Die Regierungskoalition erringt die Präsidentschaft und die absolute Mehrheit im Kongress. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert.
Claudia Sheinbaum wird mit rund 30 Prozentpunkten Vorsprung klar neue Präsidentin Mexikos. Auch erreicht die Regierungskoalition wieder eine absolute Mehrheit im Kongress. Das Wahlresultat ist in zweierlei Hinsicht beachtlich.
Zeugnis für gesellschaftlichen Wandel
Das als klassisches Macho-Land bekannte Mexiko erhält damit erstmals eine Frau an der Staatsspitze für die nächsten sechs Jahre. Mehr noch: Gar zwei Frauen führten die Kandidatenliste an. Sie haben zusammen fast 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt. Dies ist ein Beweis für den substanziellen gesellschaftlichen Wandel, der in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern seit der Jahrtausendwende zu beobachten ist. Er zeigt sich in Mexiko besonders in den grösseren Städten, wo inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung lebt.
Das Wahlresultat bestätigt zudem den kometenhaften Aufstieg der Partei Morena zur neuen dominanten Kraft in Mexiko. Erst vor zehn Jahren als politische Partei überhaupt registriert, hat sie mit ihrem Gründer Andrés Manuel López Obrador bereits 2018 die Präsidentschaft erobern können. Die Regierungskoalition erreichte damals auch schon eine absolute Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses.
Seither hat Morena im föderal organisierten Mexiko ihre Vorherrschaft auch auf regionaler Ebene laufend ausgebaut. 2018 errang die Partei erstmals die Regierungsverantwortung in 5 Teilstaaten (inkl. Hauptstadt), inzwischen kontrolliert sie 21 der 32 territorialen Entitäten. Wie war dies möglich?
Während die Mittel- und Oberschicht Morena überwiegend ablehnend gegenübersteht, erfreut sich die Partei starken Zuspruchs bei der Mehrheit der ärmeren Mexikaner. López Obrador ist ein klassischer Linkspopulist, der punktet, indem er in seiner Rhetorik die politische Elite angreift und für die Verbesserung der Situation der ärmeren Bevölkerung eintritt.
Tatsächlich hat er aber auch spürbar etwas für diese getan. Insbesondere die Verdoppelung des gesetzlichen Minimallohnes und die Ausweitung der Sozialprogramme haben ihn populär gemacht. Eine nationale, beitragsunabhängige Rente von umgerechnet 175 Dollar pro Monat für alle Mexikaner über 65 hat die Altersarmut reduziert. In den sechs Amtsjahren von López Obrador ist die Armutsrate in Mexiko trotz kurzfristigem Hochschnellen als Folge von Covid von 42 auf 36 Prozent gefallen.
Florierende Wirtschaft trotz Sozialausbau
López Obrador gelang dies, ohne den Wirtschaftsmotor ins Stottern zu bringen. Das Land erfreut sich robuster Auslandinvestitionen. Angesichts der Lieferkettenprobleme und des Konflikts mit China ist Mexiko zum bevorzugten Produktionsstandort für den amerikanischen Markt geworden und so zum wichtigsten Handelspartner der USA aufgestiegen. Der mexikanische Peso hat sich in den letzten drei Jahren gegenüber dem Dollar um mehr als 50 Prozent aufgewertet. Zur Herausforderung für Sheinbaum ist allerdings das Budgetdefizit geworden, das nach fünf von Austerität geprägten Jahren für 2024 plötzlich auf hohe 5,9 Prozent prognostiziert wird.
Die spannendste Frage bei diesen Wahlen betraf die Neubestellung des Kongresses. Die Opposition und Organisationen der Zivilgesellschaft befürchteten im Vorfeld, dass die Koalition von Morena diesmal gar eine Zweidrittelmehrheit erreichen könnte. Dies würde Sheinbaum erlauben, die Verfassung nach ihrem Gutdünken umzuschreiben, und sie könnte das Land so in eine autoritäre Richtung lenken. Regierungskritiker sehen insbesondere die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr.
Inzwischen ist klar, dass Sheinbaum zumindest im Senat die qualifizierte Mehrheit knapp verpasst hat. Trotzdem könnte sie natürlich für Verfassungsänderungen möglicherweise zusätzlich Stimmen mobilisieren. Doch auch dies würde Sheinbaum keinen Freipass geben. Mexiko verfügt weiterhin über einflussreiche Oppositionsparteien, welche einen Drittel der Teilstaaten regieren, sowie über eine lebendige Zivilgesellschaft und starke oppositionelle Medien. Die wichtigste Herausforderung bleibt die sich weiter verschlechternde Sicherheitslage wegen der Drogenkartelle, die auch das gute Investitionsklima bedroht.