Mit den gegenwärtigen geopolitischen Herausforderungen lässt sich eine temporäre Aufnahme zusätzlicher Schulden begründen. Aber alles den nächsten Generationen aufzubürden, ist genauso unsinnig wie der Glaube, flächendeckende Zölle würden ein Land stärker machen.
«Angesichts der Bedrohungen des Friedens und der Freiheit auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: ‹whatever it takes›.» Gesagt hat dies der voraussichtlich nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz. Er erklärte damit seine Übereinkunft mit der Spitze der SPD, wesentlich mehr fürs Militär auszugeben. Doch er liess es dabei nicht bewenden.
Deutschland soll Schulden machen. Und zwar für alle Verteidigungsausgaben, die 1 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) übersteigen (heute sind es schon rund ein Drittel mehr). Dafür soll die deutsche Schuldenbremse ausser Kraft gesetzt werden, die bisher für fiskalische Disziplin sorgte. Zudem wollen die Koalitionäre auch noch 500 Milliarden Euro Schulden für öffentliche Investitionen aufnehmen, um die deutsche Wirtschaft anzukurbeln.
Der Handlungsbedarf ist unbestritten
Aussergewöhnliche Zeiten erfordern aussergewöhnliches Handeln. Ein aggressiv neoimperialistisch auftretendes Russland bedroht die Freiheit und den Frieden in Europa. Gleichzeitig signalisieren die USA unter Donald Trump bisher ungekanntes Desinteresse und Unwillen, sich für Europa ins Zeug zu legen und Russland abzuschrecken. Europa – und dazu gehört auch die Schweiz – muss sich deshalb rasch aus eigener Kraft besser verteidigen können.
Geopolitische Einordnung im Überblick
Kurzgefasst: Man kann ökonomische Sachverhalte ignorieren, aber nicht ausser Kraft setzen. Setzt man sich zu lange darüber hinweg, führt das in den dekadenten Niedergang. Geopolitische Einschätzung: Trump schwächt die USA mit seiner Zollpolitik. Deutschland gibt mit der fiskalischen Solidität ein zentraler ihm noch verbliebener Trumpf aus der Hand, falls es unter Merz praktisch die gesamte notwendige Aufrüstung mit Schulden finanziert und sehr viel Geld für schuldenfinanzierte öffentliche Investitionen aufwendet. Das freut vielleicht Russland, ist aber nicht im Interesse des Westen.
Blick voraus: Entscheidend wird sein, wie viel ökonomisch Unvernünftiges die beiden Regierungen tatsächlich umsetzen werden und was wann dazu führen wird, dass sie sich eines Besseren besinnen(müssen). Die «checks and balances» sind geschwächt, aber nicht abgeschafft.
Dazu ist Europa derzeit nicht in der Lage. Die Art und Weise, wie fast alle europäischen Länder ihre Verteidigung und ihr Militär in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt haben, war verantwortungslos. Während Deutschland noch in den 1960er Jahren um die 4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (BIP) fürs Militär ausgab, liess es diese Ausgaben nach dem Fall der Berliner Mauer bis gegen 1 Prozent sinken. Die Schweiz hat ihre Verteidigungsausgaben gar auf 0,7 Prozent des BIP reduziert. Rechnet man den Beitrag des Milizheers von vielleicht 0,5 Prozentpunkten dazu, steht die Schweiz ähnlich da wie Deutschland.
Nimmt man die Geschichte zum Massstab, dürfte eine Erhöhung der Ausgaben fürs Militär auf zwischen 3 und 4 Prozent des BIP angezeigt sein. Es braucht einen Kraftakt. Aber nicht nach dem Prinzip «whatever it takes» und ausschliesslich schuldenfinanziert.
Auf einem gefährlichen Pfad
Schulden rechnen sich ökonomisch vor allem dann, wenn hohen einmaligen Aufwendungen künftige Erträge gegenüberstehen. Kreditfinanziert lassen sich ihre Kosten besser strecken. Künftige Nutzniesser tragen so den ursprünglichen Aufwand mit. Investitionen sollten primär dann schuldenfinanziert werden, wenn die künftigen Erträge höher sind als die Zinskosten. Nicht ratsam ist hingegen, Konsum in grösserem Stil auf Kredit zu finanzieren.
Militärische Abschreckung erzeugt kaum direkte Erträge, aber sie gehört zu den ständigen Kernaufgaben des Staates. Normalerweise ist sie deshalb aus dem laufenden Haushalt zu finanzieren. Eine temporäre Schuldenaufnahme lässt sich damit begründen, Umschichtungen der Konsumausgaben etwas Zeit zu geben und die Kosten einer einmaligen Kraftanstrengung besser zu verteilen. Doch Aufwände verteilen heisst auch, dass diese innert nützlicher Frist bezahlt werden sollten. Gegenwärtig aber dominiert im Westen der Irrglaube, Schuldenmachen sei ein schmerzfreies Mittel, um den Staat ungestraft immer mehr ausgeben zu lassen.
Als Folge davon ist die durchschnittliche Verschuldung der entwickelten Länder mit 111 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) bereits heute dort angelangt, wo sie zuletzt Ende des Zweiten Weltkriegs war (118 Prozent). Dabei stimmt schon seit dem alten China, dass Regierungen ihre Kriege meistens über die Aufnahme von Schulden finanzieren. Weil sie diese dann nicht mehr bedienen können, werden die Gläubiger enteignet und geht die Wirtschaft kaputt, oder aber die Zentralbank druckt wie in Deutschland am Ende des Krieges das Geld, und eine Hyperinflation entwertet alle Ersparnisse.
Noch steht Deutschland dank seiner Schuldenbremse mit einer Verschuldung von 63 Prozent der Wirtschaftsleistung vergleichsweise gut da. Doch schon das hat einen hohen Preis. Bis zur Ankündigung von Merz’ Schuldenplänen rentierten zehnjährige deutsche Staatsanleihen mit 2,5 Prozent. Müsste der Staat heute seine Schulden so verzinsen (gegenwärtig sind die Kosten wegen der vergangenen Niedrigzinsphase noch geringer), hätte er 68 Milliarden Euro nur für den Zinsendienst aufzuwenden. Das ist mehr als die 57 Milliarden, die er 2024 für das Militär ausgab. Erhöht sich die Rendite wegen der zusätzlichen Verschuldung, wie in den vergangenen Tagen geschehen, auf 2,8 Prozent und steigt die Schuldenlast, wie mit den neuen Plänen zu befürchten ist, auf 90 Prozent, würden gar 108 Milliarden fällig.
Sollte die gegenwärtige Generation tatsächlich die gesamten zusätzlichen Verteidigungskosten durch neue Schulden finanzieren, würde sie die Kosten der vergangenen Vernachlässigung künftigen Generationen aufbürden, die wegen der demografischen Alterung sowieso schon über Gebühr belastet werden. Arme Jugend!
Teuer wird es – also bitte effizient
Manche sehen zwar Militärausgaben als ein grossartiges Konjunkturprogramm, das es erlaubt, aus der Verschuldung herauszuwachsen. Tatsächlich können Staatsausgaben in einer unterbeschäftigten Wirtschaft das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Aber produktiv sind Waffen und Heer zum Glück nicht – sie dienen dazu, abzuschrecken, und sollten möglichst nie eingesetzt werden müssen.
In einer einigermassen vollbeschäftigten Wirtschaft wie in Deutschland oder der Schweiz (wo immer noch Fachkräfte gesucht werden) verdrängen zusätzliche staatliche Investitionen zudem primär private Investitionen. Wobei öffentliche Infrastrukturinvestitionen in Deutschland schon bisher (Berliner Flughafen und Stuttgarter Bahnhof lassen grüssen) nur langsam vorankamen, weil es nicht am Geld, sondern an Bauarbeitern und Handwerkern fehlte.
Militärisch finanzierte Entwicklungen können zwar die zivile Industrie beflügeln, wie die USA zeigen. Doch müsste dann das Militär deutlich mehr in wettbewerbsorientierte Grundlagenforschung und Entwicklung stecken, als es dies derzeit tut. Zudem sollte der Effekt nicht überbewertet werden. Verteidigung ist wichtig, aber teuer. Wie fast alle staatlichen Aufgaben braucht sie Ressourcen, die sonst anderweitig produktiv eingesetzt werden könnten. Auch das ist ein ökonomischer Sachverhalt, der heutzutage von vielen mit erschreckender Ignoranz beiseitegeschoben wird.
Umso wichtiger wäre es gerade jetzt, das öffentliche Gut der Sicherheit effizient herzustellen. Nicht mit der Losung «whatever it takes», sondern durch einen möglichst effizienten Einsatz von Ressourcen. Dazu braucht Europa keine Verstaatlichung der Rüstungsindustrie, aber wesentlich mehr länderübergreifende Koordination und Kooperation. Die Ukraine könnte wertvolle Erfahrung beisteuern.
Zölle machen ärmer, nicht stärker
Nicht besser als die Nonchalance im Schuldenmachen ist Donald Trumps Handelspolitik. «Für mich heisst das schönste Wort im Wörterbuch Zoll», sagt der 47. Präsident der USA. Er will mit hohen Zöllen Firmen dazu zwingen, in den USA zu investieren und ihre Waren vor Ort herzustellen. Das schaffe Arbeitsplätze und werde dem Staat hohe Einnahmen bescheren. «Zölle sind ein grosser Erfolg. Sie machen uns reich und sehr stark», sagt Trump.
Das zeigt, dass auch er nicht viel von Weltwirtschaft versteht. Wenn Zölle dazu führen, dass Mobiltelefone in Texas statt in China endmontiert werden und Autoteile im amerikanischen Gliedstaat New Mexico lackiert statt in Mexiko, dann werden Mobiltelefone und Autos in den USA teurer. Ihre Herstellung beschäftigt Arbeiter und Kapital, die vorher in der amerikanischen Industrie effizienter eingesetzt werden konnten. Der freie Welthandel erlaubte es eben allen Beteiligten, die Vorteile der internationalen Spezialisierung zu nutzen und sich auf einen globalen Absatzmarkt auszurichten. Wer hingegen alles selber machen will, wird dabei nicht stärker, sondern ärmer.
Leider ist Trump mit seinem Irrglauben nicht allein. Der Protektionismus hat seit 2020 weltweit zugenommen.
Was jetzt gefragt wäre
Protektionismus, unbändiges Schuldenmachen und ein übergriffiger Staat sind Zeichen erschreckender ökonomischer Unvernunft.
Gefragt wären stattdessen eine Rückbesinnung auf eine unternehmerfreundliche Verbesserung von Rahmenbedingungen und eine solide Fiskalpolitik. Dazu gehört auch eine Sozialpolitik, die gezielt wirkt, statt wie derzeit in Deutschland Geld mit der Giesskanne zu verteilen und dabei allen zu wenig übrig zu lassen. Zentral für Erfolg in diesen herausfordernden Zeiten wären eine leistungsorientierte Bildung und Forschung, weniger Bürokratie und dafür mehr Freiheit und Freihandel.
Doch leider halten anscheinend beklemmend viele Wähler in Deutschland und Europa den (Wirtschafts-)Liberalismus für überflüssig. Erstaunlich ist, wie wenige sich daran stören, wenn ökonomische Sachverhalte mit Verweis auf übergeordnete Notwendigkeiten nonchalant beiseitegeschoben werden. Dabei kann man wirtschaftliche Zusammenhänge eine Weile ignorieren, aber nicht ausser Kraft setzen.
Besinnen sich Trump und Merz nicht eines Bessern, wird nichts mit «great again». Stattdessen droht der dekadente und unfreie Niedergang.