Sonntag, April 20

Er ist achtfacher Weltmeister im Orientierungslauf. Bei seinem Marathon-Debüt brilliert Kyburz in 2:07,44 Stunden und schafft die Qualifikation für die Olympischen Spiele. Sein Trainer Viktor Röthlin nannte das eine Mission Impossible.

Das Marathon-Wochenende von Matthias Kyburz in Paris könnte auf den ersten Blick ein Ausflug eines Hobbyläufers sein: Er fuhr mit dem E-Bike zum Start und machte am Tag nach dem Lauf noch ein wenig Sightseeing mit der Familie. Doch der Eindruck täuscht gewaltig. Mit 2:07,44 Stunden lief Kyburz eine Zeit, die über die Landesgrenzen hinaus verblüffte. Der 34-jährige Orientierungslauf-Spezialist unterbot bei seinem Marathon-Debüt die Olympialimite um fast eine halbe Minute und wurde zum drittschnellsten Schweizer über diese Distanz.

Nur Tadesse Abraham (2:05,01) und Kyburz› Coach Viktor Röthlin (2:07,23) sind je schneller gelaufen – im Verlauf ihrer Karriere, nicht beim Debüt wohlgemerkt. «Ich glaube, es verstehen nur ganz wenige, was diese Leistung bedeutet», sagt Röthlin, der sonst nie um Worte ringt. Was also bedeutet sie? «Sie ist unglaublich!»

Kyburz selbst sagt, dass ihm die Erfahrung aus seiner langen Sportkarriere geholfen habe. Dass bei Kilometer 20 etwa seine Flasche mit dem Kohlenhydrat-Getränk nicht da gestanden habe, hätte er vor ein paar Jahren mental nicht so einfach weggesteckt, auch die ersten Krämpfe nicht.

Schon vor zehn Jahren sagte ihm der Verbandsarzt der Orientierungsläufer nach einem Leistungstest, seine Werte seien optimal für den Marathon. Diese Worte hat der Fricktaler stets im Hinterkopf behalten, «doch der OL hat mich dann doch immer mehr gereizt». Bis im vergangenen Herbst, als eine Saison zu Ende ging, die mit der Heim-WM in Flims einen langersehnten Höhepunkt gebracht hatte. Bei acht WM-Titeln in diversen Disziplinen steht der Allrounder Kyburz mittlerweile. Bei der Planung des Jahres 2024 dachte er auf der Suche nach neuer Motivation, dass der Zeitpunkt für einen Marathon-Versuch nun gekommen sei.

Er rief den früheren Europameister und WM-Dritten Viktor Röthlin an, der beim selben Sportarzt war. Dieser hatte Röthlin immer wieder erzählt, «dass es da einen OL-Läufer gebe, der bessere Werte hat als ich und Tadesse». Die Aufgabe, für Kyburz die Trainingspläne zu schreiben, reizte Röthlin. Auch wenn nur zwölfeinhalb Wochen Zeit blieben. Eine «Reise ins Ungewisse» nannte Kyburz das Unterfangen, eine «Mission Impossible» Röthlin, was weniger mit dem Potenzial als mit der kurzen Vorbereitung und dem ausgesuchten Marathon zusammenhing.

Er hat bereits den Swiss Alpine Davos und den GP Bern gewonnen

Dass der Rheinfelder ein hervorragender Läufer ist, war längst klar: 2020 pulverisierte er beim Swiss Alpine Davos über 42,7 Kilometer mit 1324 Höhenmetern den Streckenrekord der Berglaufspezialisten. Im gleichen Jahr hatte er während des Corona-Shutdowns den Laufband-Weltrekord über 50 Kilometer verbessert. Auch den prestigeträchtigen GP Bern über zehn Meilen gewann er schon.

Doch das Training für einen Strassen-Marathon ist ein völlig anderes. «Mir gefällt es, einfach loszulaufen», sagt Kyburz. Rein in den Wald, über Stock und Stein, ohne genau zu wissen, wie die Einheit letztlich aussehen wird. Doch nun hat er 90 Prozent der Trainings auf und um den Flughafen Bern-Belp absolviert. Kyburz hatte Bedenken, ob sein Körper den Wechsel auf den Asphalt gut vertragen würde, zumal der Trainingsplan für die kurze Zeit knallhart war.

Röthlin fragte Kyburz deshalb, ob er sich bewusst sei, dass das Projekt auch mit einer Verletzung enden könnte. Kyburz hielt das nicht vom Unterfangen ab; er war selten verletzt. «Seine Belastungstoleranz ist extrem hoch, sein Körper robust», sagt Röthlin. In jedem einzelnen Training habe Kyburz die Ziele erreicht oder war gar schneller. Bis zu 38 Kilometer weit liess er ihn laufen, er musste lange Intervalle absolvieren, kilometerweite Steigerungsläufe.

Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, trainierte Kyburz zwar qualitativ wie Röthlin zu dessen besten Zeiten, aber nicht vom Umfang her. Rund 75 Prozent der üblichen 220 Kilometer pro Woche eines Profi-Marathonläufers rannte er, in den Spitzenwochen kam er auf 180 Kilometer. Zudem machte Kyburz mehr Krafttraining als zuvor.

Die Monotonie war auch eine Folge der Entscheidung, dass Kyburz auf ein Trainingslager verzichtete. Seit Januar sind er und seine Frau Sarina, ebenfalls langjährige Spitzen-Orientierungsläuferin, Eltern einer Tochter. Sie teilten sich die Betreuung: Er stand im ersten Teil der Nacht auf, sie im zweiten, so kamen beide zu genügend Schlaf. Auch konnte sich Kyburz sein 40-Prozent-Pensum als Projektleiter Nachhaltigkeit bei den SBB gut einteilen.

Kyburz nennt Freude und Motivation als Hauptantrieb

Der nächste Knackpunkt: Der Paris Marathon gilt nicht als schnelle Strecke, rund 2,5 bis 3 Minuten kommen im Vergleich mit den schnellsten Kursen wie Berlin obendrauf. Bei einem Projekt mit einer einzigen Chance auf die Olympia-Qualifikation hätte Röthlin ein anderes Rennen bevorzugt. Doch davon wollte Kyburz nichts wissen. «Ich mache Sport aus Freude, die Motivation ist eines meiner Hauptziele», sagt Kyburz. Sein Herz habe für Paris geschlagen, schon das Einlaufen auf den Champs-Elysées sei ein Highlight gewesen, «und ich wurde durch die Ambiance für das Risiko entschädigt».

Diese Freude ist ein Teil von Kyburz, der Röthlin tief beeindruckt. Der Rheinfelder sei ein Typ, der mit sich und dem Leben komplett im Reinen sei und eine gewisse Lockerheit habe. «Und doch kann er im Training an die Grenzen gehen und leiden.»

Für Kyburz gab es noch einen zweiten Grund, weshalb er das Rennen in Paris auswählte: Hätte er die Olympialimite nicht geschafft, wäre er in die OL-Saison eingestiegen. «Zwei Wochen später wäre es dafür zu knapp gewesen.» Geplant hat er tatsächlich nur bis zum vergangenen Sonntag, für Juni eigentlich schon eine OL-Woche in Finnland gebucht.

Doch das sensationelle Rennen in Paris wirbelt alles durcheinander. Als Erstes nimmt er die Planung für den Olympia-Marathon vom 10. August in Angriff, vermutlich weiterhin mit Röthlin.

Und dann? Röthlin traut Kyburz den Schweizer Rekord von 2:05,01 zu, den Tadesse Abraham im März aufgestellt hat. Mit 34 Jahren stehen ihm noch mehrere Jahre im besten Marathonalter bevor. Kyburz lacht vorerst nur, wenn es um seine Zukunft in der Leichtathletik statt dem Orientierungslauf geht: «Schauen wir mal.» Unbedingt möchte er an den OL-WM in Finnland 2025 den Titel über die Langdistanz gewinnen, der ihm noch fehlt. Und dann denkt er laut nach: Vielleicht könnte er ja die Saison halb auf die WM und danach auf einen Herbst-Marathon ausrichten? Seine Mission Impossible hat ihm neue Möglichkeiten eröffnet.

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