Annäherungen an die ebenso mächtige wie geheimnisumwobene Beraterfirma.

Der Anzug: nach Mass, die Ellbogen: ausgefahren. Sie seien zu allem fähig, aber für nichts schuldhaft, das sagt man den Unternehmensberatern gerne nach. Einen ganz besonderen Ruf haben die Mitarbeiter von McKinsey. Die «Mackies», so heisst es, seien die härtesten Player auf dem Platz. Ihre Arbeitszeiten seien länger, ihre Rechnungen höher, ihre Resultate besser. Sie stehen für Sparrunden, harte Schnitte und Stellenabbau: Wenn McKinsey kommt, müssen andere gehen.

Es heisst, die Beraterinnen und Berater von McKinsey würden 14 Stunden am Tag arbeiten, mindestens, sich nur für den Shareholder Value und den Cashflow interessieren und die Produktivität der Unternehmen mit der Stoppuhr messen. Ob das stimmt, weiss niemand so genau. Um McKinsey ranken sich viele Mythen. Und: McKinsey ist eine Blackbox.

Es ist ein Verhaltenskodex des Unternehmens, jegliche Information über Aufträge geheim zu halten. Wer wissen will, wen alles McKinsey berät, erhält Absagen. Nein, es können keine Namen von Unternehmen genannt werden. Auch keine Städte. Nicht einmal die Branche.

Wo McKinsey dran ist, lässt sich, wenn überhaupt, nur über die Kunden herausfinden. Ein Unternehmen, das explizit zugibt, mit Beratern zu arbeiten, will implizit zeigen, seine Probleme erkannt zu haben. So geschehen bei der Migros: Man lasse sich bei der Erarbeitung von Strategien von McKinsey beraten, teilte die Medienstelle vor kurzem mit.

Die Migros hat einen Haufen Probleme. Sie verdient im Supermarktgeschäft kaum noch Geld, im Jahr 2023 hat sie das schlechteste Ergebnis seit fast vierzig Jahren erzielt. Um die Kosten zu senken, entlässt sie zurzeit Hunderte von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Reichen wird das nicht.

Wenn die Migros überleben will, muss sie sich komplett neu aufstellen. Und hier tritt McKinsey auf: Das grosse Aufräumen ist das Verkaufsversprechen der Beraterfirma.

Zwei Welten vereinen sich. Hier die agilen Unternehmensberater, die Effizienz und Profit erstreben, da der träge Detailhändler, der sich als sozialer Arbeitgeber rühmt. Von dieser ungleichen Allianz hängt ab, wie die Migros in Zukunft aussehen wird. Und so mancher fragt sich: Kann das gutgehen?

Horrende Rechnungen

Christoph Lechner ist Professor für strategisches Management an der Universität St. Gallen. Er sagt: «Nicht immer sitzen in einer Geschäftsleitung die richtigen Personen, um eine Firma, der es fundamental schlechtgeht, aus dem Dreck zu ziehen.» Manche Chefs seien überfordert, andere befangen. Mit den Beratern holten sie sich eine objektive Sicht ins Haus.

McKinsey ist bekannt für sein Netzwerk aus ehemaligen «Mackies». Sabine Keller-Busse, Chefin der UBS, ist eine McKinsey-Alumna, ebenso wie der Post-Chef Robert Cirillo. Auch bei der Migros lernten drei von sieben Mitgliedern der Generaldirektion des Genossenschaftsbunds bei McKinsey. Sie müssten also wissen, wie es geht, und trotzdem lassen sie sich von ihren Ex-Kollegen helfen.

Die Berater arbeiten laut Lechner auf zwei Ebenen. Am Anfang steht eine Bestandsaufnahme der Geschäfte. «Sie schauen sich die Zahlen an und beurteilen, für welche Einheiten es eine Zukunft gibt und für welche nicht.» Danach gehe es darum, die Kosten in den verbleibenden Geschäften zu senken, bei der Migros sind das die Supermärkte. «Da geht McKinsey mit dem eisernen Besen durch.»

McKinsey zeigt der Migros also, wo sie sparen kann. Und schickt ihr, als grosser Widerspruch, gleichzeitig horrende Rechnungen. Der Experte Christoph Lechner schätzt, dass 40 bis 50 McKinsey-Berater mit der Migros beschäftigt sind. Ein Berater koste pro Monat ungefähr 100 000 Franken. Das wären also mehr als 4 Millionen Franken, die die Migros monatlich für McKinsey bezahlt.

Kein Job, sondern Identität

Dafür verspricht McKinsey seinen besten Kunden die besten Berater. Kaum ein anderes Unternehmen betreibt einen vergleichbaren Aufwand bei der Mitarbeitersuche. Im Jahr 2018 erhielt McKinsey 750 000 Bewerbungen, aber nur 5000 Mitarbeiter wurden neu eingestellt, das sind weniger als ein Prozent. Weltweit beschäftigt McKinsey 45 000 Leute. Viele bleiben nur wenige Jahre im Unternehmen.

Das Prinzip heisst «Up or out»: Erreicht ein Mitarbeiter nicht in festgelegten Zeiträumen die jeweils nächste Hierarchiestufe, muss er gehen. Ein kleiner Prozentsatz der Belegschaft wird später zum Partner oder Senior Partner gewählt und kann Tagessätze von 10 000 Franken verrechnen.

McKinsey wurde 1926 in Chicago gegründet, wenige Jahre später folgte die Weltwirtschaftskrise. Bei allen ging es nach unten, doch McKinsey stieg auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg expandierte McKinsey nach Europa, im Jahr 1962 wurde das Büro in Zürich eröffnet. Die ersten Kunden waren Nestlé, Sandoz und der Schweizerische Bankverein. Heute arbeiten in Zürich und Genf 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Es heisst, dass sich McKinsey-Berater sofort erkennten: an ihrer Sprache und an der Art, wie sie Probleme angehen, Präsentationen aufbauen. Unter der Woche jetten sie in der Businessclass von einem Auftrag zum nächsten, am Wochenende treffen sie sich im Wald und arbeiten am Team-Building. McKinsey ist mehr als ein Job, McKinsey ist Identität.

Inmitten von Pleiten

Mit der Schweiz ist McKinsey durch eine Geschichte verbunden, die bis heute nachwirkt: der Untergang der Fluggesellschaft Swissair. Für sie hatte McKinsey im Jahr 1997 die Hunter-Strategie entwickelt. Die Swissair könne nur eigenständig bleiben, wenn sie sich an ausländischen Airlines beteilige, so der Rat. Es wurde ein Desaster.

Die Käufe zahlten sich nie aus. McKinsey durfte trotzdem bleiben und Rechnungen für 100 Millionen Franken ausstellen. Im Jahr 2001 folgte das Grounding der Swissair. Es war die grösste Pleite in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte, und die Berater steckten mittendrin.

Ein anderes Projekt von McKinsey in der Schweiz war die Credit Suisse, ein weiterer Untergang. Joe Ackermann, langjähriger Chef der Deutschen Bank und früher Manager bei der Credit Suisse, schreibt in seiner jüngst erschienenen Autobiografie, die McKinsey-Berater trügen eine Mitschuld am Scheitern der CS: Aufgrund ihrer Ratschläge sei die traditionelle Bankenkultur in den neunziger Jahren aufgebrochen und zerschlagen worden, was die Amerikanisierung und die Bonuskultur erst ermöglicht habe. Und auch in den skandalträchtigen letzten Jahren der CS schwang McKinsey immer mit: Tidjane Thiam und Ulrich Körner, der drittletzte und der letzte CEO der Bank, waren einmal bei der Beraterfirma angestellt.

Beim grossen Deal von UBS und CS vor einem Jahr ging McKinsey nun leer aus. Das Mandat, die CS in die UBS zu integrieren, ging an den Konkurrenten Oliver Wyman. Und in der Szene war allen klar: McKinsey büsst für die Fälle Swissair und CS.

Berater können auch machtlos sein

Mit der Migros nimmt sich McKinsey nun die nächste Schweizer Institution vor. Und Professor Christoph Lechner sagt: «Es kann passieren, dass auch die Migros untergehen wird. Das kann man dann aber nur bedingt McKinsey in die Schuhe schieben.»

Dazu muss man wissen: Die Migros gönnt sich eine komplizierte Organisationsstruktur, bei der nicht die Zentrale regiert, sondern zehn Regionalgenossenschaften regieren die Zentrale. Es ist wie eine umgekehrte Pyramide, und sie macht die Migros unprofitabel und träge.

Der Experte Lechner vermutet, dass McKinsey der Migros geraten habe, sich von dieser Organisation zu lösen, die Migros das aber anscheinend nicht wolle oder nicht schaffe. Er sagt: «Wenn sich die Migros in diesem Punkt nicht verändert, ist jeder Berater der Welt machtlos.»

Mit der Macht ist es sowieso eine Sache: Man kann den Einfluss der Berater nur schlecht messen. Der sogenannte «Return on Consulting» ist umstritten, weil es etliche andere Faktoren gibt, die sich auf den Geschäftsgang auswirken.

Die Branche der Unternehmensberater wächst seit Jahren ohne Unterbruch. In der Schweiz haben sich die Einkünfte der grossen drei Beraterfirmen McKinsey, Bain und Boston Consulting Group seit dem Jahr 2010 verdreifacht. Auch international läuft es der Branche äusserst gut. Ihr Umsatz lag zuletzt bei 45 Milliarden Franken, und es heisst, von den hundert grössten Konzernen der Welt unterhielten neunzig Geschäftsbeziehungen zu McKinsey.

Die Berater sind eine kleine Gruppe mit grossem Einfluss. Und Kritiker sagen: ohne moralischen Kompass.

Fataler Opioidskandal

Waffenhersteller, autoritäre Regime, Ölfirmen; McKinsey sitzt bei unzähligen Unternehmen und Behörden mit am Tisch. Ein ehemaliger Berater umschreibt die Macht seines früheren Arbeitgebers folgendermassen: «Es gibt keinen Geheimbund, der die Geschichte der Menschheit bestimmt. Aber es gibt McKinsey.» Ausfindig gemacht haben das Zitat zwei Journalisten der «New York Times» für ihr «Schwarzbuch McKinsey», in dem sie ausführlich über die Fehlleistungen von McKinsey schreiben.

In einem Fall geht es um die Rolle der Berater im amerikanischen Opioidskandal. McKinsey hatte dem Medikamentenhersteller Purdue Pharma geraten, eine aggressive Vertriebsstrategie für dessen Schmerzmittel Oxycontin zu verfolgen, und zwar auch dann noch, als schon lange bekannt war, dass es schnell abhängig macht. Die Folge war eine landesweite Opioidkrise mit Hunderttausenden von Toten.

Mehr als vierzig amerikanische Gliedstaaten klagten gegen McKinsey, in den letzten Jahren kaufte sich das Unternehmen mit fast 800 Millionen Dollar frei. Die Vergleiche waren keine offiziellen Schuldgeständnisse, und doch verstärkten sie den Ruf des Unternehmens.

Die Bösewichte

Die meisten Mandate von McKinsey sind harmloser. Und sie gleichen sich oft in einem Punkt: Die Berater werden erst geholt, wenn ein Unternehmen schon in lauter Problemen steckt. Oft folgt dann ein Stellenabbau, den McKinsey zwar empfohlen hat, der aber auch unausweichlich war. Anders gesagt: Selbst wenn eine Firma intern weiss, was getan werden muss, holt sie sich externe Hilfe, um längst geplante Entlassungen zu vollziehen. Wie jetzt bei der Migros.

Im Februar hatte der Detailhändler erklärt, 1500 Stellen streichen zu müssen. Ein erster Teil wurde im Mai kommuniziert; 150 Personen erhielten eine Kündigung, darunter Schwangere und Frauen im Mutterschaftsurlaub. Am Dienstag könnten die nächsten Entlassungen bekanntwerden. Ausserdem sucht die Migros Käufer für mehrere Fachgeschäfte, den Industriebetrieb Mibelle und die Tochterfirma Hotelplan. Auch dort werden Arbeitsplätze verlorengehen.

Geht die Strategie der Migros auf und verdient sie bald wieder Geld, ist dem Management das Lob sicher. Kommt es anders, und die Zahlen der Migros werden in Zukunft noch schlechter sein, werden viele die Berater als die Schuldigen sehen.

McKinsey wird, wie immer, in keinem der beiden Fälle eine öffentliche Erklärung abgeben. Es ist das Geschäftsmodell der Beraterfirma, sich für die Rolle des Bösewichts bezahlen zu lassen – und dann zum nächsten Projekt zu wechseln.

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