Mittwoch, November 27

Issei Kato / Reuters

Je wärmer es wird, desto mehr und heftigere Starkregenfälle treten auf. Um diese aufzufangen, bauen Metropolen wie Tokio, Chicago oder London kolossale unterirdische Anlagen. Auch Schweizer Städte wappnen sich gegen die Wassermassen.

Noch bevor man die riesige unterirdische Halle, den Underground Shrine bei Tokio, sieht, fühlt man sie. Mit jeder Stufe in die Tiefe wird es kühler. Und das kommt einem sehr gelegen, denn oberirdisch will der japanische Sommer auch im Oktober nicht enden. Es ist 30 Grad heiss und feucht.

Ist man unten angekommen, ist die Erderwärmung erst einmal vergessen. Angenehme 20 Grad. Und vor allem: Wow! Dieser Schrein verdient seinen Namen. In die Halle – 177 Meter lang, 78 Meter breit und 18 Meter hoch – würde locker das Wasser von 66 olympischen Schwimmbecken hineinpassen. Man ist plötzlich sehr winzig.

Mit dem aufgeheizten Klima werden Niederschläge stärker. Dicht verbaute Städte können diese Wassermassen nicht schlucken. Die Metropolen Tokio, London und Chicago schützen sich mit gigantischen Anlagen vor Überschwemmungen, und auch Schweizer Städte ergreifen Gegenmassnahmen.

Eine Halle wie in «Herr der Ringe»

Besonders eindrücklich wirken die 59 Säulen, jede einzelne 500 Tonnen schwer. Sie tragen nicht nur die Decke, wie die Tourleiterin auf Japanisch erklärt, sondern bewahren die leere Halle auch davor, vom Wasserdruck im Boden angehoben zu werden. Deshalb sind es so viele. Um die Decke zu tragen, hätten auch weniger gereicht. Ihr Anblick erinnert an die Säulenhalle von Moria im Film «Herr der Ringe», und es würde nicht erstaunen, wenn plötzlich die Gefährten, angeführt vom Zauberer Gandalf, zwischen den Säulen erscheinen würden.

Doch die Halle wird für etwas ganz anderes genutzt. Sie ist Teil des Metropolitan Outer Area Underground Discharge Channel, auch «G-Cans» genannt. Das 6,3 Kilometer lange Tunnelsystem am Stadtrand Tokios wird bei starken Regenfällen geflutet, um die oberirdische Überschwemmung von Gemeinden und Feldern zu verhindern.

Über fünf zylinderförmige Schächte fällt das Wasser der ansteigenden Flüsse in die Tiefe, wird durch einen Tunnel zum Wassertank, dem Schrein, geführt und hier von den vier grössten Turbinen Japans in den Fluss Edogawa gepumpt. Er bringt das Wasser in die Meeresbucht von Tokio. Allein im Juni dieses Jahres kam das System viermal zum Einsatz, öfter als im gesamten vergangenen Jahr.

Dieses Tunnelsystem ist nicht neu, doch es ist noch immer eines der grössten weltweit. Gebaut wurde es von 1993 bis 2006 für umgerechnet etwa 1,3 Milliarden Franken. Damit war Tokio sehr früh dran. Die Region ist wie eine Schüssel geformt, so dass Starkregenfälle und der stark verbaute Boden schon damals zu Überschwemmungen geführt haben. Seither wurde das System fast 150-mal genutzt und hat dabei Schäden durch Überschwemmungen von geschätzt über 860 Millionen Franken verhindert. Die Frage ist allerdings, ob es auch in Zukunft noch ausreicht.

Je wärmer es wird, desto mehr und intensivere Starkregenfälle gibt es. Denn: «Steigt die Temperatur, nimmt die Menge an Wasserdampf in der Atmosphäre zu», sagt Seita Emori, japanischer Klimawissenschafter, Professor am Institut für Zukunftsinitiativen der Universität Tokio und Autor des Uno-Klimarats. Mit jedem Grad Celsius, um welches die Luft wärmer wird, kann sie etwa 7 Prozent mehr Wasser aufnehmen.

«Wir gehen davon aus, dass mit dem Temperaturanstieg in Zukunft noch nie da gewesene Regenmengen fallen werden», erläutert Emori. Für Japan werden mehr Taifune mit sintflutartigen Regenfällen prognostiziert.

Um Wassermassen in diesem Ausmass abfliessen zu lassen, sind Metropolen wie Tokio nicht ausgelegt. Im dicht bebauten Boden kann das Wasser nicht versickern, es drohen Überschwemmungen, die deutlich mehr kosten als der Hochwasserschutz. Deshalb baut Tokio seinen Abfluss aus.

Ein Projekt, das Milliarden kostet

Japan investiert bis 2040 umgerechnet über 214 Millionen Franken, um den Hochwasserschutz der Hauptstadtregion Tokio auszubauen. Das Netz von Zisternen und Wasserkanälen, das nach dem Vorbild der «G-Cans» an vielen Orten unter ganz Tokio verläuft, ist bis anhin auf Niederschlag bis 75 Millimeter pro Stunde ausgelegt. Doch es häufen sich Taifune, die lokal bis zu 100 Millimeter pro Stunde bringen können. Das überfordert Tokios Kanalsystem.

Zudem machen der steigende Meeresspiegel und mögliche Tsunamis der Stadt zu schaffen. Zum Hochwasserschutz Tokios gehören denn auch breite, unbebaute Flussufer, wo Wasser versickern kann, sowie Dämme und Schleusen, die Flussmündungen schliessen, damit kein Wasser von aussen in die Stadt eindringen kann.

NZZ Planet A

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Tokio ist mit diesen Problemen nicht allein. Auch andere Städte sind daran, unter- und oberirdisch mehr Kapazität zu schaffen, um Wasser abfliessen zu lassen.

London zum Beispiel entwässert über eine 150 Jahre alte Kanalisation. Die sei für eine Bevölkerung gebaut worden, die halb so gross gewesen sei wie heute, so schreibt es die Stadt auf der Website der Tideway London. Infolgedessen fliessen jedes Jahr viele Millionen Kubikmeter ungeklärtes Abwasser in die Themse.

Nun baut die Stadt einen 25 Kilometer langen Kanal, den «Super Sewer», Supersauger, wie die Tideway auch genannt wird. Er verläuft unter der Themse und soll zum einen das Abwasser der Londoner statt in die Themse in eine Kläranlage ausserhalb der Stadt leiten. Zum anderen soll er die Wassermassen der zunehmenden Stark- und Extremregenfälle auffangen, damit diese die marode Kanalisation nicht noch häufiger zum Überlaufen bringen.

Oder Chicago. Kurze, starke Regenfälle haben immer schon die Strassen der Stadt überflutet. Kein Wunder, sie wurde auf sumpfigem Untergrund gebaut. Die Erwärmung der Atmosphäre verschärft diese Regenfälle. Mit den Überschwemmungen gelangt Abwasser in den Lake Michigan und verunreinigt ihn. Der riesige See ist die Trinkwasserquelle für zehn Millionen Menschen.

Wie Tokio baut auch Chicago das Abwassersystem seit vielen Jahren aus. Nun entsteht die grösste Abwassergrube der Welt, das oberirdische McCook-Reservoir. Fertiggestellt im Jahr 2029, wird es fast 38 Millionen Kubikmeter Wasser fassen und 150-mal grösser sein als der Underground Shrine in Tokio. Ist der Starkregen vorbei, wird das gesammelte Wasser gereinigt und in Flüsse geleitet.

Doch man weiss schon heute: Das Reservoir wird nicht reichen. Bei der Planung hatte man die Auswirkungen des Klimawandels, wie wir sie heute kennen, nicht einberechnet.

Auch in der Schweiz nimmt Starkregen zu

Und was macht die Schweiz? Es gibt es zwar keine Taifune, aber auch hier hat die Niederschlagsmenge von einzelnen Starkniederschlägen seit 1901 um 12 Prozent zugenommen. Und mit der fortschreitenden Erderwärmung ist damit zu rechnen, dass Stark- und Extremniederschläge noch intensiver werden, selbst wenn die durchschnittliche Niederschlagsmenge zurückgeht. Der Boden, die Kanalisation, die Oberflächengewässer müssen in kurzer Zeit viel Wasser aufnehmen und ableiten können.

Schweizer Städte setzen primär auf Entsiegelung statt auf Abfluss. «Zentral für den Umgang mit grossen Wassermengen ist eine moderne Siedlungsentwässerung», schreibt Maria Colon, Mediensprecherin Entsorgung und Recycling Zürich, auf Anfrage. Regenwasser soll nicht so schnell wie möglich in die Kanalisation fliessen, wie es früher der Fall war, sondern im Boden zurückgehalten werden. Versiegelte Flächen würden gar vermehrt vom Kanalnetz abgetrennt.

Damit das Regenwasser von Bäumen und Pflanzen aufgenommen werden kann sowie beim Verdunsten die Hitze mildert, muss es auf Dächern, Plätzen und im Boden temporär zurückgehalten werden. Das soll gleichzeitig Trockenperioden überbrücken und die Kanalisation und die Abwasserreinigungsanlagen entlasten. Denn fliesst zu viel Regenwasser in die Abwasserreinigungsanlagen, kann mit ihm auch ungereinigtes Abwasser in die Bäche und Flüsse gelangen.

Die Kanalisation muss entlastet werden

Die Kanalisation der Stadt Zürich ist auf Starkregenereignisse ausgelegt, die hier bis anhin etwa alle zehn Jahre vorkommen, 22 Millimeter in 10 Minuten. «Wir beheben Engpässe in der Kanalisation», sagt Colon, «gehen aber nicht davon aus, dass die Abwasserkanäle in Zukunft generell auszubauen und ihre Abflusskapazitäten zu erhöhen sind.»

Sie betont, dass bei der Nutzung unseres Bodens noch etwas anderes zu beachten ist: «Unser Untergrund wird vielfältig genutzt. In Tiefbauprojekten müssen Kanalisation, Stromleitungen, Wasserleitungen und Fernwärmenetze gut koordiniert werden.» Die Entwässerung der Städte ist auch ein Kompromiss.

Was im Moment gebaut wird, ist der Entlastungsstollen, der die Sihl durch einen zwei Kilometer langen Kanal in den Zürichsee entwässert, von Gattikon bis Thalwil. Es ist dasselbe Prinzip wie in Tokio. Führt die Sihl extrem viel Wasser, drohen allein der Stadt Zürich Gebäudeschäden von über 6 Milliarden Franken, wie der Kanton auf seiner Website schreibt. Ab 2026 soll der Stollen ein Hochwasser verhindern, das geschätzt alle 500 Jahre eintritt.

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