Laut einer neuen Umfrage wächst die Bereitschaft der Bürger, mehr für die eigene Sicherheit zu tun. Bei der Frage nach einem schnellen Frieden in der Ukraine zeigt sich indes eine tiefe Spaltung in der deutschen Gesellschaft.
«German Angst» ist einer der wenigen deutschen Begriffe, die es in den internationalen Sprachgebrauch geschafft haben. Damit wird der Charakterzug der Deutschen beschrieben, in ihrem Handeln stets und ständig von Angst beeinflusst zu sein. Sie leiden unter Existenzängsten und der Sorge wegen negativer Veränderung.
Mit Blick auf den am Donnerstag erschienenen «Sicherheitsreport 2025» wird diese Eigenschaft wieder deutlich. Die Bürger in Europas grösstem und wirtschaftsstärkstem Land fühlen sich immer unsicherer im eigenen Staat, sorgen sich wegen Krieg, Inflation und Flüchtlingszustrom. Selbst der wichtigste Sicherheitsgarant, die USA, gilt nach der Amtsübernahme von Donald Trump zunehmend als Risiko.
Zugleich aber scheint in Deutschland die Bereitschaft zu wachsen, für die eigene Sicherheit mehr zu tun. Die überwältigende Mehrheit der Bürger hält inzwischen Investitionen vor allem in Bundeswehr und Polizei für notwendig. Aber nicht nur das: Es befürwortet auch eine Mehrheit die Einführung eines zwölfmonatigen Grundwehrdienstes.
Bevölkerung weiter als die Politik
Hier scheint die Bevölkerung weiter zu sein als die Politik. Verteidigungsminister Boris Pistorius hält eine Wehrpflicht zwar für erforderlich, scheiterte damit aber an seiner eigenen Sozialdemokratischen Partei. CDU und CSU wollen, sofern sie damit eine Mehrheit im nächsten Bundestag haben, nach der Wahl eine Dienstpflicht einführen.
Für Klaus Schweinsberg vom Centrum für Strategie und Höhere Führung ist das der richtige Weg. Angesichts der Aufrüstung Russlands werde Deutschland um eine Wehrpflicht nicht herumkommen, sagte er am Donnerstag bei der Vorstellung des «Sicherheitsreports», den das Centrum herausgibt und vom Institut für Demoskopie Allensbach erarbeiten liess. «In Anbetracht der breiten Unterstützung in der Bevölkerung für die Einführung eines zwölfmonatigen Grundwehrdienstes und der Unfähigkeit der Politik, dies umzusetzen, muss man von einem eklatanten Führungsversagen sprechen.»
Die Zustimmung zum Wehrdienst ist allerdings altersabhängig. Die 16- bis 29-Jährigen sehen einen solchen Dienst eher kritisch, während vor allem die über 60-Jährigen mit grosser Mehrheit dafür plädieren. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass vor allem die Jungen vom Wehrdienst betroffen wären. Andererseits befinden sich unter den über 60-Jährigen viele Männer, die in jungen Jahren zur Wehrpflicht oder zu einem Ersatzdienst herangezogen wurden und damit einen (sinnvollen) Dienst für das Land verbanden.
Auch gegen höhere Verteidigungsausgaben haben die Deutschen offenbar nichts mehr einzuwenden. Während die Bundeswehr und ihre Finanzlage über viele Jahre kaum wahrgenommen wurden, sind heute 62 Prozent für eine deutliche Erhöhung der Militärausgaben. Uneinigkeit herrscht indes darin, wie diese Ausgaben zu finanzieren sind. Vier von zehn Bürgern würden dafür die Schuldenbremse lösen, jeder Dritte die Sozialausgaben kürzen und jeder Fünfte die Steuern erhöhen.
Wachsende Bereitschaft zu militärischem Engagement
Selbst die Bereitschaft, in einen militärischen Konflikt zu gehen, hat sich bei den Deutschen offenbar weiter erhöht. So ist der Anteil der Bürger, die für eine Beteiligung an Militäreinsätzen votieren, von 37 Prozent im vorigen Jahr auf 42 Prozent in diesem Jahr gestiegen. Zugleich sank der Anteil der Bevölkerung, der sich bei einem Angriff auf ein Nato-Mitglied aus den militärischen Auseinandersetzungen heraushalten will, von 38 auf 32 Prozent. Demnach wären die Deutschen viel stärker bereit, sich militärisch in Europa zu engagieren, als es die Rede von der «German Angst» möglicherweise suggerieren mag.
Diese Haltung korreliert mit dem veränderten Blick der Deutschen auf die USA. Mit der Wahl Trumps schwindet das Vertrauen der Bevölkerung in den wichtigsten Bündnispartner. Die Überzeugung, dass von den USA in den nächsten Jahren grosse Gefahren für den Frieden in der Welt ausgehen, hat sich von 24 Prozent im vergangenen auf 46 Prozent in diesem Jahr erhöht. Es geht aus der Studie allerdings nicht hervor, wodurch diese Gefahr von den Amerikanern heraufbeschworen werden könnte.
Nur noch 23 Prozent der Deutschen schätzen die USA als verlässlichen Partner ein. Für ihn sei das ein deutlicher Hinweis an die nächste Bundesregierung, insbesondere die Nato aus Europa heraus zu stärken, sagt Klaus Schweinsberg. Das werde nicht ohne höhere Verteidigungsausgaben gehen.
Zugleich gibt es die grosse Sorge in Deutschland, in den russischen Krieg in der Ukraine hineingezogen zu werden. Die Befragung von gut tausend Personen durch das Allensbach-Institut ergab, dass der Kurs des bisherigen Bundeskanzlers Olaf Scholz von einem Teil der Bevölkerung durchaus honoriert wird. 32 Prozent der Bürger trauen demnach eher ihm als dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zu, Deutschland aus militärischen Auseinandersetzungen herauszuhalten.
52 Prozent der Deutschen wollen schnellen Frieden
Das zeigten allerdings bereits andere Umfragen. Eine wesentliche Erkenntnis der Studie ist daher eine andere. Sie zeigt sich beim Wunsch nach einem schnellen Ende des Krieges in der Ukraine. 52 Prozent der Deutschen wollen Frieden, auch um den Preis ukrainischer Gebietsverluste. Nur 24 Prozent sind dagegen. Allerdings gibt es hier gravierende Unterschiede zwischen Ost und West. Im Westen ist gut die Hälfte der Bürger gegen einen Frieden um jeden Preis. Im Osten hingegen votieren zwei Drittel der Bevölkerung dafür.
Auch das Risiko eines russischen Angriffs auf weitere Länder wird in Ost- und Westdeutschland völlig unterschiedlich eingeschätzt. 50 Prozent der westdeutschen Bevölkerung erwarten, dass Russland in den nächsten Jahren nach der Invasion in der Ukraine gegen weitere Staaten militärisch vorgeht. Im Osten sind dagegen nur 27 Prozent dieser Auffassung. Die «heftige Spaltung» der Gesellschaft in der Sicherheitspolitik mache es für jede Bundesregierung schwer, «in Sachen Sicherheit entschlossen zu handeln», sagt Klaus Schweinsberg.
Insgesamt zeigt die Studie, dass sich das Sicherheitsgefühl der Deutschen in den vergangenen Jahren «signifikant vermindert» hat. Der Anteil derer, die sich in ihrem Land sicher fühlen, ist demnach von 76 Prozent im Jahr 2022 auf 60 Prozent in diesem Jahr zurückgegangen. Knapp jeder Zweite spreche von Gebieten in seinem Wohnort, «durch die man nachts nicht allein gehen möchte», heisst es. Die Sorge, als Unbeteiligter plötzlich Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, sei von 14 Prozent im Jahr 2022 auf nun 30 Prozent gestiegen.
Die Garantie von Sicherheit sei eine der zentralen Aufgaben des Staates, sagte Renate Köcher, Geschäftsführerin des Allensbacher Instituts, am Donnerstag in Berlin. «Die Bürger haben immer mehr den Eindruck, dass es hier an Konsequenz fehlt.»