Mittwoch, März 12

Eine Viertelstunde erhielten die Kanzlerkandidaten von den Grünen, der Union und der SPD. Sie nutzten sie für Gemeinplätze und vielleicht auch für erste Sondierungen für eine neue Koalition.

Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die Klamauk-Päpste des deutschen Privatfernsehens, haben wieder eine Viertelstunde Sendezeit auf dem Privatsender ProSieben verschenkt. Seit 2019 tragen die beiden regelmässig Wettkämpfe gegen den Sender aus. Gewinnen sie, erhalten sie fünfzehn Minuten zur besten Sendezeit, die sie gestalten können, wie sie möchten. Und dort lassen sie jeweils Personen zu Wort kommen, die Ernsthafteres zu sagen haben als sie selbst.

2020 thematisierte die Autorin Sophie Passmann gemeinsam mit weiteren prominenten Frauen Übergriffe von Männern. Es ging um anzügliche Kommentare im Internet und im Alltag. Und um Dick-Pics, also um Fotos von zumeist erigierten Penissen, welche die Frauen unaufgefordert zugeschickt bekamen.

Weil bald Weihnachten ist und wenige Wochen später Bundestagswahlen anstehen, haben Heufer-Umlauf und Winterscheidt die Sendezeit am Mittwochabend an drei Politiker vergeben. An den sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz, den grünen Kandidaten Robert Habeck und den christlichdemokratischen Friedrich Merz.

Die drei Politiker versuchten in ihren je fünf Minuten die Wählerinnen und Wähler für gegenseitigen Respekt im anstehenden Wahlkampf zu sensibilisieren und von sich zu überzeugen. Scholz sagte: «Es geht darum, innezuhalten und sich zu fragen, welchem Kandidaten man sein Vertrauen schenken will.»

Doch Scholz, Habeck und Merz machten dem Publikum die Wahl zwischen den Kandidaten schwer. Alle drei sagten praktisch dasselbe.

Scholz, Habeck und Merz in der Manege

Die Sendung begann mit einem dramatischen Klangteppich. Im Hintergrund war ein pumpendes Herz zu hören. Puls ungefähr 190 – also kurz vor dem Infarkt. Dann leuchteten Scheinwerfer auf, angeordnet wie in einer Manege, auf einen leeren Stuhl in der Mitte gerichtet.

Die Musik hätte genauso gut aus einem dramatischen Kino-Epos stammen können. Der Kranz mit den Scheinwerfern passte eher zur Nachmittagsvorstellung im Zirkus.

Auf dem Stuhl in der Mitte nahmen nacheinander Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der Oppositionsführer Friedrich Merz und Bundeskanzler Olaf Scholz Platz. Also Politiker, die alle Bundeskanzler werden – oder bleiben – wollen.

Ihre Sendezeit nutzten sie nun dazu, sich selbst, die Wählerinnen und Wähler zu Respekt und Anstand, also zur Mässigung, im politischen Diskurs zu ermahnen. Scholz etwa sprach davon, dass es im Wahlkampf darum gehe, sich zu informieren, zu hinterfragen. Aber nicht darum, zu verunglimpfen und zu verletzen. Und das, noch bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat.

Benimmregeln für die Wahlen

Bundeswirtschaftsminister Habeck durfte als Erster vor die Kamera. Er sagte, in den kommenden Wochen würden Politiker miteinander ringen, streiten. «Und das ist wichtig, damit sie wissen, worin sie sich unterscheiden.» Habeck sagte weiter, danach müsse man sich die Hand reichen können. Habecks Konkurrenten um das Kanzleramt äusserten sich ähnlich.

Bundeskanzler Scholz sagte, nach seiner Erfahrung von Gesprächen beim Bürgerdialog und im Kleingartenverein komme man weiter, wenn man miteinander rede, statt nur übereinander oder aneinander vorbei.

Eigentlich sind das Gemeinplätze. Allerdings sprachen Habeck, Scholz und Merz derart eindringlich, dass es an ein Gespräch mit einem Jugendarbeiter erinnerte.

Der Oppositionsführer Merz sagte, man werde im kommenden Wahlkampf über Grundsatzfragen diskutieren, man müsse. Doch trotz allen Meinungsverschiedenheiten werde man das nach den Regeln des Respekts tun. Beide, der Bundeskanzler und der Oppositionsführer, sagten ausdrücklich, dass der politische Konkurrent kein Feind sei.

Passend zum Advent verkündeten der Kanzler, der Wirtschaftsminister und der Oppositionsführer eine Botschaft der Einigkeit und Nächstenliebe. Dass die Kamera sich dabei immer wieder im Kreis um die Kandidaten mit ihrer einhelligen Botschaft drehte, verhalf der Sendung nicht zu mehr Dynamik.

Doch interessanter war ohnehin, wen die Kamera nicht zeigte.

Sensibilisieren und sondieren

Neben den Parteien von Scholz, Habeck und Merz treten auch noch die AfD, die FDP, die Linke und das BSW von Sahra Wagenknecht zur Bundestagswahl an. Abgesehen von Alice Weidel und der AfD hegt niemand in diesen Parteien Ambitionen auf die Kanzlerschaft.

Laut dem Wahltrend der NZZ liegt die Union von Oppositionsführer Friedrich Merz deutlich vor der AfD, der SPD und den Grünen. Das BSW und die FDP bewegen sich um die 5-Prozent-Hürde.

In den vergangenen Wochen wurde in den Medien bereits mehrfach darüber spekuliert, ob es nach den Wahlen wieder zu einer grossen Koalition zwischen SPD und Union kommt. Laut dem Wahltrend der NZZ verfügen die Parteien derzeit aber nicht über eine Mehrheit. Das würde bedeuten, dass sie einen dritten Koalitionspartner brauchen. Da Union und SPD eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschliessen, wäre eine Koalition mit den Grünen und der FDP wahrscheinlich.

In diesem erweiterten Kontext wird besonders eine Aussage aus dem ProSieben-Auftritt interessant. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck sagte: «Man trifft sich immer zweimal im Leben, und in diesem Geist will ich Wahlkampf führen.»

Scholz, Habeck und Merz zeigten sich im Fernsehstudio als einige Vertreter der politischen Mitte. Gut möglich also, dass sie sich schon bald wieder treffen: zu Sondierungsgesprächen für die nächste Koalition.

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