Montag, September 16

Hudaverdi Yaman / Anadolu / Getty

Die Küstendörfer am Bosporus sind längst ein Teil Istanbuls geworden. Ihre besondere Atmosphäre haben sie aber bewahrt. Der vielleicht charmanteste Ort dieser Art ist Arnavutköy. – Die Sommerserie «Streifzug durch . . .» präsentiert einzigartige Viertel in faszinierenden Städten und vermittelt Insider-Tipps für Entdecker.

In Istanbul bewegt man sich am besten auf dem Wasser fort. Besonders, wenn das Ziel Arnavutköy am Bosporus ist. Der Blick von der Fähre über das blaue Wasser auf die weissen Holzhäuser des einstigen Fischerdorfes und die grünen Hänge dahinter ist erhebend.

Die Gegend entlang der ikonischen Wasserstrasse war bis weit ins 20. Jahrhundert ländlich geprägt. Auch heute noch wirkt die 16-Millionen-Metropole hier angenehm luftig und weit im Vergleich zur sonst so überwältigenden Dichte.

Ferienstimmung in der Stadt

Vom Fähranleger führen wenige Schritte zum weitgehend intakten Ortskern. Die engen Gassen und typischen Holzhäuser vermitteln eine dörfliche Atmosphäre. Die stark befahrene Uferstrasse, die den Ort vom Wasser abschneidet, ist allerdings ein Sündenfall.

In Arnavutköy hat Istanbul ein sehr mediterranes Gesicht, das unweigerlich ein Feriengefühl weckt. Dazu tragen die vielen Angler bei, die zu jeder Tageszeit am Bosporus stehen, um Makrelen und andere kleine Fische aus dem Wasser zu ziehen. Manche braten den Fang gleich vor Ort auf einem Gaskocher.

«Streifzug durch. . .»

Die Artikelserie entführt Sie in faszinierende Stadtviertel, enthüllt deren Geheimnisse und lässt Sie in einzigartige Atmosphären eintauchen. Erleben Sie authentische Geschichten und persönliche Einblicke in urbanen Oasen.

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Einige der besten Fischrestaurants der Stadt befinden sich hier, auch wenn der Fisch heute eher aus der Ägäis und dem Schwarzen Meer stammt. Doch vielen Gästen genügen ohnehin die Mezze, die kalten und warmen Vorspeisen der türkischen Küche. Nur der Anisschnaps Raki darf auf keinen Fall fehlen.

Ein Spektakel sind die grossen Frachter, die fast in Griffweite vorbeifahren und ab und an ihr Horn erklingen lassen. Das Schauspiel hat auch eine geopolitische Komponente. Apps wie «Vesselfinder» geben Auskunft, ob ein Getreidetransport aus der Ukraine oder aus Russland stammt.

Albaner, Juden, Griechen

Seinen Namen hat Arnavutköy (türkisch für «Albanerdorf») von albanischen Arbeitern, die Mehmet der Eroberer hier ansiedelte. Etwas weiter nördlich befindet sich die schmalste Stelle des Bosporus, an der die Osmanen beidseits der Wasserstrasse eine Festung bauten, um während der Belagerung Konstantinopels den Schiffsverkehr zu unterbinden. Die Burg auf der europäischen Seite (Rumeli Hisari) ist gut erhalten und kann besichtigt werden.

Vorübergehend stellten auch sephardische Juden im Ort die Mehrheit. Doch die prägendste Bevölkerungsgruppe waren lange die Griechen. Sie nennen Arnavutköy wegen der starken Bosporusströmung «Mega Revma», «grosser Strom». Die Taksiarchis-Kirche ist eines der prächtigsten orthodoxen Gotteshäuser ausserhalb des historischen Zentrums. Auch die Tevfikiye-Moschee beeindruckt mit ihrer untypischen, klassizistischen Architektur ohne Kuppel.

Die Verwerfungen der Zeit sind nicht spurlos am Ort vorübergegangen. Die Juden sind bereits nach dem grossen Brand von 1887 in andere Stadtteile umgezogen. Die meisten Griechen flohen nach dem Pogrom von 1955. Dennoch lebt in Arnavutköy jener multiethnische Charakter fort, der es so lange prägte. Die nach orthodoxer Tradition heiligen Quellen, von denen es hier gleich mehrere gibt, haben auch für viele Muslime eine spirituelle Bedeutung.

Die Gentrifizierung gefährdet die soziale Durchmischung

Die attraktive Lage und die vielen guten Lokale verleihen dem Örtchen am Bosporus einige Popularität, als Wohnort und zum Ausgehen. Manche Bars und Restaurants verlangen Preise auf Schweizer Niveau. Trotz hoher Inflation und Kaufkraftverlust fehlt es aber nicht an Kundschaft. In Istanbul gibt es weiterhin viele Menschen, die von der Wirtschaftskrise scheinbar unberührt bleiben.

Doch freilich ist das nur eine Minderheit. Gerade das Kleingewerbe hat zu kämpfen. Der Schreibwarenhändler von Arnavutköy hat kürzlich nach Jahrzehnten sein Ladenlokal aufgegeben, weil die Miete auf einen Schlag versiebenfacht wurde. Seine Ware liegt nun in einer Kammer beim Fussballverein aus. Und ein Coiffeur erzählte neulich, er könne sich seine Wohnung nicht mehr leisten und habe deshalb im Hinterzimmer des Ladens sein Bett aufgestellt.

Auch wo Istanbul besonders schön und idyllisch ist, werfen die Probleme des Alltags ihre Schatten. Das ehemals griechische Albanerdorf am Bosporus ist keine Ausnahme.

Insider-Tipps

Essen: An der Uferstrasse gibt es viele gediegene Fischrestaurants, zum Beispiel «Sur Balik». Die besten Mezze hat, ohne Blick aufs Wasser, «Sisko Perihan». Eine lokale Institution ist «Adem Baba», ein bodenständiges Fischrestaurant ohne Alkoholausschank. Die beste Glace der Stadt gibt es bei «Girandola».

Trinken: Die Alexandra Cocktail Bar hat im obersten Stock eine kleine Terrasse mit Blick auf die Bosporus-Brücke. Gemütliche Pub-Atmosphäre gibt es im «Doorstep».

Schlafen: Vom historischen Zentrum ist Arnavutköy gut mit Fähre oder Taxi zu erreichen. Die nächstgelegenen Hotels befinden sich in Ortaköy und Besiktas.

Hingehen: An orthodoxen Feiertagen, besonders in der Osternacht, lohnt sich der Besuch der griechischen Kirche. Dienstags ist Obst- und Gemüsemarkt (hier).

Machen: Einige Angler vermieten ihre Ausrüstung, falls man sich als Hobbyfischer versuchen möchte. Für eine Spritztour auf dem Bosporus, inklusive Sprung ins Wasser, kann man in Bebek kleinere Boote mit Besatzung mieten. Der Uferweg bietet sich für Spaziergänge an, etwa bis zur Burgruine von Rumeli Hisari.

Vermeiden: Verwechslungsgefahr: Es gibt zwei Arnavutköy in Istanbul, einen Bezirk beim Flughafen und das Dörfchen am Bosporus. Letzteres wird deshalb auch «Arnavutköy bei Besiktas» genannt.


«Streifzug durch. . .»

Die Artikelserie entführt Sie in faszinierende Stadtviertel, enthüllt deren Geheimnisse und lässt Sie in einzigartige Atmosphären eintauchen. Erleben Sie authentische Geschichten und persönliche Einblicke in urbanen Oasen.

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