues Atomabkommen wieder aufnehmen zu wollen. Allerdings hängen deren Erfolgsaussichten nicht nur von der Zustimmung der Teheraner Machtelite ab, sondern auch davon, wer im November die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnt.

Entsprechend gedämpft ist daher die Stimmung im Land. Vor allem viele junge Iraner haben sich zuletzt von der Politik abgewandt. Sie glauben nicht mehr daran, dass ein moderater Präsident entscheidend auf die Politik einwirken kann. Auch deshalb fiel es Pezeshkian schwer, mit seiner Kandidatur Begeisterung auszulösen – obwohl er im Vergleich zu seinem verstorbenen Vorgänger Ebrahim Raisi, der als Revolutionsrichter in den Achtzigerjahren Tausende Oppositionelle zu Tode verurteilt hatte, fast schon wie eine Lichtgestalt wirkt.

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