Dienstag, April 22

Nina Bussmann hat mit ihrem Roman «Drei Wochen im August» eine flirrende Sommergeschichte aufgezeichnet, die zugleich ein Mörderstück ist.

Stundenlang kann man aufs Meer hinausschauen. Durch seine Weite scheint es ein Ort glücklichster Beruhigung, aber die Weite bedeutet auch subtile Gefahr. Gleich zu Beginn ihres neuen Romans «Drei Wochen im August» lässt Nina Bussmann eine Figur zu Wort kommen, die dafür ein psychologisches Bild hat: Die Wellen, so sagt Eve, zögen alles aus ihr heraus.

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Das Buch setzt eine Art Triggerwarnung an den Anfang, und es wird im Lauf der Erzählung klar, dass sie ihre Berechtigung hat. In der Nachbarschaft zum Meer werden die Übergänge zwischen Einbildung und Wirklichkeit fliessend. Die Sonne tut ein Übriges in diesem fragil konstruierten Roman, der seine Andeutungen immer genau so weit treibt, dass zwischen Katastrophe und finaler Heiterkeit alles möglich scheint.

Eigentlich sind es normale Touristen, die für ein paar Tage ihre deutsche «Ich mache was mit Kunst»-Gegenwart gegen Südfrankreich tauschen wollen. Elena hat über ihre Chefin Ali das Landhaus von deren mäzenatischer Freundin Nana angeboten bekommen. Elenas Mann ist zu Hause aus nicht ganz durchsichtigen Gründen unabkömmlich. Sie nimmt ihre dreizehnjährige Tochter Linn mit und den sechsjährigen Sohn Rinus. Auf Eve will Elena auch nicht verzichten. Sie war die Babysitterin der Kinder, ist aber zur Vertrauten geworden.

Dass dieser Status mit Vertrauen nicht unbedingt etwas zu tun hat, zeigt ein Kunstgriff des Romans. Er wird abwechselnd aus der Perspektive zweier Frauen erzählt, die einander nicht gerade unkritisch begegnen. Im stereoskopischen Blick mischen sich Elenas Sentimentalität und Verunsicherung mit Eves hemdsärmeliger Nüchternheit. Es verfängt sich darin eine Realität, die fast schon hyperrealistisch ist.

Zu viele Menschen auf zu wenig Raum

Das Landhaus am Atlantik bietet jenen bescheidenen Komfort, der nur mit Sinn für Romantik zu ertragen ist. Die Versorgungslogistik in diesem Landstrich ist kompliziert. Rundum sind Waldbrände ausgebrochen, bei denen man nicht weiss, ob sie auch der Ferientruppe gefährlich werden könnten. Das Meer ist durch seine unberechenbaren Strömungen und die plötzlich hereinbrechende Flut eine Gefahr für sich, und die Menschen sind auch nicht ganz ohne. Ein sinistrer Hausmeister kümmert sich von früh bis spät um alles Mögliche im Haus, scheint aber auch einen Blick auf die beiden Frauen geworfen zu haben. Oder er ist doch schwul.

Linn hat auch noch ihre Freundin Noémie mitgebracht, und damit hat man zwei heranwachsende Mädchen, die den Zauber der Jugend ganz weltvergessen zelebrieren. Jede auf ihre Art. Noémie in blütenweissen, stets glattgebügelten Kleidern und knappen Bikinis, Linn in weiten Wallegewändern. Über das Erscheinungsbild ihrer Tochter führt Elena in ihren Romanpassagen ziemlich genau Buch.

Überschiessende Nahrungsaufnahme bei gelinder Vernachlässigung der Hygiene geben ein pubertätstypisches Zustandsbild, sind aber auch Zeichen aktueller Selbstverluste. Aus den Corona-Jahren hat diese Jugend nicht wieder herausgefunden. Die Erfahrung, dass die Einsamkeit etwas sehr Existenzielles ist und kein vorübergehender Zustand, nimmt sie schon sehr früh in ihr Leben mit. Und es gibt Bewältigungsstrategien. Gemeinsam mit der selbstsicheren Noémie schreibt Linn an Fantasygeschichten, in denen junge Frauen auf abenteuerliche Art Gefahren bestehen.

Schon mit ihrem Debüt «Grosse Ferien» im Jahr 2012 hat Nina Bussmann gezeigt, wie präzise sie die gefährlichen Unterströmungen der Wirklichkeit in sprachliche Ambiguität übertragen kann. «Drei Wochen im August» ist in dieser Hinsicht ein Meisterstück. Ferien am Meer als Ausnahmezustand, aber zugleich als Abbild einer neuen gesellschaftlichen Normalität, in der jeder jeden belauert.

Man hat «Drei Wochen im August» nicht nur als sommerliche Unternehmung von Freunden vor sich, sondern erlebt auch ein geradezu illustratives Mitwirken der Natur. Es drohen die Waldbrände, schwere Gewitter ziehen auf. Das unberechenbare Meer ist immer darauf aus, einen nichtsahnenden Schwimmer zu verschlucken. Eines Tages taucht ein grosser weisser Hund auf und lässt sich nicht wieder vertreiben. Er schaut die Menschen an, wie sie sich auch gegenseitig anschauen: mit misstrauischer Liebesbedürftigkeit.

Unübersichtliche Verhältnisse

Einen weiteren Grad an sozialer Komplexität bekommt das Sommerszenario, als ein gewisser Franz mit seinem Campingbus und der Tochter einer Freundin anreist. Auch er dürfe auf Einladung Nanas Tage im Haus verbringen, sagt er. Mit seinem nackten Oberkörper und fragwürdigen Talenten zwischen Yoga und Kochen mischt Franz die Gesellschaft auf.

Sein tatsächliches Verhältnis zur fünfzehnjährigen angeblichen Freundinnentochter Marla ist nicht ganz klar. Am Schwimmbecken des Hauses räkelt sie sich filmreif. Die Neuankunft entgeht auch den Jungs aus dem nahen Ferienresort nicht, und so ergibt sich aus Linn, Noémie und Marla ein Trio infernal, neben dem Elena und Eve schauen können, wo sie bleiben. Vor allem schauen, das tun sie.

Mit Nina Bussmanns Roman gerät man auch in ein popkulturelles Vexierbild. Der Swimmingpool, über dem fröhlich scharfkantig die Hitze flirrt, ist wie bei David Hockney. Wenn Alain Delon und Romy Schneider im Film «Der Swimmingpool» ihre gescheiterte Beziehung unter der Sonne Südfrankreichs noch einmal nachknistern lassen, dann schwingt diese Reminiszenz im Buch mit.

Auch nicht zu vergessen: «Swimming Pool» von François Ozon mit seinem Kammerspiel der zwei Frauen. Der Konkurrenz aus einer nassforsch sich ins Leben stürzenden pubertären Erotik und dem diskreten Begehren einer alternden Künstlerin. Hier geht es um Blicke, um das oft heimliche Betrachten von Körpern. Alles das gibt es auch in «Drei Wochen im August». Der Garten beim Haus, der Strand und der Swimmingpool werden zum Aufmarschgebiet von Eigenschaften.

Bussmann fängt die Eigenschaften von Menschen, die verzweifelt nach Glück suchen, multiperspektivisch, und das heisst vor allem: psychologisch, ein. «Drei Wochen im August» ist grandios hintersinnig. Ein Sommer-Thriller, in dem dann auch noch plötzlich eines der Mädchen verschwindet. Die Idylle ist ein Mörderstück, und genau darüber hat Nina Bussmann einen grandiosen Roman geschrieben.

Nina Bussmann: Drei Wochen im August. Roman. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2025. 320 S., Fr. 36.90.

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