Dienstag, März 4

Während sich die Migros en masse von unrentablen Geschäften trennte, hiess Direktor Mario Irminger die Übernahme einer überschuldeten Arztpraxis gut. Derweil war McKinsey im Medbase-Strategie-Prozess involviert.

Es war eine weitere Woche des Schreckens für die Migros. Nach über einem Jahr Suche musste sie bekanntgeben, dass sie für ihre Heimwerker-Kette Do it + Garden keinen Abnehmer gefunden hat. Bis im Juni schliesst sie 31 Läden. 466 Angestellte werden entweder bei der Migros weiter beschäftigt oder landen auf der Strasse.

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Die Möbelkette Micasa wird von eigenen Managern übernommen und existiert weiter. Ob die Kette aber langfristig gegen Konkurrenten wie Ikea und XXXLutz bestehen kann, ist fraglich. Ferner will die Migros auch keine Alnatura-Bioshops mehr betreiben. Findet sich kein neuer Franchisenehmer, gehen 25 Läden zu.

Seit Anfang 2024 mistet die Migros radikal aus. Traditionsreiche Tochterunternehmen wie das Reisebüro Hotelplan oder der Kosmetik-, Hygiene- und Waschmittelhersteller Mibelle wurden verscherbelt. Nicht, weil sie defizitär waren, sondern weil sie nicht mehr zur Strategie passen.

Doch an einem Migros-Geschäftsbereich geht das alles vorbei: dem Winterthurer Gesundheitsunternehmen Medbase. Es bleibt von allen Turbulenzen verschont und geniesst offenbar freie Hand. Auch wenn es geschäftlich nicht so läuft wie gewünscht.

So zeigen Recherchen, dass Medbase eine Praxis für Sportmedizin, Orthopädie, Traumatologie und Rheumatologie per Fusionsvertrag übernommen hat. Die Groupe Médical Synergie, bei der Medbase 2018 eingestiegen war, war zu diesem Zeitpunkt komplett überschuldet. Ihre Bilanz weist für das Jahr 2023 einen Verlust von einer halben Million Franken aus. In den Jahren davor hatten sich Verluste von über 3 Millionen angehäuft.

Trotzdem integrierte Medbase die Praxis in ihr eigenes Konstrukt. Wohl, um sie zu retten. Dabei hatte zum Zeitpunkt der Übernahme im Mai 2024 die Migros ihre grosse Transformation bereits eingeläutet. Migros-Direktor Mario Irminger markierte den Sanierer. Als Präsident von Medbase war er es allerdings, der den Fusionsvertrag mit der defizitären Lausanner Praxis unterschrieb. Eine Frage dazu beantwortet die Migros nicht.

Systemrelevant

Gemäss Dokumenten des Zürcher Handelsregisters musste eine externe Firma prüfen, ob Medbase über die nötigen Mittel verfügt, um alle Schulden zu übernehmen. Medbase schreibt auf Anfrage: «Dank der Fusion der Groupe Médical Synergie mit der Medbase konnten wir unser Gesundheits-Portfolio erweitern und das Angebot der medizinischen Grundversorgung für die Bevölkerung im Raum Lausanne ausbauen.»

Bei der Problem-Praxis soll im Jahr 2024 innert Kürze der grosse Turnaround stattgefunden haben. Medbase schreibt, dass der Standort heute profitabel sei.

Es ist nicht das erste Mal, dass Medbase in der Westschweiz notfallmässig eingreifen musste. 2021 hat das milliardenschwere Migros-Unternehmen ihre Romandie-Tochter eiligst per Fusion integriert. Damals hatte sich ein Verlust von 4 Millionen angehäuft.

Medbase ist in seiner Form einzigartig in der Schweiz. Es ist eine Art Gesundheits-Mischkonzern, der Zahnarztpraxen, Apotheken, Fitnesscenter, Hausarztmedizin, ein Online-Gesundheitsportal und verschiedene weitere verwandte Dienstleistungen anbietet.

Das war nicht absehbar. Gestartet ist Medbase Anfang der nuller Jahre als kleine Gruppe für Physiotherapiepraxen in Winterthur. Der damalige Chef, der Berner Oberländer Marcel Napierala, ist bis heute CEO. Er geniesst das Vertrauen der Migros, welche 2010 die Mehrheit an seinem Unternehmen übernommen hat.

Mit der Migros im Rücken wuchs das Unternehmen rasant. Medbase machte 2023 einen Umsatz von einer Milliarde Franken. Zwei Jahre zuvor waren es noch 490 Millionen gewesen. Das ging nur, weil fleissig zugekauft wurde. In der Gesundheitsbranche sprach sich herum, dass die Migros ein tiefes Portemonnaie hat. Teilweise wurden Mitbewerber bei Übernahmen massiv überboten.

Zudem hat die Migros Geschäftsbereiche im Gesundheitsbereich zur Medbase verschoben, welche diese gar nicht selbst aufgebaut hat. Offenbar war Medbase selbst darüber nicht immer glücklich. Sie musste auch schwierige Fälle übernehmen und transformieren. Zum Beispiel Wepractice, eine Kette für Psychotherapie-Dienstleistungen.

Für die Migros ist die Gesundheit heute ein integraler Bestandteil ihrer Strategie – neben den Supermärkten, der Migros Bank sowie anderen Handelstätigkeiten wie dem Online-Warenhaus Digitec Galaxus.

In Sachen Hausarztmedizin gilt die Migros in gewissen Regionen als systemrelevant. Das sorgt für Unbehagen. «Die Migros ist im Gesundheitsmarkt ähnlich vorgegangen wie bei ihren Fachmärkten: Sie hat kopflos expandiert. Dadurch ist für die Gesellschaft ein Klumpenrisiko entstanden. An manchen Orten ist Medbase die einzige Anbieterin von Hausarztmedizin», sagt Felix Huber, der das Ärztenetzwerk Medix aufgebaut hat und damit ein Konkurrent von Medbase ist.

Wenn die Migros irgendwann aus dem Gesundheitsbereich aussteige, dann bestehe die Gefahr einer Unterversorgung, sagt Huber. «Dass das kein abwegiges Szenario ist, sieht man aktuell mit dem Verkauf der Fachmärkte oder auch dem Ausstieg bei Alnatura.»

Der Handel und das Gesundheitswesen sind zwei grundverschiedene Branchen. Und in ihrem Kerngeschäft, den Supermärkten, ist die Migros derzeit stark unter Druck.

McKinsey prüft neue Strategie

Dennoch verteidigt die Genossenschaft ihr Engagement im Gesundheitsmarkt eisern. Sie sieht darin einen Zukunftsmarkt. Das Kalkül: Die Menschen werden immer älter und brauchen medizinische Versorgung.

Das ist nicht falsch, aber noch kein Rezept für Erfolg. Denn die Branche leidet an einem enormen Fachkräftemangel. Besonders bei den Hausärzten, wo Medbase in der Schweiz Marktführerin ist.

«Man kann mit Hausarztpraxen profitabel wirtschaften, aber viel Geld verdient man damit nicht. Das liegt nicht unbedingt an der Nachfrage, sondern am Angebot. Viele Praxen verzweifeln bei der Rekrutierung von Hausärzten», sagt Felix Huber.

Und das ist nicht nur auf dem Land so. Im vergangenen Herbst musste etwa die Hausarztpraxis Allcare schliessen. Sie war im Zürcher Prime Tower daheim, also an bester Lage. Der Grund: Es gelang nicht, die minimale Anzahl Ärzte für jeden Standort zu sichern.

«Regelmässig schliessen solche Anbieter. Ich schrecke deshalb immer auf, wenn externe Investoren wie die Migros einsteigen. Sie halsen sich damit Probleme auf, die selbst für Marktkenner schwer zu lösen sind – geschweige denn für einen Detailhändler», sagt der Medizinal-Unternehmer Felix Huber.

Auffällig bei der Migros: Im 13-köpfigen Verwaltungsrat bringt niemand Erfahrung aus dem Gesundheitswesen mit. Medbase-Präsident Mario Irminger war vor seiner Berufung zum Migros-Chef über lange Jahre Chef des Discounters Denner.

Medbase hat zuletzt seine Strategie überarbeitet, allerdings nicht komplett allein. Das Beratungsunternehmen McKinsey sass mit am Tisch. Ein Medbase-Sprecher bestätigt entsprechende Recherchen: «Der Strategieprozess wurde seitens Medbase gesteuert und methodisch von einem Beratungsteam von McKinsey sehr effizient unterstützt.»

Abgesehen von der Fusion mit der überschuldeten Lausanner Praxis kamen zuletzt keine neuen Praxen mehr zu Medbase. Nach dem rasanten Wachstum der letzten Jahre muss sich das Unternehmen offenbar erst einmal finden.

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