Die Abschaffung der Personenfreizügigkeit mit der EU würde nicht zu weniger Einwanderung führen, aber zu einer schlechter gesteuerten, sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, warnend. Die Arbeitgeber pflichten ihm bei.

Im Englischen gibt es den Ausdruck: «Be careful what you wish for.» Manche fügen dem zur Verdeutlichung hinzu: «You might get it.» Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Du könntest es bekommen.

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Auch in der Schweiz wünschen sich viele etwas: weniger Zuwanderung. Eine kleinere Schweiz oder zumindest eine, die weniger stark wächst. Dafür gibt es in der kommenden Zeit zwei Gelegenheiten: erstens mit der Zustimmung für die Initiative für eine 10-Millionen-Schweiz und später, zweitens, mit einer Absage an die EU-Verträge, was ebenfalls zum Ende der Personenfreizügigkeit (PFZ) führen würde.

Die Vorstellung einer 10-Millionen-Schweiz beunruhigt gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demoscope vom vergangenen Herbst fast zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung. Trotzdem lehnen drei von fünf der Befragten ein Zuwanderungsverbot zur Steuerung der Zuwanderung ab.

Vor diesem Hintergrund hat der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) verglichen, welche Systeme es international zur Steuerung der Migration gibt und welche Vor- und Nachteile sie aufweisen. Daniel Lampart, Chefökonom des SGB, hat das frühere Kontingentsystem der Schweiz, Punktesysteme, wie sie Kanada und Australien kennen, sowie die Zuwanderungsabgabe von Singapur miteinander verglichen.

Weniger Arbeitslosigkeit und weniger Schwarzarbeit

Lampart kommt in seiner Analyse zu einem eindeutigen Fazit. «Die Personenfreizügigkeit ist – in Verbindung mit dem Lohnschutz – das beste in der Welt existierende Migrationssystem. Alle anderen Systeme produzieren mehr Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, Lohndruck oder mehr Schwarzarbeit.»

Das klare Bekenntnis mag überraschen. Schliesslich hatte der Gewerkschaftsbund den Entwurf der EU-Verträge im vergangenen Dezember noch hart kritisiert und sich erst im Februar zu einer Unterstützung der bundesrätlichen Linie durchgerungen.

Nun zeigt der SGB Flagge – auch mit Blick auf die Personenfreizügigkeit. Ihr grosser Vorteil ist gemäss Lampart, dass die Einwanderer einen Arbeitsplatz haben müssen. «Damit sind sie wirtschaftlich selbständig und integriert.»

Auch die Arbeitgeber wollen keinen Wechsel. «Ein Rückfall in alte Systeme wie Kontingente oder die Einführung einer Zuwanderungsabgabe wäre ein grosser Rückschritt», sagt Daniella Lützelschwab, Leiterin des Ressorts Arbeitsmarktes beim Schweizerischen Arbeitgeberverband. Dies aufgrund der Bürokratie, aber auch, weil höchst ungewiss sei, ob andere Systeme die Zuwanderung überhaupt im gewünschten Mass drosseln würden.

Dieser Ansicht ist auch der Gewerkschaftsbund. Das frühere Schweizer Kontingentsystem habe die Zuwanderung de facto nicht beschränkt. In Hochkonjunkturphasen seien die Kontingente auf Druck der Arbeitgeber immer wieder erhöht worden. In seinem Systemvergleich kritisiert der Gewerkschaftsbund, dass viele Firmen zur Zeit der Kontingente ausländische Arbeitskräfte illegal beschäftigt hätten, um die Kontingente zu umgehen. Die Behörden hätten die Schwarzarbeit in erschreckendem Ausmass toleriert.

Die Arbeitnehmer aus dem Ausland hätten damals ihre Stelle nicht wechseln können, ohne ihre Bewilligung zu gefährden. Das habe den Arbeitgebern eine unverhältnismässig grosse Macht über ausländische Angestellte gegeben. Diese hätten dadurch gegenüber Schweizern einen nachweisbaren Lohnrückstand gehabt.

Obwohl unschön, könnte man argumentieren, dass dies nicht die grösste Sorge der Schweizer Stimmbürger sein müsste. Schliesslich könnten die Konsumenten sogar dank tieferen Lohnkosten von günstigeren Produkten und Dienstleistungen profitieren. Die Gewerkschaften betonen aber, dass die Lohndiskriminierung von Ausländern auch zu Lohndruck für Schweizer führte. Wenn billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland geholt werden könnten, liessen sich im Inland höhere Lohnforderungen weniger gut durchsetzen.

Punktesysteme sind weiter weg vom Arbeitsmarkt

Ein anderes Modell zur Steuerung der Zuwanderung sind Punktesysteme, bei denen potenzielle Einwanderer Punkte für gesuchte berufliche Qualifikationen erhalten. Kanada hat ein solches System, auch Australien und Post-Brexit-Grossbritannien. Für die Schweiz sehen die Gewerkschaften darin keinen Vorteil. Hauptkritikpunkt: Abschlüsse und berufliche Fähigkeiten garantieren noch keinen Job.

Das führt beispielsweise in Kanada dazu, dass Hochschulabsolventen teilweise in Hilfsjobs arbeiten. Das ist weder befriedigend für die Einwanderer, die sich trotz guter Qualifikation mit schlecht bezahlten Jobs durchschlagen. Noch ist es im Sinne des Einwanderungslandes, gesuchte Ärzte, Pfleger oder andere Fachkräfte nicht in ihrem Fachgebiet arbeiten zu lassen.

Zuwanderungsabgabe war in Singapur kein Erfolg

Eine dritte Möglichkeit zur Steuerung der Migration sind Zuwanderungsabgaben. Unter dem Label «Klubgebühr» ist auch in der Schweiz intensiv darüber diskutiert worden.

In Singapur wollten Politik und Behörden in den 1980er Jahren die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften mit einer Zuwanderungsabgabe reduzieren. Unter dem Druck der Unternehmen gab die Regierung jedoch immer wieder nach und senkte die Abgabe, wie der SGB in seiner Analyse festhält. Damit habe sie das ursprüngliche Ziel verfehlt. Es seien nicht weniger, sondern mehr ausländische Arbeitskräfte nach Singapur gekommen.

Grundsätzlich kritisiert der SGB, dass Zuwanderungsabgaben zu Umgehungstricks einlüden. Wenn die Anstellung von Ausländern etwas koste, stiegen die Anreize zur Schwarzarbeit. Gäbe es in der Schweiz eine einmalige Abgabe, würden wohl weniger Ausländer wieder auswandern, vermuten die Gewerkschaften. Denn wer erst einmal bezahlt habe, wolle das Geld nicht verlieren.

Eine Zuwanderungsabgabe proportional zum Jahreslohn könnte zudem hochqualifizierte Fachkräfte abschrecken. Eine Pauschale, unabhängig vom Lohn, dürften sich nur Vertreter gut zahlender Branchen leisten. Branchen wie die Gastronomie und die Hotellerie hätten das Nachsehen.

Doch auch unterschiedliche Beiträge je nach Branche haben ihre Tücken. In diesem Fall könnten Bauern plötzlich Banker einstellen und diese nach kurzer Übergangszeit gegen eine Prämie an Banken weitergeben, spekuliert der Gewerkschaftsbund. Aus diesen und ähnlichen Gründen hält der Gewerkschaftsbund die Einführung einer Zuwanderungsabgabe in der Praxis für zu kompliziert.

Je stärker die Wirtschaft, desto höher die Zuwanderung

Das klare Fazit des SGB ist einerseits politisch mutig, anderseits logisch. Bei der Einführung der Personenfreizügigkeit hatten die Gewerkschaften noch grosse Vorbehalte. «Historisch waren wir überhaupt nicht dafür», so Lampart. Die Gewerkschaften fürchteten, dass die Schweizer Löhne unter Druck kommen würden. Dann aber habe «ein riesiger Lernprozess» eingesetzt. «Mit der Zeit sind wir zu dem Schluss gekommen, dass dieses System das Beste ist», so der Chefökonom des SGB.

Und tatsächlich: Die Gewerkschaften haben wohl erst mit der Zeit erkannt, welch ein Glücksfall die Personenfreizügigkeit auch für sie ist. In der Schweiz sind lediglich rund 13 Prozent der Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft. Die Gewerkschaften sind jedoch via Lohnkontrollen in den Betrieben direkt an der Sicherstellung des Lohnschutzes beteiligt. Die Personenfreizügigkeit verschafft ihnen auf diesem Weg einen Einfluss, den sie sonst in diesem Ausmass nicht hätten.

Doch am Ende gilt: Für irgendein System muss man sich entscheiden. Oder wie es Lampart ausdrückt: «Ein üppiges Fünfgangmenu ohne Kalorien gibt es nicht.» Die Personenfreizügigkeit ist immerhin ein Weg, um entscheidende Nachteile anderer Systeme zu vermeiden.

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