Mittwoch, März 19

Das Doping der jungen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa war kein Einzelfall: Der Konsum illegaler Substanzen ist bei Nachwuchsathleten weit verbreitet. Sogar ein Zwölfjähriger wurde erwischt.

Als die Russin Kamila Walijewa vor den Olympischen Winterspielen 2022 positiv auf ein verbotenes Herzmedikament getestet worden war, gab sich die Sportwelt erschüttert. Der Grund für die kollektive Empörung war ihr jugendliches Alter: Die Eiskunstläuferin war seinerzeit erst 15. Selbst Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, kritisierte Walijewas Betreuer in emotionalen Worten.

Jetzt erscheinen manche der damaligen Äusserungen in einem neuen Licht. Ein Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) legt offen, dass Walijewas Doping, für das sie letzte Woche rückwirkend gesperrt wurde, alles andere als ein extremer Einzelfall war. Seit 2012 wurden Minderjährige weltweit in 1518 Fällen positiv auf Doping getestet. Betroffen waren 1416 Nachwuchsathleten, einige von ihnen mehrfach.

Nur jeder fünfte Verdachtsfall erwies sich im Nachhinein als unbegründet, weil beispielsweise eine medizinische Ausnahmegenehmigung vorlag. Bei etwa 80 Prozent der positiven Tests bestätigten die Ermittlungen einen Dopingverstoss. Der jüngste mit Sanktionen belegte Sportler war erst zwölf Jahre alt.

Die am meisten betroffenen Sportarten waren Gewichtheben, Leichtathletik und Schwimmen

Der Wada-Bericht bringt den Sport unter Rechtfertigungsdruck. Dass bereits junge Talente häufig zu illegalen Substanzen greifen, wirft die Frage auf, ob in einigen Disziplinen der Erfolgsdruck schon in den Nachwuchskategorien allzu gross ist – und auch, zu welchen Taten das Umfeld bereit ist, sobald Prämien und Medaillen locken.

«Den allermeisten Fällen dürften Dramen zugrunde liegen», sagt Ernst König, der Direktor von Swiss Sport Integrity. «Dass Minderjährige flächendeckend auf Eigeninitiative dopen, ist kaum anzunehmen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass oftmals junge, besonders schützenswerte Personen bewusst verheizt werden.»

König skizziert eine «knallharte Auslese»: Offenbar gebe es in gewissen Ländern Trainer oder Betreuer, die in zynischer Manier Rechnungen aufstellten. Ihnen sei egal, ob von 10 000 aussichtsreichen Nachwuchsathleten 9990 auf der Strecke blieben, solange es die zehn übrigen zu den Olympischen Spielen schafften. Also nehme man schwere Gesundheitsrisiken in Kauf.

Am häufigsten wurden Minderjährige gemäss der Wada seit 2012 in absteigender Reihenfolge in Russland, Indien und China erwischt. Die am meisten betroffenen Sportarten waren Gewichtheben, Leichtathletik und Schwimmen.

Besonders oft griffen Athletinnen und Athleten zum Diuretikum Furosemid, welches zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gedacht ist. Es folgten Fälle mit Arzneimitteln, die den stimulierenden Wirkstoff Methylphenidat enthalten und zum Beispiel bei der Behandlung von ADHS zum Einsatz kommen.

Die These, dass in gewissen Nachwuchsteams Substanzen kollektiv verabreicht werden, lässt sich auf Indizien stützen. 2012 wurden gleich vier minderjährige rumänische Boxer positiv auf Furosemid getestet. Zehn Jahre später wurde dieselbe Substanz bei zwei jungen weissrussischen Eisschnellläufern nachgewiesen.

2021 flogen drei chinesische Nachwuchsleichtathleten mit dem Anabolikum Stanozolol auf. 2023 erwischten die Fahnder zwei kasachische Gewichtheber unter 18 Jahren, die Ostarine konsumiert hatten, welches ebenfalls den Muskelaufbau fördert.

Auch in der Schweiz wurde bereits ein Minderjähriger wegen Dopings mit Sanktionen belegt. Zum Schutz seiner Privatsphäre verzichtete Swiss Sport Integrity darauf, den Namen des Betroffenen auf die Liste gesperrter Athleten zu setzen. Auch die Sportart, die er praktiziert hatte, blieb geheim.

Viele Länder wirken kaum vorbereitet

In vielen Ländern wirken die Instanzen unzureichend vorbereitet auf das Phänomen der gedopten Minderjährigen. Das legt eine im Wada-Bericht erwähnte Umfrage nahe, an der sich 27 Anti-Doping-Agenturen beteiligten. Zwei von drei gaben an, sie gingen davon aus, dass der Missbrauch illegaler Substanzen in ihren Ländern bei Minderjährigen nicht weit verbreitet sei. Nur 15 Prozent der Anti-Doping-Instanzen verfügen gemäss der Umfrage über spezifische Regelungen, wie bei entsprechenden Fällen ermittelt werden sollte. Sie scheinen beispielsweise weit davon entfernt, ihr Personal für Interviews von Minderjährigen zu schulen.

«Wenn minderjährige Athleten positiv getestet werden, sollte zwingend ihr Umfeld unter die Lupe genommen werden», sagt König, der Direktor von Swiss Sport Integrity. Es werde der Sache nicht gerecht, wenn sich die Reaktion auf einen Dopingbefund darauf beschränke, eine Person zu sperren, welche oft noch nicht einmal strafmündig sei.

Swiss Sport Integrity hat vor kurzem festgelegt, dass bei Dopingtests von Minderjährigen, die bisher eher selten waren, generell zwei Kontrolleure anwesend sein müssen. In Schulungen wird der Umgang mit Kindern und Jugendlichen gezielt thematisiert. Sollten künftig Ermittlungen und Abklärungen im Zusammenhang mit Minderjährigen notwendig werden, scheint es denkbar, dass speziell ausgebildete Personen zum Einsatz kommen, die sich sonst mit Verfehlungen im Ethikbereich beschäftigen. Dort sind Minderjährige überproportional häufig betroffen.

Realitätsfremde Überlegungen zur Dopingfreigabe

Die Erkenntnisse der Wada könnten auch ein Anlass sein, gelegentliche Forderungen kritisch zu hinterfragen, Doping zu legalisieren. Zuletzt hatte die Idee Aufwind bekommen. Ein australischer Unternehmer plant einen Wettkampf, bei dem sämtliche Substanzen erlaubt sein sollen. Wer mit dem Ansatz sympathisiert, argumentiert häufig mit der Eigenverantwortung von Athleten: Jeder solle selbst entscheiden dürfen, welche Risiken er in Kauf nehme.

1416 positiv getestete Jugendliche machen deutlich, wie realitätsfremd derartige Überlegungen sind. Eine Freigabe von Doping würde ein System manifestieren, in dem jeder, der an die Spitze strebt, zu einem gewissen Grad seine Gesundheit aufs Spiel setzen muss. Und Jugendliche, die noch nicht alt genug sind, eigenverantwortliche Entscheide zu treffen, wären zum Mitmachen genötigt. Eine Legalisierung aller Substanzen machte es endgültig unmöglich, Sporttalente vor sich zu schützen. Auch dem Ehrgeiz ihrer Trainer, Betreuer und Eltern wären sie dann noch hilfloser ausgeliefert.

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