Zürichs künftiger Intendant setzt in seiner ersten Spielzeit ab Herbst auf klangvolle Sängernamen, wagt mehr Opulenz und will die Oper für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen zugänglicher machen. Auch einem Konflikt weicht Schulz nicht aus.
Der Hausherr greift zum Einstand selbst in die Tasten: Matthias Schulz, der neue Intendant der Oper Zürich ab Herbst 2025, wird die Besucher am 19. September nicht bloss als Programmmacher und verantwortlicher Strippenzieher hinter den Kulissen begrüssen, er steht auch selbst als ausübender Musiker auf der Bühne. An diesem Abend begleitet der ausgebildete Pianist ein Liedrezital der Mezzosopranistin Elīna Garanča. Es macht den Auftakt zu einem mehrtägigen Eröffnungsfest, mit dem Schulz am Zürcher Opernhaus eine neue Zeitrechnung einläuten und nach der dreizehn Jahre währenden Ära von Andreas Homoki eigene Zeichen setzen will.
Auftritte als Künstler sollen dabei allerdings nicht zur Regel werden – die überlässt der 1977 in Bad Reichenhall geborene Deutsche, bis 2024 Intendant der Berliner Staatsoper Unter den Linden, lieber seinem künstlerischen Leitungsteam. Es umfasst auch künftig einige bereits bestens bekannte Gesichter: Sowohl die 2023 als Nachfolgerin von Christian Spuck so erfolgreich gestartete Ballettdirektorin Cathy Marston wie auch der seit 2021 amtierende Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda bleiben auf ihren Posten.
Musen, Schwan und Panther
Dennoch deutet Schulz mit seinem Einstand an, was er anders machen will als Homoki, der im Gegensatz zu ihm auch selber inszenierte. Schulz will den Opernbetrieb noch mehr für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen zugänglich machen und auch als Intendant «nahbar» erscheinen, wie er sagte. Oper solle als Kunstform bloss nicht «weihevoll» und erst recht nicht «als geschlossenes System für Eingeweihte rüberkommen», betonte Schulz bei der Vorstellung seiner ersten Spielzeit 2025/26 am Donnerstag im Spiegelsaal des Opernhauses.
Deshalb wolle man sich künftig, wie bei den beliebten Kochshows im Fernsehen, auch in Zürich häufiger «in die Töpfe schauen lassen». Dafür wird sogar eine Art Labor geschaffen, nämlich eine zusätzliche Spielstätte in einem ehemaligen Kino in Zürich Oerlikon, an der experimentelle und unkonventionelle Formate möglich sein sollen. Schulz zielt damit nicht zuletzt auf die jüngeren Generationen, von deren Zuspruch die Zukunft der von jeher kostspieligen und daher hoch subventionierten Opernkunst abhängen wird – ein richtiger Schritt.
Gekocht wird freilich auch im historischen Stammhaus am Sechseläutenplatz, und zwar ausgesprochen fleissig. Die Anzahl der Neuinszenierungen auf der Hauptbühne steigt auf dreizehn Opernpremieren, hinzu kommen vier neue Ballettabende und nicht weniger als sechzehn Wiederaufnahmen von erfolgreichen Produktionen aus früheren Spielzeiten.
Seinem Vorvorgänger Alexander Pereira, der das Haus mit noch mehr Produktionen an Leistungsgrenzen geführt hatte, will Schulz damit nicht Konkurrenz machen. Es gehe ihm aber darum, das Musiktheater in seiner ganzen Vielfalt und Buntheit erlebbar zu machen, in jenem bewussten «Zuviel an Reizen, Ausdrucksmitteln und unterschiedlichen Handschriften», das die Kunstform seit über vierhundert Jahren prägt.
Dass die Zeichen künftig wieder mehr auf Opulenz stehen und vielleicht auch auf etwas verspielte Leichtigkeit im Umgang mit der Tradition, deutet schon das neue Corporate Design des Hauses an. Es greift in leicht ironischer Weise architektonische Details des neoklassizistischen Helmer-und-Fellner-Baus auf: Neben antiken Göttinnen und Musen, Putten und Fabelwesen schmücken künftig auch ein Narren-Zepter, ein fliegender Schwan und ein schwarzer Panther die Publikationen und die Website der grössten Schweizer Kulturinstitution.
Neues Barock-Festival
Noch mehr Opulenz verheisst ein neues, zehntägiges Alte-Musik-Festival mit Konzerten und insgesamt drei Barockopern-Premieren – ein Konzept, das Schulz ähnlich bereits an der Berliner Lindenoper realisiert hat. Im Rahmen von «Zürich Barock» kehrt im März 2026 unter anderem Cecilia Bartoli als Cleopatra in Händels «Giulio Cesare» ans Opernhaus zurück. Der gefeierte Countertenor Philippe Jaroussky stellt sich ausserdem in Händels «Aci, Galatea e Polifemo» als Dirigent am Pult des hauseigenen Originalklang-Ensembles La Scintilla vor. Und mit Jean-Marie Leclairs «Scylla et Glaucus», einer «Tragédie en musique» nach Ovids «Metamorphosen», präsentiert man sogar eine sehr ausgefallene Opernentdeckung.
Auch bei den Sängerbesetzungen im gewohnten Repertoire setzt Schulz deutlich offensiver als sein Vorgänger auf klangvolle Namen. Ob die Prominenz, die federführend von der neuen Casting- und Operndirektorin Xenia Hofmann versammelt wurde, lebendiges und obendrein zugängliches Musiktheater in Schulz’ Sinne liefern wird, muss sich im Einzelnen weisen.
So wird etwa Diana Damrau als Marschallin in der von Lydia Steier inszenierten Eröffnungspremiere des «Rosenkavaliers» debütieren und später auch die Titelrolle in Richard Strauss’ «Arabella» übernehmen. Jonas Kaufmann, Sonya Yoncheva und Bryn Terfel liefern sich einen Showdown in Puccinis «Tosca». Und Elīna Garanča wird sich im Januar 2026 am Opernhaus von Bizets Carmen, einer ihrer Schlüsselrollen, verabschieden.
Netrebko – und ein Monster
Für Aufsehen sorgte bei der Spielplan-Präsentation eine Personalie, die allerdings schon bald nach der Berufung von Matthias Schulz durchgesickert war: Auch Anna Netrebko soll ans Opernhaus zurückkehren, und zwar im November 2025 als Leonora in einer Neuinszenierung von Verdis «La forza del destino». Schulz bleibt damit seiner Linie treu: Er hatte sich schon im September 2023 in Berlin, trotz Protesten auf der Strasse und aus der Politik, für eine Rehabilitierung der Sängerin eingesetzt. Netrebko gilt an etlichen Bühnen und Festivals bis heute wegen einer angeblichen Nähe zu Wladimir Putin oder zu dessen Politik als Persona non grata.
Auf Nachfrage erklärte Schulz, man müsse sich vor einer falschen Ideologisierung hüten, indem man Künstler wie Netrebko «als Sündenböcke» instrumentalisiere, «weil man an die Richtigen nicht herankommt». Diese Position wird seit ungefähr zwei Jahren von einer wachsenden Zahl von Veranstaltern geteilt, darunter seit langem auch von der Mailänder Scala. Gleichwohl könnte das Engagement Netrebkos spätestens im Herbst auch in Zürich wieder zu Diskussionen führen.
Künstlerisch deutlich ergiebigere Debatten dürfte sich Schulz von dem herausragenden Uraufführungsprojekt seiner ersten Saison erhoffen, das in einer Kooperation mit den Opernhäusern in Hamburg und Graz entsteht. In der Politgroteske «Monster’s Paradise», die als Schweizer Erstaufführung nach Zürich kommt, reisen die Komponistin Olga Neuwirth und ihre Librettistin, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, als selbsternannte «Vampiretten» um die Welt und beobachten den Niedergang der Menschheit. Derweil kämpfen ein tyrannischer Herrscher und ein von ihm heraufbeschworenes Seeungeheuer unbeeindruckt weiter um die Macht.