Im «Pujol» geht es anders zu als in fast allen Gourmetrestaurants Europas. Mehrere Seatings, ein durchgetaktetes Programm und reichlich Flair prägen das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Lokal in Mexiko-Stadt.
Es kann dauern, von einem Stadtviertel zum anderen zu gelangen – am besten per Uber oder Taxi. Mexiko-Stadt ist gross und lebendig, und beide Attribute treffen auch aufs «Pujol» zu, das wohl bekannteste Restaurant der Stadt und des Landes. Zwei Sterne im Guide Michelin, eine prominente Platzierung im 50-Best-Ranking und der geradezu mythische Ruhm des Chefs lassen die Wartelisten anschwellen.
Enrique Olvera, der Inhaber, ist längst zum bekanntesten Koch des Landes aufgestiegen, und er ist unterwegs zwischen seinen diversen Projekten; auch beim Gourmetfestival in St. Moritz war er bereits anwesend. Man sollte nicht damit rechnen, ihn bei einem Besuch in seinem Flagschiff-Restaurant anzutreffen. Vertreten wird er prinzipiell vom Küchenchef Jesus Durón.
Tisch oder Theke?
Bevor man sich allerdings mit den zahlreichen Köchen und den Kreationen des Patrons beschäftigt, muss man sich erst einmal darauf einstellen, dass eine Reservierung rechtzeitig erfolgen muss. Obwohl das Restaurant schon um 13.30 Uhr öffnet (ausser am Sonntag) und mehrere Seatings anbietet, ist kurzfristig oft nichts zu machen – vor allem am Abend, zu den aus Mitteleuropa gewohnten Essenszeiten, wird es schwierig.
Ich hatte Glück und bekam, mit einem Vorlauf von etwa zwei Monaten, einen Platz um 21 Uhr an der Theke. Und konnte, weil ich etwas zu früh dran war, im sehr kleinen Lounge-Bereich am Eingang einen Apéro-Cocktail trinken. Draussen waren alle Tische voll, drinnen standen gerade die an der Theke sitzenden Gäste des vorangehenden Seatings auf. Man hatte ihnen (und würde es später auch bei mir tun) ein erweitertes Menu im Omakase-Style serviert, das etwas umfangreicher, spannender und teurer ist als das an den Tischen aufgetragene Standardmenu. Schon vor dem ersten Happen war mir indes klar: Restaurants wie dieses, die dermassen viele Menschen auf hohem Niveau bewirten, gibt es weder in der Schweiz noch in Deutschland.
Pairing oder Wein von der Karte? Gute Frage, schwierige Antwort
Aber war das hohe Niveau auch tatsächlich auf den Tellern zu finden? Bevor ich dieser Frage nachgehen konnte, musste ich mich erst einmal bezüglich der Getränke entscheiden. Das Wine-Pairing, das alkoholfreie Pairing oder jenes, das Wein und andere Drinks mischt? Ich nahm die weinaffine Begleitung und war ein bisschen überrascht, dass zwar zwei mexikanische Erzeuger vertreten waren, es aber viel mehr um europäische Weine ging.
Ob die Mexikaner ein scheues Verhältnis zu den eigenen Winzern und Weinen haben, oder ob die, die hier einkehren, in erster Linie Französisches und Spanisches geniessen möchten? Serviert wurde alles freilich in hoher Qualität und mit grosser Kompetenz, die Kellnerinnen und Kellner waren eingespielt, höflich, hatten den Small Talk in unzähligen Schichten einstudiert. Man könnte das, schlecht gelaunt, auch unter dem Stichwort «fehlende Individualität» abbuchen, aber Spass machte zumindest mir alles.
Tacos, Tortillas und eine Sauce, die es in sich hatte
Und das Essen? Tacos und Tortillas, die in der mexikanischen Küche so beliebten, in zahlreichen Varianten abgewandelten Getreidefladen, gab es mehrfach vor dem Hauptgang. Knusprig mit wunderbarem Thunfisch. Mit gebeizter Makrele. Die Kombination aus Jakobsmuscheln, Vanille und Habanero-Chili gelang grossartig, der Hummer-Salpicón mit Artischocken, hauchdünn geschnitten, war ein süsslich-erdiger Höhepunkt.
Diskutieren kann man dagegen über den Hauptgang. Statt Fleisch, das mancher Gast vielleicht an dieser Stelle des Menus erhofft hätte, wurde Tortilla mit zwei Sorten Mole serviert, der klassischen Würzsauce. Eine war fruchtig, die andere komplex und intensiv, mehr als 3000 Tage (!) gereift und immer wieder nachgefüllt. So etwas zu präsentieren, muss man sich erst einmal trauen!
Fruchtig und schaumig war das Dessert, auf Zwei-Sterne-Niveau rangierte es nicht. Schlimm fand ich das allerdings nicht, denn es geht bei einem Restaurantbesuch ja nicht nur um die Klasse jedes einzelnen Tellers, sondern auch ums Gesamterlebnis. Und das stimmte!
Auf einen Blick:
Adresse
Restaurant «Pujol», Tennyson 133, Polanco IV Section, Mexiko-Stadt
Preise
Das Menu kostet zwischen 3500 und knapp 4000 Pesos, also etwa 155 bis 178 Franken.
Bewertung durch den Gastrokritiker*
Küche: 8.5/10, Gastkultur: 9/10
Anmerkung: Die Bewertungen orientieren sich an der denkbaren Höchstnote von 10 Punkten. Die Note für die Küche betrifft ausschliesslich die Qualität der Speisen, jene für Gastkultur umfasst sämtliche übrigen Aspekte eines Restaurantbesuchs.