Drei Vermummte lauerten einem 15-Jährigen auf und brachten ihn um, eine 14-Jährige wurde ins Koma geprügelt. Das liefert der extremen Rechten Munition für ihren Kampf gegen die «Islamisierung» der Schulen.

Shamseddine wollte nach der Musikstunde nur nach Hause. Doch dort kam der 15-Jährige aus der Stadt Viry-Châtillon, 20 Kilometer südlich von Paris, nie an. Wenige Schritte von seiner Schule entfernt warteten drei Personen auf ihn, die Kapuzen und dunkle Kleider trugen, die Gesichter vermummt. Es war kurz nach 16 Uhr, sie stürzten sich auf Shamseddine und prügelten mit den Fäusten auf ihn ein, versetzten ihm Tritte mit den Füssen.

Der Angriff am Donnerstagnachmittag dauerte wohl nur kurz, dann rannten die Aggresseure weg, wie ein Zeuge danach berichtete. Dieser entdeckte den verängstigten Teenager auf der Strasse. Sein Körper und sein Gesicht waren übersät mit Blutergüssen, Stichverletzungen gab es jedoch keine. Am Freitag dann kam die traurige Nachricht. Shamsedinne hat die Attacke nicht überlebt, er starb in einem Pariser Spital an den Folgen der Schläge.

«Es könnte unser Bruder, unser Kind, unser Kamerad sein»

Präsident Emmanuel Macron erfuhr beim Besuch einer Schule in Paris von der Todesnachricht und zeigte sich sehr betroffen. Er betonte, die Regierung werde gegenüber jeder Form der Gewalt unnachgiebig sein. Auf X meldete sich die Sprecherin der Regierung, Prisca Thevenot, zu Wort. «Es könnte unser Bruder, unser Kind, unser Kamerad sein», schrieb sie.

Im Angesicht eines solchen barbarischen Verbrechens werde sich die französische Gesellschaft aber nicht beugen. «Wir werden die Täter finden und bestrafen.» Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mord. Noch am Freitag konnte sie vermelden, sie habe fünf Personen festgenommen: drei männliche 17-Jährige, eine 15-Jährige und einen 20-Jährigen.

Jugendgewalt wie eine Seuche

Die Journalisten, die in grosser Zahl nach Viry-Châtillon gefahren sind, berichten von einem Ort im Schockzustand. Die Stadt mit 30 000 Einwohnern ist bekannt-berüchtigt für einen riesigen, aus den Sechzigerjahren stammenden Komplex mit Sozialwohnungen namens «La Grande Borne». Das Viertel zählt zu den heruntergekommensten des Landes, die Sicherheitssituation ist desolat, die Kriminalitätsrate hoch.

Zwar liegen Shamseddines Mittelschule «Les Sablons» und sein Wohnort nicht in unmittelbarer Nähe dieses Problemquartiers. Aber das Departement Essonne, zu dem Viry-Châtillon gehört, hat generell so sehr mit Jugendgewalt zu kämpfen wie kaum eine andere Region Frankreichs. Darauf weist auch die Polizeipräfektin des Departements, Frédérique Camilleri, in einem Interview mit der Zeitung «Le Parisien» hin. Immer wieder komme es zu brutalen Schlägereien zwischen verfeindeten Banden von Minderjährigen – und die Täter würden immer jünger, sagt Camilleri. Erst im letzten Herbst war ein 15-Jähriger in der Nachbarstadt Corbeil erstochen worden.

Ob Shamseddine zum Opfer einer solchen Abrechnung wurde, ist offen, es ist laut Beobachtern allerdings unwahrscheinlich. Der Bürgermeister der Stadt, Jean-Marie Vilain, sagt, «Les Sablons» sei eine Schule wie viele andere in Frankreich, sie habe keine Geschichte exzessiver Gewalt. Shamseddine galt laut den Aussagen von Schulkollegen als humorvoll und offen, er habe nie etwas mit Gewalttaten oder Mobbing zu tun gehabt, weder als Opfer noch als Täter. Ein mögliches Motiv für den Angriff ist laut den Ermittlern jedoch eine amouröse Streitigkeit.

Als Hure beschimpft und ins Koma geprügelt

Nur einen Tag früher gab es in Montpellier einen Vorfall, der Parallelen aufweist und die Nation ebenfalls schockiert hat: Drei Jugendliche griffen vor ihrer Schule die 14-jährige Samara an und verletzten sie so schwer, dass sie für einige Stunden in ein Koma fiel. Die Polizei hat drei Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren, darunter eine junge Frau, verhaftet. Sie haben zugegeben, Samara verprügelt zu haben.

Auch in diesem Fall sind die Motive noch nicht völlig klar. Laut Recherchen der Zeitung «Le Figaro» soll die junge Frau die Rädelsführerin gewesen sein. Sie sei praktizierende Muslimin, trage ein Kopftuch – und habe Samara vorgehalten, zu wenig gläubig zu sein. In einer Radiosendung sagte Samaras Mutter, die Feindin ihrer Tochter habe sie immer wieder als «Ungläubige» und als «Hure» beschimpft, weil sich Samara europäisch kleide, sich etwas schminke und einen ungezwungenen Umgang mit ihren männlichen Schulkollegen habe.

Das rechtsnationale Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen versucht, den Fall Samara politisch auszuschlachten. Der Angriff in Montpellier sei symptomatisch, schreibt die Partei in einer Petition, die sie lanciert hat. Die Schule sei seit einigen Jahren im Visier einer islamistischen Offensive.

Es gehe den Fundamentalisten darum, die Art zu ändern, wie die Franzosen sich kleiden, was sie essen, wie sie sich vergnügen. Und sie würden alle terrorisieren, die sich ihrem Regime nicht unterwerfen wollten. «Es ist Zeit, diesem Totalitarismus, der unsere Kinder angreift, den Krieg zu erklären», erklärt das RN. Ein paar starke Worte durch Macron und das Verbot, an der Schule eine Abaya, ein traditionelles muslimisches Kleidungsstück, zu tragen, würden nicht ausreichen.

Bei einem späteren Auftritt im Fernsehen wehrte sich Samaras Mutter gegen diese «Instrumentalisierung» der Attacke durch die extreme Rechte und das Schlechtmachen des Islams. Sie las eine vorbereitete Nachricht von ihrem Handy ab und betonte, ihre Tochter sei gläubig und praktizierend. Sie bete fünfmal am Tag und faste auch während des Ramadans.

Exit mobile version