Die Konzerne versprechen Trump Milliarden, loben die USA – und beklagen, Schweizer zahlten zu wenig für Arzneimittel. Das Lobbying-Powerplay hat begonnen.
Seit Donald Trump den Schweizer Pharmariesen mit Zöllen für die Einfuhr von Medikamenten in ihren grössten und lukrativsten Markt droht, ist die Branche in Aufruhr. Allerdings richten die Konzernchefs ihre Mahnungen nicht an den US-Präsidenten, sondern an Bern und Brüssel. Ihre Botschaft: Der alte Kontinent drohe für Investitionen unattraktiv zu werden, wenn die Hersteller für die Arzneimittel nicht mehr Geld von den Krankenversicherungen und Patienten erhielten.
Europa müsse dringend seinen Markt wettbewerbsfähiger machen, forderte der Novartis-CEO Vas Narasimhan am Dienstag im Gespräch mit Journalisten: «Ich hoffe, dass die EU-Kommission und die Schweizer Regierung darüber nachdenken, wie Innovation wertgeschätzt werden kann. Sie sollten nicht einfach hoffen, dass wir hier produzieren, nur weil andere Aspekte der Standortbedingungen gut sind.» Die Politiker müssten klar sagen, dass Medikamente hier hergestellt werden sollten – «und dafür angemessen bezahlen».
Medikamente seien in der Schweiz zu günstig
Thomas Schinecker, der Chef von Roche, stiess jüngst ins selbe Horn: «Die Schweiz ist dafür bekannt, dass sie in vielen Lebensbereichen sehr teuer ist. Aber nicht bei Medikamenten», sagte er in der vergangenen Woche gegenüber Medienvertretern. Es sei etwas erstaunlich, dass in einem Land wie der Schweiz, das so sehr von der Pharmabranche profitiere, manche Medikamente deshalb nicht zugänglich seien. «Das machen wir auch der Regierung klar», so Schinecker.
Die Pharmaindustrie macht es von den Preisen, die sie in einem Land für ihre Medikamente verlangen kann, abhängig, welche Arzneimittel sie dort zulässt und anbietet. In den USA erzielen die Hersteller deutlich höhere Preise, weil sie dort grössere Verhandlungsmacht besitzen. In Europa und der Schweiz sind die Preise regulierter und werden mit den nationalen Behörden vereinbart. Nach Auslegung der Branche wird dabei ihre Forschung nicht genug anerkannt.
Der Novartis-Chef Vas Narasimhan hatte sich vergangene Woche zusammen mit Paul Hudson, dem CEO des französischen Konkurrenten Sanofi, mit einem Brief in der «Financial Times» zu Wort gemeldet. Die Manager verwiesen auf Investitionen von mehr als 150 Milliarden Dollar in den USA, welche Pharmakonzerne jüngst angekündigt hatten, um auf die drohenden Einfuhrzölle zu reagieren.
Die Aussichten für den amerikanischen Markt seien sehr gut, dank vorteilhafter Politik und Regulierung. «Leider kann das für Europa nicht gesagt werden», hiess es in dem Brief. Unter anderem brauche die EU eine einheitliche Preisliste, die sich an den Preisen in den USA orientiere, forderten die Konzernchefs.
Hohe Versprechen für Trump – aber wenig neues Geld
Auch Roche und Novartis haben erhebliche Investitionen in den USA versprochen. Novartis sagte Anfang April Ausgaben von 23 Milliarden Dollar in den kommenden fünf Jahren zu. Die amerikanische Nachfrage solle bald weitgehend aus amerikanischer Produktion bedient werden. Narasimhan bezeichnete das als Strategiewechsel. Roche doppelte vergangene Woche nach und gelobte 50 Milliarden Dollar, die in Forschungsstätten und Produktionsanlagen gesteckt werden.
Allerdings dürfte ein Grossteil des Geldes nicht neu sein und soll offenbar primär einen guten Eindruck in Washington machen. Die angekündigten Investitionen von Roche sind so hoch wie 80 Prozent des letzten Jahresumsatzes. Theoretisch würde das die Kasse des Unternehmens schwer belasten und sich potenziell auf die Höhe der Dividenden auswirken.
Doch es gibt Entwarnung: Die zuvor geplanten Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für neue Anlagen würden nicht erhöht, versicherte der Konzernchef Schinecker. Gleichzeitig sind bei Roche und Novartis keine Kürzungen laufender Ausgaben an anderer Stelle geplant.
Der Novartis-CEO Narasimhan erklärte, man werde die gute Präsenz behalten, die man in Slowenien, der Schweiz, Österreich und Frankreich habe. Doch bei neuen Investitionen macht der Chef Druck: «Was wir in der Zukunft tun, hängt wirklich davon ab, wie Europas Politiker die Bedingungen verändern.»
Derweil entsteht nicht der Eindruck, als stünden die Pharmariesen in den USA vor einer Existenzkrise: Novartis erhöhte am Dienstag seinen Ausblick für das Gesamtjahr. Neu prognostiziert das Unternehmen ein Umsatzwachstum im hohen einstelligen Prozentbereich. Alle möglichen Zolleffekte seien darin berücksichtigt, hiess es. Zwischen Januar und März setzte Novartis 13,2 Milliarden Dollar um, 12 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Roche hat im ersten Quartal den Umsatz auf 15,4 Milliarden Franken gesteigert, wie der Konzern in der vergangenen Woche meldete – ein Plus von 7 Prozent zum Vorjahresquartal. Das USA-Geschäft war für 40 Prozent des Erlöses verantwortlich. Roche bestätigte trotz Zollgefahr den Jahresausblick. Die Produktionskapazitäten in den USA seien noch nicht voll ausgelastet, und die Lager wurden bereits aufgestockt.
Während die Zölle ein kurzfristiges Problem sind, ist die Höhe der Medikamentenpreise eine anhaltende, strukturelle Frage für die Branche. Tatsächlich lägen die Preise in den USA meist viel höher als in der Schweiz, erläutert Simon Wieser, Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Das liegt aber in erster Linie am fehlregulierten US-Pharmamarkt», sagt er.
Es gibt Wege für Schweizer Patienten
Verglichen mit dem europäischen Ausland seien die Preise patentgeschützter Medikamente in der Schweiz allerdings noch relativ hoch, so Wieser. Dies auch deshalb, weil die Schweizer Behörden, wenn sie den heimischen Preis festlegen, sich an den «Schaufensterpreisen» in den anderen Ländern orientieren – Listenpreisen, die aufgrund hoher Rabatte aber deutlich über den tatsächlich bezahlten Preisen liegen.
Das Argument der Pharmabranche, durch zu niedrige Preise werde die Verfügbarkeit von Medikamenten für Schweizer Patienten eingeschränkt, mag der Experte nicht teilen. Der Zugang zu neuen Medikamenten sei gut möglich, wenn auch kompliziert für alle Involvierten, sagt Wieser – und verweist auf Regelungen, wonach auch Arzneimittel, die in der Schweiz nicht zugelassen sind, im Einzelfall vergütet werden können.
Die stetig steigenden Krankenkassenprämien dürften hierzulande die Bereitschaft dämpfen, für Medikamente mehr zu zahlen. Im Jahr 2023, als die Gesundheitskosten in der Schweiz insgesamt knapp 94 Milliarden Franken erreichten, machten Medikamente daran 11,4 Milliarden Franken aus. Das war ein Anstieg von fast 20 Prozent gegenüber dem Jahr 2019, der Zeit vor der Corona-Pandemie.
Dennoch ist die Industrie aus Amerika ein besseres Geschäft gewohnt: Die Schweiz gab 2023 immerhin knapp 12 Prozent der Wirtschaftsleistung für Gesundheit aus – der dritthöchste Wert unter OECD-Ländern. Das war geringfügig weniger als Deutschland, aber weit unter dem Wert der USA, die einen Anteil von fast 17 Prozent des Bruttoinlandprodukts erreichten.
Kommen die Preise in den USA unter Druck?
Höhere Preise in Europa könnten auch deshalb für die Branche wichtiger werden, weil die paradiesischen Verhältnisse in den USA nicht in Stein gemeisselt sind: Dort gibt es Bestrebungen, den Behörden mehr Macht zum Verhandeln der Preise zu geben. Präsident Joe Biden unternahm erste Schritte. Auch Donald Trump verfolgte in seiner ersten Amtszeit dieses Ziel, bevor er wegen handwerklicher Fehler vor Gericht gestoppt wurde.
Trump strebte damals gegen den Widerstand der Branche eine Regelung an, wonach sich die US-Medikamentenpreise an den günstigsten im Ausland orientieren sollten. Möglicherweise wird er dieses Ziel nun wieder aufgreifen. Die Pharmakonzerne dürften hoffen, durch höhere Preise in Europa auch den Unterschied zu den amerikanischen Preisen zu verkleinern. Damit würden sie nicht nur in Europa mehr verdienen, sondern in den USA auch die Argumente für eine Preisregulierung schwächen – und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.