Vier Bücher hat Michael Wolff nun schon über Trump geschrieben. Auch im neuesten, «Alles oder nichts», bleibt er sich treu. Er liefert keine Analyse, sondern eine Charakterstudie.
So ist er halt: ein lauter New Yorker, der sich das intrigante Washington vorgenommen hat; der die Quoten auf Kosten der Sorgfalt forciert; der als Behauptungsschleuder aktiv ist, auch bei obskurer Quellenlage; der mehr an der Inszenierung der Politik interessiert ist als an ihrem Prozess. Oder wie Donald Trumps Kommunikationsleiter über ihn ausrichten lässt: «Er ist ein lügender Sack», der «systematisch Geschichten fabriziert, die seiner krankhaften Phantasie entspringen.»
Die Rede ist von Michael Wolff. Dem rasenden Reporter und seriellen Trump-Biografen. Dem Journalisten, der sich eingängig und ausfällig zum millionenfach gelesenen Autor hochgeschrieben hat. Der 72-Jährige arbeitet für Publikationen wie «Vanity Fair», «The Hollywood Reporter», «The Guardian», «USA Today» und andere. Für seine Artikel hat er mehrere Preise bekommen.
Sechs Bücher hat Wolff veröffentlicht, darunter «The Man Who Owns the News» (2008), eine ausführliche Biografie über den australischen Verleger Rupert Murdoch. Sie ist kritisch, aber fair ausgefallen, was sich schon daran zeigt, dass der Verleger für das Buch mit dem Journalisten sprach. Ausserdem nahm sich der Biograf, der als Schnellschreiber gilt, damals Zeit.
Immerhin hat er auch Donald Trump persönlich getroffen. Das war vor ein paar Jahren in Mar-a-Lago, Trumps Kommandoposten am Atlantik. Das Interview habe darin bestanden, sagte Wolff später, dass Trump zwei Stunden lang auf ihn eingeredet habe. So halte es der Mann auch mit seinen eigenen Leuten.
Zwei Jahre, drei Dutzend Anklagen
Vor wenigen Tagen hat Michael Wolff mit «All or Nothing» sein viertes Buch über Trump veröffentlicht, den er ebenso sehr hasst, wie er von ihm fasziniert ist. Vielleicht weil er ihm in manchem gleicht. «Kaum sind die Wahlen vorbei, haben wir schon ein neues Buch von Michael Wolff», titelt die «New York Times» über das parasitäre Verhältnis zwischen dem Politiker und seinem Publizisten.
Wolffs Recherche liest sich unterhaltend und spannungsreich, schon weil er sie wie ein Drehbuch inszeniert, als sei er überall dabei gewesen. Das geht auf Kosten der Quellentransparenz, dafür kommt Wolff der Selbstinszenierung des politischen Spekulanten nahe. Sein Buch liefert keine Analyse, sondern eine Charakterstudie. Darin liegt seine Stärke.
Wolff beschreibt die letzten beiden Jahre im Leben von Donald Trump als cholerische Fortsetzung der Zeit davor. Und zeigt auf, wie ein auf die achtzig Jahre zugehender Mann drei Dutzend Anklagen und Prozesse übersteht, darunter wegen schwerer sexueller Belästigung, versuchten Wahlbetruges und Finanzdelikten; wie er zwei Attentatsversuchen entkommt, von denen einer nur um Zentimeter danebengeht; wie er einer medialen Dauerkritik trotzt und eine kräftezehrende Kampagne durchsteht. Um schliesslich zum amerikanischen Präsidenten wiedergewählt zu werden.
Detailliert beschreibt Wolff Trumps Gespür für den Auftritt. Dazu gehört die gereckte Faust nach dem Attentat, das ihm galt. Dazu gehört der tagelang vor dem Spiegel geprobte «mug shot», das Verbrecherbild aus dem Fulton County Jail von Atlanta. Trump versah es mit der Legende «never surrender» – kapituliere nie. Dazu gehören seine Posts, in denen er auf alles reagiert, was ihm schmeichelt oder ihn ärgert.
Und dazu gehören seine Lügen und die Schamlosigkeit, mit der er sie verbreitet. Donald Trump ist masslos in seinem Gebaren und mitleidlos in seinen Entscheiden, eine narzisstische Persönlichkeit von klinischem Ausmass. Langweilig ist er nicht. Auch darum verbreiten die Medien alles, was er sagt: Sie funktionieren als Vollstrecker.
Trumps geteilter Bildschirm
Wie konsequent Donald Trump an der Wirklichkeit vorbeilebt, fasst Wolff in eine mediale Metapher; er spricht vom «split screen», dem geteilten Bildschirm von Trumps Blick auf die Welt. Rechts überbieten sich Schmeichler, Profiteure und Rechtsextreme mit Bestätigungen dessen, was Trump sieht oder sehen will. Links drängen sich kritische Medien, feindliche Politikerinnen und Politiker, ehemalige Verbündete und sonst noch alle, die Trump für eine Gefahr halten.
Zu den Weiterverbreitern des unbändigen Kommunikators gehören Frauen und Männer, die sich Trumps Gunst mit einer nahezu grotesken Unterwürfigkeit gesichert haben. Etwa die von den Medien als «human printer», menschlicher Drucker, verspottete engste Mitarbeiterin Natalie Harp. Oder sein bevorzugter anwaltlicher Berater Boris Epshteyn, der Trump den Sauerstoff seiner Bewunderung zufächelt und zugleich gegen seine Anwaltskollegen intrigiert.
Und da ist natürlich auch Elon Musk, der Multimilliardär mit der Baseballkappe. Die Allianz mit dem Präsidenten werde bald zerbrechen, sagt Michael Wolff voraus. Trump sei unfähig zu dauerhaften Beziehungen. Beiläufig erfahren wir in seinem Buch zudem, dass Melania Trump ihren Mann hasst, der Schwiegersohn Jared Kushner auf maximale Distanz zu ihm gegangen ist und sich der Anwalt Rudolph Giuliani in die Unerheblichkeit getrunken hat.
Die Angst vor einer Diktatur
Wogegen Donald Trump immun bleibt, sind Selbstzweifel. Wie er kürzlich vor dem Kongress ausführte, hält er den Beginn seiner Amtszeit für den besten, der je einem amerikanischen Präsidenten gelang. Dass die «Washington Post» in seiner Rede über zwei Dutzend Lügen oder Verzerrungen gefunden hat, wird der Präsident nicht registriert haben. Stattdessen rief er sich wenig später zum König aus.
Viele fragten sich, wie selbstironisch er das gemeint hat, da auch Selbstironie nicht zu seinen Kernkompetenzen gehört. Zuvor hatte der Präsident einen Napoleon zugeschriebenen Satz für sich übernommen, den auch der norwegische Massenmörder Anders Breivik prominent zitiert: «Wer sein Land rettet, verletzt kein Gesetz.»
Können sich 77 Millionen Wähler täuschen?
Und jetzt? Was heisst das für Amerika? Wollen auch Donald Trump und seine Bauchredner Amerika zugrunde richten? Planen sie eine technokratisch orientierte, diktatorisch geführte Plutokratie? So skizziert sie der neoreaktionäre Computerunternehmer Curtis Yarvin. Er erlangte Prominenz, weil er als Einflüsterer von Vizepräsident J. D. Vance gilt, von Elon Musk unterstützt und vom Co-Milliardär Peter Thiel finanziert wird.
Wenn diese Prognosen stimmen könnten, warum haben dann über 77 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner König Donald wiedergewählt? Weder die europäische Verachtung Trump gegenüber noch die Verehrung seiner medialen Messdiener vermögen dieses Wahlverhalten zu erklären. Und auch Michael Wolff interessiert die Frage erstaunlich wenig. Um sie zu beantworten, reicht der Hinweis auf Donald Trumps mediales Gespür nicht aus.
Wie die Geschichte des Landes zeigt, haben zwei mythische Vorstellungen die Mentalität der Amerikaner geprägt, die sich bis in die Gründerjahre verfolgen lassen. Da ist einerseits die heroisierte, auf den Siedler verweisende und über das Image des Cowboys und von Rächerfigfuren tradierte Vorstellung des Einzelkämpfers, der es als Unerschrockener gegen alle Feinde aufnimmt.
Obwohl Donald Trump seine Karriere als Unternehmer mit Hunderten von Millionen Dollars seines Vaters begann, weiss er sich bis heute als Rebell gegen das System zu vermarkten, ein aufdatierter Siedler in einer modernisierten Wildnis. Auch Trumps Zerschlagungswut gegen den Staat trifft auf das reflexartige und historisch geprägte Misstrauen so vieler Amerikaner gegenüber staatlichen Institutionen, von denen sie doch abhängen.
Dass der Präsident als erneuter Kandidat so viele Wählerinnen und Wähler an die Urne bringen konnte, hat paradoxerweise mit ihrer Lethargie zu tun. Wie eine kurz vor den amerikanischen Wahlen publizierte, mehrere Jahre vergleichende Umfrage des nichtstaatlichen «Pew Research Center» zeigte, sinkt in den USA das Vertrauen in die Parteien. Auch von den Medien, der Wissenschaft, den Schulen und sogar dem obersten Gericht erhoffen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner immer weniger. Viele sind selbst vom Glauben abgefallen.
Michael Wolff: Alles oder nichts. Donald Trumps Rückkehr an die Macht. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Strerath-Bolz, Monika Köpfer, Gregor Hens, Thomas Gunkel, Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Stefanie Römer. Droemer-Verlag, München 2025. 480 S., Fr. 39.90.