Donnerstag, April 17

Mit 12 Jahren sehen manche Kinder zum ersten Mal Pornos. Mit 14 oder 15 Jahren suchten viele gezielt nach den Videos, sagt der Sexualpädagoge Daniel Kunz – und er hat Tipps, wie Eltern mit ihren Kindern über das Thema sprechen können.

Online einen Porno anzuschauen, ist ganz einfach. Man muss auf der Website nur anklicken, dass man bereits 18 Jahre alt ist. Eine weitere Kontrolle gibt es nicht. Deshalb können Jugendliche schon weitaus früher pornografische Inhalte sehen. Die Schweizer James-Studie hat tatsächlich gezeigt, dass sogar Kinder vor Beginn des Teenager-Alters Sexvideos anschauen.

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Daniel Kunz ist Sexualpädagoge und Professor am Institut für Sozialpädagogik und Sozialpolitik an der Hochschule Luzern. Er hat sich damit auseinandergesetzt, welche Pornos Jugendliche schauen und wie Eltern mit ihnen darüber sprechen können.

Herr Kunz, zwölf ist das Alter, in dem die meisten Kinder ein eigenes Smartphone bekommen. Muss ich damit rechnen, dass mein Kind Pornos schaut, sobald es sein eigenes internetfähiges Handy hat?

Ja, die Wahrscheinlichkeit steigt dann. Aber nicht alle tun das so früh. Die Zahlen nehmen mit dem Alter der Jugendlichen zu. Übrigens sehen weitaus mehr Jungs als Mädchen Pornos.

Warum?

Zunächst ist es eine Mutprobe, einen Porno zu schauen. Dafür sind Jungs besonders empfänglich. Je älter die Jugendlichen werden, umso neugieriger sind sie. Sie wollen wissen: Wie geht Sex? Irgendwann beginnen sie, erste Erfahrungen mit Selbstbefriedigung zu sammeln, und dazu können auch Pornos gehören.

Mädchen interessieren sich auch für Sexualität. Weshalb sehen sie seltener Pornos als Jungs?

Pornovideos sind häufig geschlechterstereotyp gemacht. Der Mann ist der Draufgänger, die Frau ist die Freizügige, die jederzeit zu haben ist. Damit können sich Mädchen nicht gut identifizieren. Junge Frauen bemängeln oft die fehlende Darstellung weiblicher Lust, unrealistische Szenarien oder eine zu aggressive Darstellung von Sexualität. Ausserdem holen sie sich ihre Informationen anders. Sie lesen zum Beispiel erotische Literatur oder schauen romantische Serien, die emotionale Kontexte bieten.

Treten wir einen Schritt zurück: Wenn wir über den Pornokonsum von Jugendlichen sprechen, was genau meinen wir damit? Es gibt harmlose Sexvideos, Gruppenvergewaltigungsszenen und vieles dazwischen.

Wenn Jugendliche über Werbung auf Pornovideos stossen, sie ungefragt von Freunden weitergeleitet bekommen oder mit 14 oder 15 Jahren gezielt danach suchen, dann sehen sie in der Regel sogenannte Mainstream-Pornografie. Die Szenen sind gewaltfrei und heterosexuell.

Welchen Einfluss hat der Pornokonsum auf das psychische Wohlbefinden dieser jungen Menschen?

Wenn sie einmal oder nur sporadisch Pornos schauen, ist das unproblematisch. Aber bei regelmässigem Konsum kann es zu Verunsicherungen und Erwartungsängsten kommen. Denn im Video ist alles perfekt inszeniert. Und dann kommt die Sorge: Wie erreiche ich das, was mir als «Ideal» präsentiert wird? Untersuchungen zeigen, dass dabei nicht die sexuelle Phantasie junger Menschen durch Pornos umgeschrieben wird. Der Nachteil liegt vielmehr in den unrealistischen Vorstellungen über die Realität von Sexualität zwischen Frauen und Männern und dem dadurch verstärkten geschlechtsspezifischen Leistungsdruck.

Sollten Eltern das Thema ansprechen? Vielleicht sogar, bevor ihr Kind das erste Pornovideo sieht?

Es bringt nichts, ein Kind über Pornos aufzuklären, das sich noch nicht dafür interessiert. Die Botschaft wird nicht ankommen, weil das Thema zu weit weg von seiner Lebensrealität ist. Besser ist es, im Alltag über Sexualität zu sprechen, wenn es sich ergibt und wenn das Kind Fragen hat. Das fängt ja schon früh an, wenn das Kleinkind wissen will, wie das Baby in den Bauch kommt. Mit der Zeit kann sich auch ein Gespräch über Pornografie ergeben.

Was ist, wenn es nicht dazu kommt – und auf einmal ist das Kind verstört, weil es auf ein Sexvideo gestossen ist? Hat man dann die Chance verpasst, es darauf vorzubereiten?

Nicht alle Eventualitäten müssen schon vorher besprochen werden. Ist das Kind verstört, weil es einen Porno gesehen hat, dann wird es zu seinen Vertrauenspersonen, den Eltern, Geschwistern, Onkeln, Tanten oder anderen Familienangehörigen kommen, um darüber zu sprechen. Und dann kann man ihm immer noch helfen, die Szenen einzuordnen.

Nehmen wir an, das verstörte Kind, 12 oder höchstens 13 Jahre alt, kommt zu den Eltern. Wie könnte so ein Gespräch ablaufen?

Erst einmal nachfragen: «Was hat dich verstört?» Dann kann man sagen: «Pornos sind etwas für Erwachsene. Du hast jetzt etwas für Erwachsene gesehen und – und wenn du später in dem Alter bist, dann, je nachdem . . .» Moment. Man sollte sich kurz und knapp halten, sonst denken die Kinder nur: «O Gott . . .» Ich beginne noch einmal.

Gerne.

Man kann sagen: «Deine Verstörung ist nachvollziehbar. Du hast etwas gesehen, was für Erwachsene gemacht ist.» Dann fragt das Kind womöglich weiter: «Warum brauchen das die Erwachsenen?» Darauf gibt man erneut eine kurze Antwort. Das Tolle an Kindern ist: Wenn sie nicht zufrieden mit der Antwort sind, fragen sie immer weiter.

So ein nüchternes Gespräch ist nicht für alle Eltern einfach. Manche werden womöglich emotional, weil es sie beunruhigt, dass ihr Kind Bilder gesehen hat, die nicht für sein Alter bestimmt sind.

Niemand erwartet, dass sofort eine perfekte Antwort parat ist. Sie haben es bei mir gemerkt, als ich spontan sagen sollte, wie so ein Gespräch ablaufen kann. Ich bin von einem Nebensatz in den nächsten geraten. Wenn man merkt, dass das passiert, sollte man innehalten. Eltern oder Bezugspersonen können auch erst einmal nach den genauen Hintergründen fragen. So erfahren sie, wieso das Kind solch ein Video gesehen hat. Womöglich erzählt es, dass ein Freund ihm das gezeigt hat. So kann man die Situation noch besser einordnen.

Es ist illegal, Pornos an unter 16-Jährige weiterzuleiten. Sollte man den Jugendlichen anzeigen, der dem eigenen Kind solche Videos zeigt?

Das hängt von der Situation ab. Pornos werden oft gezeigt oder per Chat weitergeleitet, um zu imponieren, zu schockieren, um soziale Anerkennung zu erhalten. Das sind jugendtypische Motive. Ich würde über eine Anzeige nachdenken, wenn jemand solche Videos öfter schickt. Eine gute Möglichkeit ist, die Angelegenheit der Schulsozialarbeit zu melden.

Und wenn ich merke, dass mein eigenes Kind diese Videos verbreitet hat?

Dann können Sie es zum Beispiel fragen: «Was hast du dir da überlegt? Ist dir bewusst, dass das strafbar ist?» Das muss man thematisieren. Wenn bereits die Jugendanwaltschaft eingeschaltet wurde, kann man sagen: «Okay, es ist passiert. Da musst du jetzt durch. Ich kann dich unterstützen.»

Ist es eine angemessene Strafe, dem Kind das Smartphone wegzunehmen?

Ich bezweifle, dass ein Smartphone-Verbot einen grossen Erziehungseffekt hat, wenn das Strafverfahren schon läuft. Ich finde eher, Eltern sollten sich schon früh überlegen, ab wann sie dem Kind ein internetfähiges Gerät zur Verfügung stellen. Und wenn sie das tun, können sie den Zugang zu solchen Seiten sperren. Mich überrascht immer wieder, wie wenig Gedanken sich Eltern im Vorfeld darüber machen, dass ihr Kind im Internet Pornos finden wird.

Sperren lassen sich umgehen. Sollten Eltern die Smartphones ihrer Kinder regelmässig kontrollieren, um sicherzugehen, dass die Kinder keine Pornos schauen und teilen?

Wenn Eltern das Smartphone ungefragt kontrollieren, bedeutet das einen Vertrauensverlust. Mütter und Väter wollen, dass ihre eigene Privatsphäre respektiert wird. Also sollten sie auch die Privatsphäre ihrer Kinder achten.

Aber es kann doch nicht sein, dass man als Eltern überhaupt keine Ahnung hat, was das Kind mit dem Handy anstellt.

Es ist legitim, echtes Interesse auszudrücken und nachzufragen: «Wie verwendest du das Smartphone?» Und sich vom Kind zeigen zu lassen, wo es im Internet unterwegs ist. Wenn man meint, das Kind kontrollieren zu müssen, sollte man sich eher fragen, ob ein Smartphone mit allen Funktionen das richtige Gerät für das Kind ist. Ich stelle einmal eine Frage in den Raum: Reicht es nicht, wenn Kinder bis etwa 13 Jahre einfach ein normales Handy ohne Internet haben? Viele Eltern geben ihrem Kind ja ein Smartphone, damit sie es kontaktieren können. Das geht auch ohne Internet.

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