In Rom werden sich 2025 die Touristenzahlen mit dem Jubiläum der katholischen Kirche auf mehr als 60 Millionen verdoppeln. Das könnte auch die Gastropreise in die Höhe treiben.
Ei, Schweinebacke, Pecorino und etwas Pfeffer. Mehr Zutaten braucht es nicht für die Rigatoni alla carbonara. Veganer und Vegetarier müssen wohl darauf verzichten. Allen anderen Rom-Reisenden wird sie in der Trattoria bestimmt empfohlen.
Die Carbonara ist ein Klassiker der italienischen Küche und ganz besonders der Küche Roms. Der kross gebratene Guanciale (nicht Speck!) und das sämige Ei-Käse-Gemisch (rigoros ohne Rahm!) bergen Suchtpotenzial. Sie können allerdings auch etwas schwer aufliegen. Die Carbonara ist ein wenig wie die Menschen dieser Stadt mit ihrem nuschelnden Akzent und dem Hang zu einem deftigen Humor: rotzig und herzhaft.
35 Millionen Touristen – und doppelt so viele kommen nun
Wie viel das Kulturgut Carbonara kosten darf, darüber wird in der italienischen Hauptstadt gerade diskutiert. Die Römerinnen und Römer machen sich gefasst auf den abermaligen Ansturm von Touristen, der ihrer geschichtsträchtigen Stadt bevorsteht. Keine andere europäische Destination hat seit der Corona-Pandemie einen grösseren Zuwachs an Besuchern erlebt. Rund 35 Millionen Gäste bestaunten in diesem Jahr das Kolosseum oder flanierten über die Piazza Navona – mehr als das Zehnfache der 2,8 Millionen Einwohner.
Und 2025 werden nochmals zusätzliche 30 Millionen erwartet. Am kommenden Heiligabend wird der Papst das «Giubileo» einläuten, das Jubiläum der Katholiken. Seit 1450 feiern sie alle 25 Jahre ihren Glauben – und das Kirchenoberhaupt erlässt ihnen dabei alle Sünden.
Alles wird teurer
Das ach so fromme Happening weckt allerdings bei Hoteliers, Gastrounternehmern und auch Immobilienhändlern die Gier. Mieten, Lebensmittel, der Restaurantbesuch – alles werde in Rom etwas teurer, klagen die Einheimischen. Die Gewerkschaften CGIL und UIL haben sich bereits beim Bürgermeister Roberto Gualtieri beschwert und die opportunistische Haltung vieler Unternehmer gerügt.
Auch Konsumentenschutz-Organisationen warnen vor der Teuerung. Der Verband Assoutenti geht davon aus, dass im kommenden Jahr ein «caffè» am Tresen nicht mehr 90 Cent, sondern bis zu 1 Euro 20 kosten dürfte. Für ein Fast-Food-Sandwich wird man rund 10 Prozent mehr als bisher zahlen müssen, für eine Pizza gar 15 Prozent mehr.
Und eben, die beliebte Carbonara. Noch vor wenigen Jahren war der Hunger nach ihr mit 7 Euro gestillt. Heute kostet sie im Zentrum Roms durchschnittlich 12 bis 14 Euro. Einzelne Edeladressen wie «Alfredo alla Scrofa» fordern jetzt schon 18 Euro für einen Teller.
Mit dem Jubiläum könnten die Preise weiter steigen. Die Organisationen finden das ungerecht für die Touristen – und erst recht für die Einheimischen. Denn sind die Preise einmal in der Höhe, kommen sie kaum wieder aufs einstige Niveau zurück. 2025 wird auf diese Weise nur für die Unternehmer zum «Jubeljahr».
Mit Logo sichtbar machen
Die Konsumentenschützer von Consumerismo no profit forderten deshalb mit einem offenen Brief an die Stadt einen Carbonara-Pakt. Behörden und Gastroverbände sollen faire Preise für bestimmte Gerichte aushandeln. Die Carbonara oder die ebenso typisch römischen Bucatini all’amatriciana sollen einen Preisdeckel von 12 Euro erhalten. So will die Organisation einer Entwicklung entgegenwirken, die sie als «wilde Spekulation» bezeichnet.
Wirte, die mitmachen, dürften dann mit einem Logo am Eingang, auf Websites oder auf Flyern für ihr Lokal werben. Gegen die anderen fordert Luigi Gabriele, der Präsident von Consumerismo no profit, harte Massnahmen: «Alle Restaurants, die während des Jubiläums höhere Preise verlangen und auf das Geld der Touristen spekulieren, sollten boykottiert und gemieden werden.» Er fordert sogar Kontrollen und Verbote für Betriebe, die sich nicht fügen.
Auch andere Organisationen wie etwa Assoutenti unterstützen diese Forderungen. Ihr Präsident Gabriele Melluso appellierte in der Römer Tageszeitung «Il Messaggero» an die Stadtverwaltung. Sie solle die Preise im Auge behalten und Spekulanten bestrafen. Auch der Dachverband der Gastrounternehmer will klare Preise für weitere Produkte wie die Pizza oder das Gelato.
Sündenerlass im Jahr 2050
Enrico D’Angeli sieht dem Jahr gelassen entgegen. Er betreibt in vierter Generation das «Grottino del Laziale» im Quartier Parioli. Die kleine Trattoria ist ein Schrein für die Fans des Fussballklubs Lazio – gefüllt mit signierten Matchtrikots, Zeitungsausschnitten und Schwarz-Weiss-Fotos, etwa des einstigen Publikumslieblings Paul Gascoigne.
«Bei mir kostet die Carbonara 10 Euro, und das wird sie auch in Zukunft kosten», sagt D’Angeli der NZZ. Bestimmt würden viele Gastrobetriebe den grossen Ansturm ausnutzen. «Ich finde es aber absurd und kontraproduktiv, die Preise zu erhöhen. Bleiben sie stabil, haben wir auch mehr Arbeit.» In Mailand gebe es ein Lokal, in dem koste die Carbonara 30 Euro, weiss D’Angeli. «Sind das Robin Hoods, die die Reichen beklauen?», witzelt er.
Ob die Stadt tatsächlich in die Preisgestaltung der Lokale eingreift, bleibt fraglich. Vermutlich wird die Aktion bloss auf Freiwilligkeit beruhen. Und manche Wirte werden die Touristenfalle legen. Der Papst wird’s ihnen verzeihen, spätestens beim nächsten Sündenerlass im Jahr 2050.