Ausländische Händler erhalten Nivea-Produkte deutlich günstiger als die Migros. Darum zeigt der Detailhändler den Hersteller Beiersdorf bei der Wettbewerbskommission an. Deren Einschätzung wird mit Spannung erwartet.
Die Hoffnungen der Konsumenten waren gross: Endlich tut sich etwas im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz. Künftig sollten Detailhändler einfacher gegen überhöhte Preise vorgehen können, wenn Hersteller die Kaufkraft der hiesigen Kundschaft abschöpfen wollen. Das jedenfalls hatte die Politik erwartet, als sie das Kartellgesetz überarbeitete.
Drei Jahre nachdem die Änderungen in Kraft getreten sind, steht die Bewährungsprobe bei Konsumgütern des täglichen Bedarfs noch immer aus.
Die Migros nimmt nun aber einen Anlauf, um die auch als «Lex Nivea» bezeichnete Regulierung zu testen – und zwar mit Nivea-Produkten. Konkret wirft der Detailhändler dem Kosmetikhersteller Beiersdorf vor, dass die Einkaufspreise für Duschgels oder Deodorants für die Migros drastisch höher sind als für deutsche Supermarktketten.
Happige Preisunterschiede
In einer Migros-internen Präsentation der Anwaltskanzlei Walder Wyss, die der NZZ vorliegt, ist von Aufschlägen bis über 70 Prozent die Rede – selbst bei Offerten, welche die Schweizer bei Beiersdorf in Deutschland eingeholt haben.
Aus diesem Grund hat der Detailhändler nun bei der Wettbewerbskommission (Weko) eine Anzeige gegen Beiersdorf eingereicht, wie die Migros eine Meldung von CH Media bestätigt. Dies, nachdem mehrere Preisverhandlungsrunden nichts bewirkt haben.
Bei Beiersdorf heisst es, man habe «der Migros ein Angebot unterbreitet, das den Marktpreisen und den branchenüblichen Bedingungen vergleichbarer Kunden in Deutschland entspricht». Zudem könne man die genannten Zahlen zu den Preisunterschieden «nicht nachvollziehen».
Abschreckende Wirkung – oder doch nicht?
Für Schweizer Konsumenten wird es interessant sein zu sehen, wie die Weko in dem Fall entscheidet. Falls die Behörde der Migros recht gibt, erhoffen sich hiesige Händler eine abschreckende Wirkung auf andere Markenartikler: Diese werden sich zweimal überlegen, wie weit sie den Spielraum in Verhandlungen mit Schweizer Detailhändlern ausreizen wollen.
Kartellrechtsexperten sind allerdings skeptisch, wie stark die neue Regelung Hersteller tatsächlich bei ihren Preisforderungen disziplinieren wird. Das ergänzte Gesetz verspreche mehr, als es halten könne, so der Tenor. Dazu kommt, dass in einem ersten Schritt auch keine Sanktionen ausgesprochen werden können.
Zudem ist es bis zu einer allfälligen Feststellung eines Missbrauchs noch ein weiter Weg. Für Beobachter ist somit keineswegs sicher, dass die Migros mit ihrem Vorgehen Erfolg haben wird. Im Moment ist noch nicht einmal klar, ob die Weko überhaupt eine Vorabklärung eröffnet.
Sollte sie tatsächlich eine Untersuchung einleiten, müsste sie Beiersdorf zunächst eine relativ marktmächtige Stellung nachweisen. Das wäre eine Situation, in der eine Firma von einem anderen Unternehmen beim Angebot oder bei der Nachfrage einer Ware so abhängig ist, dass es keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten gibt.
Im konkreten Fall stellte sich etwa die Frage, ob die Migros Nivea-Produkte durch Waren eines anderen Herstellers oder durch Eigenmarken ersetzen kann – und welche Auswirkungen dieses veränderte Sortiment zum Beispiel auf den Umsatz der Migros hätte.
Spezialnahrung und französische Bücher
Doch für eine klare Prognose, wie die Behörde in Sachen Migros gegen Beiersdorf entscheiden könnte, fehlt derzeit noch die Erfahrung. Bis jetzt gab es gerade einmal zwei Fälle, in denen sich die Weko zum Thema der relativen Marktmacht geäussert hat.
Diese sind nicht eins zu eins mit dem Nivea-Fall vergleichbar, aber sie zeigen, dass die Behörde die Sache differenziert beurteilt und es nicht einfach ist, eine relative Marktmacht nachzuweisen. Nicht gelungen ist dies dem Pharma-Grosshändler Galexis, der sich bessere Konditionen für die Belieferung mit Spezialnahrung durch die deutsche Firma Fresenius erhofft hatte. Doch die Weko konnte hier keine relative Marktmacht und deshalb auch keinen Missbrauch feststellen. Sie befand sogar gewisse Umsatzeinbussen, die bei Galexis resultierten, für akzeptabel.
Anders war das im Fall des französischen Verlagshauses Madrigall. Dort sah die Weko einen Missbrauch der relativen Marktmacht gegenüber dem Westschweizer Buchhändler Payot.
Für die Migros, die sich mit der Aktion auch als Kämpferin für tiefe Preise ins Gespräch bringt, ist klar, dass sie von den Nivea-Produkten abhängig ist. Es ist beim Händler die wichtigste Marke bei Duschgels und Deodorants. Der Umsatz, den Beiersdorf mit der Migros erzielt, wird in der Präsentation auf rund 50 Millionen Franken beziffert.
In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob eine solche Konstellation ausreicht, damit sich die hohen politischen Erwartungen an die «Lex Nivea» erfüllen.