Samstag, März 15

Am Wochenende startet die Formel-1-Saison in Australien. Verstappen will den fünften Titel in Serie, doch die Konkurrenz ist stärker geworden. Wie sehr macht ihm die Situation wirklich zu schaffen?

Ein Weltmeister, der klar im Schatten des letztjährigen WM-Siebten steht, das grenzt an Majestätsbeleidigung. Für gewöhnlich führt das sofort zu Kontroversen in einer Sportart wie der Formel 1, wo die Egos der Menschen häufig grösser sind als der Hubraum der Motoren. Doch Max Verstappen, viermal in Folge Champion, lehnt sich in Melbourne häufiger mal entspannt zurück. Ihm ist es recht, dass alle Welt auf Lewis Hamiltons ersten Auftritt im Ferrari fixiert scheint.

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Zum einen, weil er ohnehin nie die Öffentlichkeit sucht. Zum anderen, weil er seinen Red-Bull-Rennwagen nicht auf Anhieb als siegfähig ansieht – im ersten Training in Melbourne wurde er Siebter. Und so sitzt vor dem Grossen Preis von Australien am Sonntag ein beinahe seltsam entspannter 27-Jähriger auf dem Sofa, der in seine zehnte Saison in der Königsklasse geht und Druck für etwas Abstraktes hält.

Ob das alles nur ein Bluff oder ein lakonischer Umgang mit der Realität ist, wird sich erst in ein paar Wochen weisen. Die Formel 1 war in letzter Zeit immer schwerer berechenbar, was einen Teil des Dramas und ihres Erfolgs ausmacht.

Klar scheint nur, dass Verstappen als Titelverteidiger dazu auserkoren ist, dieses letzte Rennjahr nach dem bestehenden Ground-Effect-Reglement retten zu müssen. Retten davor, dass der Konstrukteurs-Weltmeister McLaren den nach den Testfahrten prognostizierten Alleingang startet. Max Verstappen weiss dank seiner grossen Erfahrung, dass es seine schwierigste Titelverteidigung werden dürfte und sein Freund und Lieblingsrivale Lando Norris im McLaren der klare Favorit ist. Sein Mindset verändere das nicht, behauptet er. Er weiss, dass ein Mann wie er geschaffen ist für Ausnahmesituationen, den sogenannten Max-Faktor.

Schon im letzten Jahr sass er nur im drittbesten Auto und hat den Titel gegen Norris dennoch vorzeitig verteidigt – mit allen Mitteln und gelegentlich rüden Manövern. Weit heftiger noch war das Duell mit dem Mercedes-Piloten George Russell, der Verstappen vorwarf, er habe ihn absichtlich frontal in die Mauer gedrückt. Doch Verstappen bescheinigte dem erbosten Briten, er habe nach der Anschwärzung bei den Rennkommissaren jeden Respekt vor ihm verloren. Auf Kritik an seinem eigenen Stil lässt er sich nicht ein. Als mehrfacher Weltmeister wisse er, was er zu tun habe. «Das ist die Formel 1, kein Kindergarten.» Der grösstmögliche Anspruch an sich selbst ist für ihn, in keiner Situation kampflos aufzugeben.

Auf Erfolg getrimmt – nicht darauf, Herzen zu erobern

In Summe führten die Konflikte jedoch dazu, dass Verstappen bei der Präsentation aller Formel-1-Autos im Februar in London ausgepfiffen und ausgebuht wurde. Er behauptete danach glatt, er habe nichts gehört. Erst nach konkreter Nachfrage gestand er, seine Zeit nicht mit solchen Dingen verschwenden zu wollen. Was seine Fahrweise angeht, die am ehesten mit ausgefahrenen Ellbogen zu umschreiben ist, hat er bereits angekündigt: «Ich werde fahren, wie ich immer fahre.»

Verstappen ist nicht sozialisiert worden, die Herzen zu erobern. Schon als Kind wurde er von seinem Vater Jos auf Erfolg getrimmt, was zu einer grossen Fokussierung geführt hat. Aber auch zu einer gewissen Rücksichtslosigkeit, die kontraproduktiv wirken kann. Das richtig auszubalancieren, ist in jedem Rennen sein eigentlicher Kampf, ein innerer.

Der Bad Cop scheint Max Verstappens Paraderolle zu sein. Manchmal nervt ihn das, meistens spielt er es zu seinen Gunsten aus. Er sagt: «Ich bin nicht hier, um geliebt zu werden.» Ein vollumfänglicher Egoist. Gelegentlich erscheint es sogar so, als ob er sich über die Anzahl seiner Feinde definiert. Als Agent provocateur hat er nicht nur seinem Kumpel Lando Norris den Schneid abgekauft, er hat sich oft auch mit den Funktionären angelegt. Acht Strafpunkte bringt er mit ins neue Rennjahr, bei zwölf Zählern würde er gesperrt werden. Für den Fall des Falles, witzelte er, würde er diese Auszeit gern dann nehmen, wenn seine Lebensgefährtin Kelly Piquet das erste gemeinsame Kind auf die Welt bringt.

Pragmatisch, sarkastisch, nachdenklich – Max Verstappen hat viele Gesichter. Zweifellos hat der Niederländer an Profil gewonnen, seit die Überlegenheit seines Autos dahin ist. Die Saison 2025 erscheint aber vor allem deshalb als seine bislang schwierigste für eine Titelverteidigung, da die Konkurrenz geballt stärker geworden ist. Im Erfolgsfall wäre es sein fünfter Titel in Serie, das ist von der Anzahl her das Niveau von Juan Manuel Fangio. Fünf Gesamtsiege in Folge aber hat bislang allein Michael Schumacher geschafft. Es ist ein Ziel, das ganz Verstappens Ehrgeiz entspricht. Schon jetzt steht er seit mehr als tausend Tagen ununterbrochen an der Spitze der Formel 1.

Eine neue Superjacht und ein Langstrecken-Privatjet als Ablenkung

Wer auf den Kauf einer Superjacht namens «Unleash the Lion» und den Erwerb eines Langstrecken-Privatjets blickt, könnte darin eine gewisse Müdigkeit erkennen, sich immer nur mit der Formel 1 zu beschäftigen. Dass viel von Verstappens Freizeit in Auftritte bei Simulatorrennen und den Aufbau eines Touren- und Sportwagen-Rennstalls fliesst, unterstreicht ebenfalls den Wunsch nach Ablenkung.

Es ist die Sehnsucht, abseits der kräftezehrenden Saison mit ihrem Höchstmass an erforderlicher Disziplin auch einfach mal Freigeist sein zu können. Auszubrechen, auch wenn es immer nur für kurz ist. So wie in der Winterpause nach dem jüngsten Titelgewinn, als Verstappen mit kindlicher Freude nach eigenen Angaben erst einmal zehn Riegel Kinderschokolade verspeist hat.

Offiziell ist Max Verstappen noch bis Ende 2028 an Red Bull gebunden. Aber nach den vielen Kapriolen im Vorjahr um den Rennstall ist durchgesickert, dass der Vertrag Ausstiegsklauseln enthält. Laut britischen Medien ist bereits der Multimilliardär Lawrence Stroll in Erscheinung getreten, der hundert Millionen bieten soll, wenn Verstappen bei Aston Martin andockt.

Das eigentliche Faustpfand von Stroll aber heisst Adrian Newey. Der Design-Guru hat alle vier Weltmeisterautos Verstappens konstruiert und soll jetzt ein Mittelfeldteam schnell nach oben bringen. Dafür sucht er einen Vollstrecker. Auch häufiger auf der Anrufliste der Verstappens dürfte Toto Wolff erscheinen. Der Mercedes-Teamchef setzt zwar nach dem Abgang von Lewis Hamilton auf zwei Eigengewächse, aber wenn sich diese nicht durchsetzen und Verstappen verfügbar sein sollte, muss er in den Transferpoker einsteigen. Max Verstappen gefällt sich darin, es allein mit allen aufzunehmen – doch scheinbar wollen alle auch den einen.

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