Mittwoch, Februar 5

Kämpfe um Territorium in Chiapas sind für die bäuerliche Bevölkerung eine lebensgefährliche Bedrohung. Viele Betroffene lebten bereits zuvor unter der Armutsgrenze.

Im südmexikanischen Teilstaat Chiapas konkurrieren das mexikanische Drogenkartell Jalisco Nueva Generación und das Sinaloa-Kartell seit mehreren Jahren um Territorium. Es geht dabei um Routen für den Kokainschmuggel aus Kolumbien in die USA sowie um Verbindungswege, über die Migranten gegen Bezahlung nach Norden geschleust werden. Die Drogenbanden haben Strassensperren aufgestellt, an denen sie die Passanten kontrollieren und Wegzoll verlangen. Sie setzen zudem die lokalen Kleinbauern unter Druck, damit diese mit ihnen zusammenarbeiten.

Seit Jahresbeginn ist nun die Gewalt der Drogenbanden in der Region um den See La Angostura, Mexikos grössten Stausee, nahe der Grenze zu Guatemala eskaliert. Beobachter vermuten, dass dahinter eine Offensive des Jalisco-Kartells steht, um das Sinaloa-Kartell zurückzudrängen.

Schiesserei fordert zwanzig Todesopfer

Der jüngste Konflikt begann am 4. Januar in der Gemeinde Chicomuselo, wo bei einer Schiesserei zwanzig Personen getötet wurden – achtzehn Mitglieder der beiden Drogenkartelle und zwei Unbeteiligte. Die Gewalt hat Hunderte von Bauernfamilien aus den drei Grossgemeinden Chicomuselo, La Concordia und Socoltenango zur Flucht gezwungen. Einige Menschen flüchteten mit Booten über den riesigen Stausee. Die meisten der Vertriebenen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, mussten ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Eine Reihe von Weilern sei inzwischen komplett verlassen, berichten Beobachter.

Kämpfe in der Region des Stausees La Angostura

Bei den vor der Gewalt Flüchtenden handelt es sich um Kleinbauern, die sogenannte Ejidos bewirtschafteten. Dies ist eine Form des Grundbesitzes, welche in Mexiko mit der Landreform der 1930er Jahre institutionalisiert wurde. Die Bauern besitzen das Land gemeinsam, erhalten aber Parzellen zugewiesen, die sie individuell nutzen. Ein Verkauf des Landes ist nicht gestattet. Das hat die Bauern zwar vor der Verdrängung durch Grossgrundbesitzer geschützt, aber ihre Betriebe sind häufig rückständig, da zu wenig in die Modernisierung investiert wird. Armut ist deshalb weit verbreitet. In den drei von der Gewalt betroffenen Gemeinden liegt die Armutsrate zwischen 70 und 80 Prozent.

Den Geflüchteten fehlt es am Nötigsten

Laut den Behörden in Chiapas sind mehr als 700 Menschen in die nächstgelegene grössere Stadt Comitán de Domínguez geflüchtet, die etwas mehr als 100 000 Einwohner zählt. Andere sind aus ihren Weilern in die Gemeindehauptorte oder in Nachbargemeinden geflohen, wieder andere in die Hauptstadt von Chiapas, Tuxtla Gutiérrez. Überall dort harren sie aus ohne das Nötigste zum Überleben. Laut der Menschenrechtsorganisation Centro de Derechos Humanos Fray Bartolomé de las Casas der katholischen Kirche waren allein bis Mitte Januar rund 2300 Menschen auf der Flucht. Die Diözese San Cristóbal de las Casas sammelt Kleider, Schuhe, Hygieneartikel und Essen für die Vertriebenen. Auch staatliche Institutionen haben Unterstützung versprochen.

Inzwischen haben die mexikanische Armee und die Nationalgarde, eine von Präsident Andrés Manuel López Obrador geschaffene nationale Polizeitruppe, Verstärkung in die Region geschickt. Von Einwohnern ist allerdings Kritik laut geworden, dass die Sicherheitskräfte wenig gegen die Drogenbanden und die von diesen aufgestellten Strassensperren unternähmen und teilweise selbst die Bauern bedrängten. Bei einem Teil der Bevölkerung herrscht laut Medienberichten sogar der Eindruck vor, dass die Sicherheitskräfte das Jalisco-Kartell unterstützen. Die Armee wiederum beschuldigt einen Teil der Bauern, Unterstützer der Drogenbanden zu sein, was auch durch Videos bestärkt wird.

Das Beispiel von Chiapas zeigt, wie rasch sich Konflikte zwischen Drogenbanden auf dem Land zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen ausweiten können. Die Bevölkerung gerät dabei zwischen die Fronten.

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