Samstag, April 19

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Ostern ist das wichtigste Fest des Christentums. Und wird landesweit eifrig zelebriert. Streifzug durch das österliche Kulturerbe der Schweiz.

In Mendrisio ziehen am Gründonnerstag und am Karfreitag Hunderte Bewohner in zwei Prozessionen durch die Stadt. Sie tragen historische Laternen aus bemalter Leinwand und prunkvolle Kostüme von biblischen Figuren. Daraus entsteht ein buntes katholisches Reenactment.

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In Romont, im Kanton Freiburg, ziehen am Karfreitag ein Dutzend voll verschleierte Frauen mit den Marterwerkzeugen Jesu, der Dornenkrone, den Nägeln, dem Kreuz, durch die Stadt. Während dieser Prozession schweigen sie und verbreiten eine andächtige Stille in den Gassen.

In Ferden, einem 250-Seelen-Dorf am Eingang des Walliser Lötschentales, verteilen einige gewählte Männer am Ostermontag an jeden Bewohner des Tales ein Stück Käse und Brot. Wer die Spende erhalten hat, bedankt sich mit einem Vers, der zugleich Dank an die Spender und ein Gebet für die armen Seelen ist.

Die Bräuche in Mendrisio, Romont und Ferden reichen Jahrhunderte zurück und sind in Gesellschaften entstanden, die sich in vielerlei Hinsicht von der Gegenwart unterscheiden. Doch bis heute faszinieren sie und stiften Gemeinschaft.

Mendrisio und die bunten Prozessionen der Karwoche

Am Gründonnerstag und am Karfreitag wird die Tessiner Kleinstadt Mendrisio am südlichsten Rand der Schweiz zu einer grossen Freilichtbühne. Überall in den Gassen leuchten historische Schaubilder, die Szenen aus der Passion Christi zeigen. In den Strassen tummeln sich Hunderte Darsteller, Gläubige, Touristen.

Die Einheimischen nennen die Prozession am Gründonnerstag «Funziun di Giüdee». Über 270 Darsteller und 40 Pferde bilden einen bunten Zug, der die letzten Stunden im Leben von Jesus Christus darstellt. Einige der Kostüme wurden in Zusammenarbeit mit den Schneidern der legendären Scala in Mailand entworfen. Wer die Rolle von Jesus spielen darf, entscheidet das Los. Der Name des Darstellers ist bis zur Prozession geheim. Dann beginnt ein barockes Theater mit szenischen Darstellungen, lauten Trompeten, vereinzelten Zwischenrufen, aber ohne Dialoge.

Tags darauf beteiligen sich 700 Darsteller, Musikanten, Ordensleute und Priester an der Karfreitagsprozession, dem sogenannten «Entierro». Sie tragen Statuen des toten Christus und der leidenden Gottesmutter sowie Hunderte handbemalte Laternen, sogenannte Trasparenti, durch die Stadt. Die Musikgesellschaften spielen Märsche, die nur an diesem Tag zu hören sind. Es wirkt imposant, gleichzeitig aber herrscht auch eine andächtige Stimmung.

Nadia Fontana Lupi ist Mitglied im Vorstand der Stiftung, welche die Prozessionen organisiert. Sie sagt: «Mendrisio erscheint mir in der Karwoche wie eine andere Stadt.» Überall leuchten die «Trasparenti», die Schaubilder, die teilweise aus dem 17. Jahrhundert stammen. Bekannte, die in der Deutschschweiz studieren oder arbeiten, kehren zurück. Die Familien versammeln sich und nehmen an den Prozessionen teil. Viele, vor allem die Jüngeren, als Darsteller. Die Älteren erzählen von früher, als sie selbst römische Soldaten, Jesus oder Maria spielten.

Es gehe bei den Prozessionen um Religion und Traditionen, sagt Fontana Lupi weiter. «Aber auch darum, dass sich die besondere Atmosphäre in den Strassen auf alle überträgt und alle dasselbe fühlen.»

Seit 2019 sind die Prozessionen von Mendrisio Teil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Fontana Lupi durfte damals das entsprechende Dossier für die Unesco vorbereiten. Sie sagt, dass die Unesco die Prozessionen anerkannt habe, liege vermutlich an den grossen Schaubildern und Trasparenti, die nach einer überlieferten Technik bis heute in der Region hergestellt werden. «Das ist in Europa und vermutlich sogar weltweit einzigartig.»

Wie besonders die Prozessionen sind, war den Leuten in Mendrisio allerdings lange vor der Unesco bewusst. Fontana Lupi hat in den Archiven ein Werbeplakat für die Feierlichkeiten gefunden, das aus dem Jahr 1953 stammt und damals in der Deutschschweiz aufgehängt wurde. Es sollte Touristen anlocken. Heute vermarktet das Tourismusbüro die Prozessionen mit Videos und Beiträgen in den sozialen Netzwerken, und seit einigen Jahren dürfen Touristen auch selbst eine Rolle in den Prozessionen übernehmen.

Romont und die schweigenden Pleureuses

Touristen gibt es am Karfreitag auch in Romont, einem mittelalterlichen Städtchen, das auf einem Hügel gelegen ist. Sie versammeln sich am Nachmittag vor der gotischen Stiftskirche, die an diesem Tag voll ist. Lautsprecher übertragen die Karfreitagsliturgie nach draussen. Wenn die Passion Christi vorgelesen wird, unterbricht der Priester die Feier. Dann ziehen die Pleureuses vom Altarbereich der Kirche hinaus auf den Platz und durch die Strassen der Stadt. Hinter ihnen reihen sich Priester, Messdiener und die Gläubigen ein.

Benoît Chobaz ist der Präsident des Pfarreirates von Romont und sagt: «Es ist eindrücklich, zu sehen, wie alles verstummt, wenn die Pleureuses hinaus auf die Strasse treten.» Viele Leute, sagt Chobaz weiter, kämen, weil sie Folklore sehen wollten. Doch sie würden bald merken, dass der Brauch auch etwas Tiefgründiges und Andächtiges an sich hat.

Jahrhundertelang feierten die Einwohner von Romont den Karfreitag lauter als heute. Denn die Prozession der Pleureuses geht auf Passionsspiele zurück, also die theatralische Darstellung der Leidensgeschichte Jesu. In Romont sind Passionsspiele erstmals aus der Mitte des 15. Jahrhunderts belegt. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren sie in ganz Europa verbreitet. 1755 wurden die Passionsspiele von Romont schliesslich durch eine Prozession ersetzt.

In Romont heisst es, vermutlich seien die Pleureuses bereits zuvor Teil der Passionsspiele gewesen und hätten diese quasi überlebt. Als gesichert gilt, dass die Stadt den Karfreitag ab Mitte des 18. Jahrhunderts mit einer Prozession feierte, an der neben den Pleureuses ein Dutzend barfüssige Männer in Bussgewändern teilnahmen und ein Kreuz sowie eine Statue des gefolterten Christus trugen. Später verbrannten die Gewänder der Männer. Es blieben einzig die vollständig verschleierten Pleureuses übrig.

Die Schleier sollen laut Benoît Chobaz verdeutlichen, dass es nicht um die einzelnen Darstellerinnen, sondern um das geht, was sie verkörpern. Die Pleureuses stünden zuerst für die trauernden Frauen von Jerusalem und das Leiden Jesu, sagt Chobaz. «Doch sie stehen in gewisser Weise auch für alle leidenden Frauen unserer Zeit, für die Frauen von Gaza und jene in der Ukraine.» Die Schleier sollen also die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche lenken. Es scheint, sie ermöglichen auch, die Tradition individuell zu interpretieren.

Ferden und das Gelübde der Osterspende

Immer am Ostermontag versammeln sich die Dorfbewohner von Ferden, einem Dorf am Eingang des Lötschentales, und feiern eine Messe. Danach gehen sie zum Gemeindehaus und holen die Osterspende ab. Einen Würfel Ziger, ein Stück Brot und für die Erwachsenen ein Glas Wein. Die Reihenfolge ist klar geregelt. Erst kommen die Kinder, dann die Bewohner der Nachbardörfer, schliesslich die Frauen aus Ferden. Die Männer des Dorfes erhalten am Dienstagabend, was übriggeblieben ist.

Eigentlich regeln handschriftliche Verordnungen jedes Detail der Osterspende. Zum Beispiel, wie viel Ziger, Brot und Wein den Helfern und Gästen zusteht. Jenen, die den Käse vor der Spende in kleine Würfel schneiden, den Boden im Gemeindehaus wischen oder schwanger sind. Letztgenannte erhalten eine grössere Portion Käse. Doch im Verlauf der Jahrhunderte hat sich die Bedeutung des Brauches stark verändert.

Valentin Werlen, Gemeinde- und Burgerpräsident von Ferden, sagt, noch vor 100 Jahren habe die Bevölkerung des Lötschentals in bescheidenen Verhältnissen gelebt. «Für viele Familien war der Ziger eine willkommene Spende, doch heute ist bei uns niemand mehr auf solche Almosen angewiesen.» Trotzdem achten Werlen und die anderen Dorfbewohner die Verordnungen. So wie ihre Vorfahren.

Die Osterspende geht auf ein Gelübde, also ein Versprechen vor Gott, zurück, das die Dorfbewohner im 14. Jahrhundert abgelegt haben. Damals, so erzählt die Sage, hätten sich auf den Alpen über dem Dorf sonderliche Ereignisse zugetragen. Immer wieder verschwanden Kühe für drei Tage, kehrten dann erschöpft und mit Weizenähren zwischen den Klauen zurück. In den Tagen danach gaben sie blutrote Milch. Verantwortlich dafür soll ein toter Senn gewesen sein, der sich zu Lebzeiten bereichert hatte und dessen Seele keine Ruhe fand.

Die Viehbesitzer von Ferden entschlossen sich zu handeln. Sie versprachen, jedes Jahr die Milcherträge vom 23. und 24. Juli zu einem Käse zu verarbeiten und ihn unter der Bevölkerung im Tal zu verteilen. Rund 700 Jahre später gibt es im Dorf kaum noch hauptberufliche Bauern. Der Grossteil der Milch wird deshalb im Rhonetal eingekauft. Doch die Produktion des Zigers läuft ähnlich wie im Mittelalter ab.

Die Burgerversammlung wählt jedes Jahr zwei Männer, sogenannte Spendherren, die aus der Vollmilch einen feinen Brei herstellen, diesem Salz beifügen und ihn dann in passende Formen aus Tannenrinde geben. Die Rinden heften die Spendherren mit dem Bast von Ulmen zusammen. Diese Rümpfe geben dem Ziger seinen charakteristischen Geschmack. Vom Sommer bis ins Frühjahr überprüfen die Spendherren einmal pro Woche den Reifeprozess des Zigers und stechen mit Nadeln in die Rümpfe, so dass die Flüssigkeit abfliesst.

Am frühen Morgen des Ostermontags wird der Ziger dann von Helfern in kleine Würfel geschnitten und zum ersten Mal probiert. Für die Spendherren ist das ein wichtiger Moment. Sie haben viel Mühe und Zeit in die Produktion investiert. Und sie wissen: Der Geschmack des Zigers ist am Ostermontag Tagesgespräch, schliesslich wird der Käse an die gesamte Bevölkerung des Lötschentales verteilt.

Werlen sagt, für viele Leute im Dorf sei die Osterspende der wichtigste Tag im Jahr. Wichtiger als der eigentlich Brauch sei aber, was er bewirke: «Indem wir die Vorgaben zur Spende befolgen, bekennen wir nicht bloss, Bewohner derselben Gemeinde, sondern Teil einer Gemeinschaft zu sein.»

Die Vorgaben zur Spende sind in einem grossen Buch handschriftlich festgehalten. Auf den ersten Seiten dieses Buches steht ein Hinweis an nachfolgende Generationen. Er besagt, dass sie die Spende gemäss den Vorgaben weiterführen, diese aber mit einer Mehrheit an der Burgerversammlung den Gegebenheiten der Zeit anpassen können. Vor zwei Jahren stimmte diese Versammlung darüber ab, ob künftig auch Frauen das Amt der Spendherren übernehmen sollen. Der Antrag wurde abgelehnt. Eine einzige Stimme machte den Unterschied.

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