Freitag, Februar 21

Louis Margot will die Erde mit Muskelkraft umrunden, gerade überquert der 32-jährige Westschweizer den Pazifik. Er hat Sehnsucht nach Gesellschaft, einer Südseeinsel – und kaltem Bier.

Auf seinem Ruderboot hat Louis Margot ein paar Dosen Bier versteckt. Versteckt, weil er sein Lieblingsgetränk nicht ständig sehen will. Das Bier spart er sich als Belohnung auf. Margot, 32 Jahre alt, hat schon vier von sechs Dosen getrunken. Eine nach einem Monat, zwei an Weihnachten, eine an Silvester. Er sagt: «Die letzte Dose werde ich an meinem Geburtstag am 2. März trinken. Vielleicht bin ich dann bereits an Land.» Margot wünscht sich manchmal, dass jemand Bier in Pulverform erfunden hätte: «Dann würde ich mehr mitführen. Doch aus Gewichtsgründen ist das nicht möglich.»

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Der Westschweizer befindet sich mitten auf dem Pazifik in einem Ruderboot, das keine zehn Meter lang ist. Die nächste Insel ist über 1000 Kilometer entfernt. Margot hat sich vor anderthalb Jahren aufgemacht, die Erde mit Muskelkraft zu umrunden. Er ist mit dem Velo von Morges nach Portugal gefahren, in 76 Tagen über den Atlantik gerudert, dann von der kolumbianischen Karibikküste nach Lima, Peru, geradelt. Jetzt stellt er sich der grössten Herausforderung seines Projekts: dem Pazifik, 15 000 Kilometer auf dem Wasser. Den Stillen Ozean will er in zwei Etappen bewältigen.

Es gibt gute und schlechte Tage im Alltag von Margot. Heute ist ein durchzogener Tag. Die Sonne brennt auf den Pazifik, das Wasser reflektiert gleissendes Licht, Margot macht Pause, weicht der Sonne aus. Am Telefon sagt er: «Es geht mir okay. Aber ich fühle mich einsam.» Seit 98 Tagen ist er keiner Menschenseele begegnet, keinem Frachtschiff, nichts. Er ist schon fast 6000 Kilometer weit gerudert.

Der Hintern schmerzt von der Plackerei auf der Ruderbank, Margot schläft schlecht in seiner Nussschale, die ständig schaukelt. Die gefriergetrocknete Nahrung hängt ihm zum Hals heraus. In Peru hat er Essen für 250 Tage eingekauft; er hofft, dass er nicht alle Rationen aufbrauchen wird. Er schätzt, dass er noch drei bis vier Wochen unterwegs sein wird, dann will er auf der Insel Hiva Oa, Französisch-Polynesien, anlegen. Margot sagt: «Mein grosses Ziel ist es, bei Verstand zu bleiben.»

Auf den Spuren von Thor Heyerdahl

Margot vergleicht seine Situation mit der eines Sträflings, nur hat er sich die Strapazen selbst auferlegt: «Ich versuche mein Gehirn zu beschäftigen und mich abzulenken», sagt er. Er lernt Spanisch, spielt Schach gegen den Computer, liest Bücher oder hört Podcasts. Er habe die Geschichten aller grossen Entdecker, von Magellan bis Amundsen, gehört.

Margot hat auch «Kon-Tiki» des norwegischen Forschers Thor Heyerdahl gelesen. Heyerdahl überquerte 1947 den Pazifik mit einem Floss auf einer ähnlichen Route wie Margot und bewies damit, dass peruanische Ureinwohner schon vor dem 15. Jahrhundert fähig gewesen waren, die polynesischen Inseln zu besiedeln. Heyerdahl unternahm seine Tour mit Begleitern, hatte immerhin Gesellschaft an Bord.

Margot ist trotz aller Ablenkung manchmal überwältigt. Von der Einsamkeit und dem riesigen Meer. «Die Dimensionen des Pazifiks sind unvorstellbar», sagt er. Schleicht sich dann der Gedanke ins Gehirn, dass er in einem Ruderboot sitzt, quälend langsam vorankommt, 55 bis 60 Kilometer pro Tag, dann fühlt sich Margot kraftlos und stellt sich die Sinnfrage.

«Ich fühle mich wie im langweiligsten Job der Welt»

Margot war früher ein logisch denkender, strukturierter Mensch, ein studierter Ingenieur. Im Nachwuchs schaffte er es einst in die Schweizer Ruder-Nationalmannschaft, war sogar Juniorenweltmeister. Während des Studiums in Cambridge nahm er am legendären Boat Race auf der Themse teil. Später nahm er einen Job in der Solarindustrie an und verdiente viel Geld.

Doch er befürchtete, sein Lebensweg sei für die nächsten vierzig Jahre bereits vorgezeichnet, wenn er so weiterarbeite. «Ich sehnte mich danach, etwas Grosses zu schaffen», sagt er. Zunächst plante er, über den Atlantik zu rudern, spürte aber, dass ihm das nicht reichen würde. Dann also die ganze Welt – die maximale Herausforderung.

Margot ist dem Trott mit festem Job zwar entflohen. Doch nun ist die Ruderei auf den Weltmeeren sein Alltag geworden. Margot steht bei Sonnenaufgang auf, zum Frühstück gibt es Müesli und Tee, danach rudert er drei bis vier Stunden, ehe er sich hinlegt. Nach der Siesta rudert er, bis es dunkel wird, danach liest er oder schaut Filme, meditiert und versucht zu schlafen. In Peru hat er sich eine Mundharmonika gekauft, spielt darauf «Frère Jacques», das Lied, das ihm seine Eltern als Kind immer vorgesungen haben. Margot sagt: «Ich spiele schlecht, aber es hört mich ja niemand.»

Auf dem Pazifik wird er zum Roboter

Auf dem Atlantik, den er letztes Jahr überquert hat, war ihm kaum langweilig. Die See war rauer, das Wetter wechselte, manchmal begegnete Margot Frachtschiffen oder Seglern, die ihn mit Nahrungsmitteln versorgten – einem kalten Bier zum Beispiel. Doch nun, auf dem Pazifik, verschwimmen die Tage und Stunden, es ist egal, ob Sonntag oder Mittwoch ist, Margot lebt nach dem Sonnenstand. Er sagt: «Auf dem Pazifik bin ich zum Roboter geworden, jeder Tag verläuft gleich.» Das sei zwar wichtig, um sich auf das Ziel zu fokussieren: «Ich fühle mich aber wie im langweiligsten Job der Welt.»

Die Antworten auf die Sinnfrage hängen von seiner Stimmung ab. Manchmal fühlt er sich schuldig, fragt sich, weshalb er seinen Eltern das antut. «In dunklen Momenten denke ich, dass ich egoistisch bin. Bin ich guter Stimmung, finde ich, dass ich meine Eltern mit meinem Projekt stolz mache», sagt Margot. Auf dem Pazifik lerne er, wer er wirklich sei. «Ich entdecke neue Emotionen, das ist nicht immer schön.»

Ins Detail gehen will Margot nicht, viele Gedanken seien privat. Nur so viel: «Als ich Peru verlassen habe, Tausende Kilometer Wasser vor mir, da hatte ich fürchterliche Angst.» Er habe zwei Wochen gebraucht, um die Furcht zu überwinden, sagt Margot: «Ich habe gemerkt, dass ich fähig bin, Ängste auszuhalten. Das ist ein grossartiges Gefühl.»

Je weiter er rudert, desto grösser wird die Angst vor dem Scheitern

Margot bezeichnet den Ozean mittlerweile als seine Heimat und ist dennoch überrascht, wie sehr ihm die Einsamkeit zu schaffen macht. «Auch wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet, wäre ich losgerudert», sagt er. Manchmal hat er Angst, dass er scheitern wird. «Je weiter ich rudere, desto schlimmer wird der Gedanken ans Aufgeben. Ich versuche, nicht daran zu denken.» Um den Kopf freizubekommen, meditiert er oder macht Atemübungen.

An guten Tagen hingegen fühlt sich Margot mit dem Pazifik verbunden. «Dann mache ich nichts und schaue aufs Meer.» Er geniesst dann den Sonnenuntergang, die Delfine, fliegenden Fische oder Schildkröten, die ihn manchmal begleiten. «An Land ist die Ablenkung gross, ich werde ständig gestört und abgelenkt. Auf dem Meer kann ich meinen Gedanken nachhängen.»

Gelegenheit dazu bleibt noch reichlich, Margot stehen noch über 1000 Kilometer bevor. Im Kopf hat er das Bild von Hiva Oa, der Insel, die er erreichen will. Es gibt dort Sandstrände, einen vom Dschungel überwucherten erloschenen Vulkan, kaltes Bier und frische Nahrung. Er will einen bis drei Monate auf der Südseeinsel verbringen, sich erholen und sein Boot reparieren. «Ich werde spüren, wann ich bereit bin, weiterzurudern.»

Nach der Pause will Margot den Pazifik ohne weiteren Stopp bewältigen. Zwar gäbe es in der Nähe seiner Route mehrere Inselstaaten. «Doch ankommen ist für die Psyche immer anstrengend, ich denke, dass ich es durchziehen werde», sagt er.

Von Hiva Oa bis Papua-Neuguinea, sein nächstes Ziel, sind es 8000 Kilometer. Margot will gar nicht daran denken, was ihn auf der zweiten Etappe der Pazifiküberquerung erwarten wird. Noch nicht.

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