Freitag, Februar 7

Viele Menschen nähmen nutzlose Nahrungsergänzungsmittel ein, sagt Martin Smollich, Professor am Institut für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Im Gespräch erklärt er, auf welche Supplemente man verzichten kann, welche unterschätzt werden – und welche gefährlich sind.

Herr Smollich, Sie forschen seit über zwanzig Jahren zu Nahrungsergänzungsmitteln. Wer sie einnimmt, will sich damit etwas Gutes tun. Aber gibt es auch welche, die gefährlich sind?

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Martin Smollich: Ganz pauschal sind das Produkte, die stark überdosiert sind. In Deutschland ist das überhaupt nicht reguliert. Die Hersteller können absurde Dosierungen verkaufen. In der Schweiz und vielen anderen Ländern gibt es Höchstmengen, die eingehalten werden müssen. Das ist auch gut so. Wer zum Beispiel viel zu viel Vitamin D aufnimmt, kann Nierenschäden erleiden. Das Vitamin ist nämlich fettlöslich und wird nicht einfach ausgeschieden, wenn man es überdosiert.

Zur Person

PD

Martin Smollich

Der Professor am Institut für Ernährungsmedizin der Uniklinik Schleswig-Holstein veröffentlicht am 6. Februar sein Buch «Der Nährstoff-Kompass» im GU-Verlag. Darin schreibt er, welche Nahrungsergänzungsmittel gefährlich, welche unnötig und welche unerlässlich sind.

Gibt es auch Substanzen, von denen Sie völlig abraten?

Da gäbe es viele Bespiele. Besonders übel ist das Miracle-Mineral-Supplement, das angeblich Krankheiten wie Covid-19 oder sogar Krebs heilen soll. Dabei nimmt man eine Chlordioxid-Lösung ein, die zu Verätzungen führen kann. Das Produkt ist verboten, aber im Internet trotzdem zu bekommen. Davon sollte man wirklich die Finger lassen. Aber es gibt auch kritische Substanzen, die man ganz regulär kaufen kann.

Welche sind das zum Beispiel?

Dazu gehören einige pflanzliche Produkte. Das sind etwa hochdosierte Grüntee-Extrakte, die angeblich die Gedächtnisleistung stärken sollen, was aber nicht belegt ist. Oder Ashwagandha, eine indische Pflanzenart, die den Cortisolspiegel und dadurch das Stressgefühl senken soll. Auch das in Kurkuma enthaltene Curcumin ist kritisch, vor allem wenn es hoch konzentriert und mit Piperin kombiniert wird, einem Bestandteil von schwarzem Pfeffer. Bei all diesen Substanzen drohen Leberschäden.

Der Bestseller bei den Vitaminen in Deutschland und der Schweiz ist das gute alte Vitamin C. Was sagen Sie dazu?

Schäden verursacht es in aller Regel nicht. Aber nach meiner subjektiven Einschätzung ist es das Vitamin, das am meisten überschätzt wird. Natürlich ist es lebenswichtig. Ohne Vitamin C würden wir sterben. Aber derart viele Lebensmittel enthalten Vitamin C, dass man es bei uns in Europa kaum schafft, einen Mangel zu erleiden.

Was heisst das für die Erkältungssaison? Kann ich mir Vitamin-C-Kapseln sparen?

Auf jeden Fall. Alles, was man zusätzlich einnimmt, ist nutzlos. Ein paar wenige Einschränkungen gibt es: Beim Leistungssport unter alpinen Bedingungen oder beim Marathon unter null Grad und ähnlichen Extremsituationen kann zusätzliches Vitamin C das Risiko für grippale Infekte tatsächlich senken.

Sollte ich auf Multivitaminpräparate umsteigen, um mich besser gegen Viren zu wappnen?

Studien zeigen, dass Menschen, die Nahrungsergänzungsmittel schlucken, auch nicht gesünder sind als andere. Wobei ich aber zugebe: Für manche Menschen sind Kombipräparate wahrscheinlich sinnvoll.

Und das sagen Sie, obwohl die Studienlage das nicht hergibt?

In den Studien wird eben gar nicht oder nur unzureichend nach einzelnen Bevölkerungsgruppen differenziert. Das heisst: Wenn man die Gesamtbevölkerung betrachtet, machen die Präparate keinen Unterschied, weil wir flächendeckend keinen Vitaminmangel haben. Aber bei bestimmten Personen ist es vermutlich sinnvoll, ein Sicherheitsnetz einzubauen.

Bei wem zum Beispiel?

Das sind vor allem Personen, die sich sehr schlecht und einseitig ernähren. Für manche Kinder können Vitaminpräparate ebenfalls sinnvoll sein, weil man damit viel Stress aus dem Thema Ernährung herausnimmt und nicht über Gemüse streiten muss. Pauschal würde ich das trotzdem nicht empfehlen. Die Botschaft kann ja nicht sein: Nehmt einfach eine Tablette, dann braucht ihr euch um gesunde Ernährung nicht zu kümmern.

Warum denn nicht?

Obst und Gemüse enthalten Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, die eine Tablette nicht liefert. Und die frühe Gewöhnung an Obst, Gemüse und Beeren führt zur Prägung von Geschmacks- und Lebensmittelpräferenzen, die sich lebenslang äusserst positiv auswirken. Deshalb ist die gesunde Ernährung immer besser. Wer sich abwechslungsreich ernährt, braucht die Pillen nicht.

Der Markt hat ja noch weitaus mehr zu bieten als Vitamine. Bei den Mineralstoffen ist Magnesium der Verkaufsschlager Nummer eins. Warum eigentlich?

Ich denke, das liegt wie beim Vitamin C an geschicktem Marketing. Es wird ja oft gesagt, Magnesium reduziere zum Beispiel Krämpfe nach sportlicher Belastung. Viele Menschen treiben Sport, also gibt es eine grosse Zielgruppe. Ausserdem soll es nächtliche Wadenkrämpfe reduzieren, worunter vor allem ältere Menschen leiden. Es stimmt ja auch, dass Magnesium bei der Muskelaktivität eine Rolle spielt. Placebo-kontrollierte Studien aus den vergangenen Jahren zeigen allerdings eindeutig, dass Magnesium keinen Effekt bei Muskelkrämpfen hat.

Magnesium wird ausserdem als Mittel gegen Bluthochdruck vermarktet.

Und das betrifft ebenfalls sehr viele Menschen. Tatsächlich kann Magnesium in gewissen Dosierungen den Blutdruck minimal senken. Daraus kann man natürlich nicht ableiten, dass es ähnlich wirksam wie ein medikamentöser Blutdrucksenker ist. Aber viele Menschen wollen es unbedingt trotzdem probieren.

Gibt es eigentlich auch Nahrungsergänzungsmittel, die nicht überschätzt, sondern sogar unterschätzt werden?

Ich freue mich, dass Sie das fragen, weil ich Supplemente nicht nur bashen will. Nahrungsergänzungsmittel sind zwar keine Wundermittel, sie sind aber auch nicht komplett sinnlos. Die Supplementation von Jod beispielsweise ist für die allermeisten Menschen sinnvoll, mindestens in Form von jodiertem Speisesalz. Sonst ist eine optimale Jodzufuhr nur schwierig zu erreichen. Jüngere Frauen und Schwangere haben oft Eisenmangel, in der Schwangerschaft ist Folsäure sehr wichtig. Viele ältere Menschen haben einen Vitamin-B12-Mangel, der leider oft sogar vom Arzt übersehen wird, weil die Mangelsymptome als alterstypisch abgetan werden.

Können Sie das genauer erklären?

Ein Mangel an Vitamin B12 verursacht etwa Vergesslichkeit und Desorientierung, depressive Verstimmungen, Juckreiz und Empfindungsstörungen in den Fingern und in den Zehenspitzen. Wenn Menschen mit solchen Symptomen Vitamin B12 supplementieren, dann kann es sein, dass eine vermeintliche Demenz plötzlich verschwindet. Das bedeutet nicht, dass Vitamin B12 Demenz heilt. Das heisst nur: Demenzähnliche Symptome, die durch den Vitaminmangel verursacht werden, verschwinden, wenn die Leute wieder genügend Vitamin B12 zu sich nehmen.

Auch Vitamin D muss man supplementieren. Vor allem im Winter reicht die Sonnenstrahlung nicht aus, damit unser Körper genügend davon selbst herstellt. In der Schweiz wird geraten, dass Erwachsene bis 59 Jahre täglich 600 internationale Einheiten (i. E.) Vitamin D einnehmen sollen, bei Personen über 60 Jahre sind es 800 i. E. Sollte man sich daran halten?

Mit diesen Mengen wird man sich zumindest nicht überdosieren. Aber eventuell hat jemand einen derartigen Mangel, dass diese Empfehlung nicht ausreicht und die Person eigentlich viel mehr brauchte. Viele Menschen wissen beispielsweise nicht, dass bei starkem Übergewicht der Vitamin-D-Bedarf erheblich höher liegt. Deshalb finde ich es immer wichtig, die eigenen Werte untersuchen zu lassen. Damit verhindert man sowohl Über- als auch Unterdosierung.

Es gibt auch Selbsttests, die man zum Beispiel online bestellen und bequem zu Hause durchführen kann. Dabei nimmt man nur etwas Blut aus der Fingerkuppe ab und schickt es per Post an ein Labor.

Das Problem dabei ist: Die Ergebnisse hängen in der Qualität wesentlich davon ab, wie ich das Blut abnehme. Wenn man das selbst macht, ist das extrem fehleranfällig. Ob ich den Finger rauf oder runter halte, ob ich vorher gegessen habe, ob ich das morgens oder abends mache, ob ich vorher geduscht habe, wie die Raumtemperatur ist, das alles beeinflusst die Werte – genau wie der Versandweg. Und dann liefern die Hersteller in der Regel mit dem Ergebnis eine Empfehlung für bestimmte Supplemente. Sie haben natürlich ein direktes wirtschaftliches Interesse daran, dass besonders viel Mangel bei dem Test herauskommt. All das sind aber ehrlich gesagt noch die harmloseren Aspekte von solchen Selbsttests.

Welche Probleme sehen Sie denn noch?

Bedenklich finde ich, dass die Ergebnisse nicht fachärztlich eingeordnet werden. Man sieht zum Beispiel einfach, mein Eisenwert ist zu niedrig. Und dann ist der Impuls: Ich brauche ein Eisenpräparat.

Was soll daran falsch sein?

Im Medizinstudium lernen die Studenten schon ganz am Anfang, dass man keine Laborwerte therapieren soll, sondern Menschen. Ein zu niedriger Wert bedeutet nicht automatisch, dass dieser Mensch krank ist. Auch bei Gesunden können die Werte variieren. Auf der anderen Seite kann es sein, dass die Person sogar eine schwerwiegende Erkrankung hat. Der niedrige Eisenwert kann ein Hinweis auf Tumoren, Nierenerkrankungen oder Blutverluste sein. Gute Medizin betreibt keine Laborkosmetik durch Supplemente, sondern nimmt auffällige Laborwerte als Anlass, um weiter zu schauen: Was ist der Grund für den Wert? Selbsttests bergen daher ein hohes Risiko, weil eventuell eine sinnvolle Diagnostik verschleppt wird. Mein Tipp ist also: Lassen Sie Ihre Laborwerte beim Hausarzt checken, und nehmen Sie keine Supplemente ohne Kontrolle.

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