Mittwoch, Oktober 9
Kochkunde

Myriam Zumbühl


Küchen-Experiment

Bei Mike Wehrle treffen asiatische Gewürze auf regionale Klassiker, süddeutsche Desserts auf edle australische Tropfen.

Die Bergspitzen von Stanserhorn und Pilatus im direkten Blick, ziehe ich das knusprige Sauerteigbrot vom «Eigenbrötler» durch den luftigen Honig-Ricotta mit Trüffel und anschliessend durch das grasgrüne Kräuteröl. Es ist das erste, aber nicht das letzte Mal, dass ich mir danach ganz unverschämt die Finger lecke.

Im Restaurant Oak Grill hoch über dem Vierwaldstättersee rät mir der Maître de Service mit einem Augenzwinkern, dass auch der Hauptgang noch viel besser schmecke, wenn er mit den Fingern statt mit Messer und Gabel gegessen werde. Und reicht mir ein Schüsselchen Zitronenwasser. Das Feuer knistert, das servierte Kalbsrippchen mit Meerrettich, Schnittlauch und Pankoflocken knuspert freudig im Mund.

Das Fleisch ist so zart, dass es fast auf der Zunge zergeht. Die süss-pikante BBQ-Sauce hat mit Feuer und Holzkohlerauch aus den Rippchen einen wahren Gaumenschmaus gemacht. Rauchige Aromenkraft und fruchtige Würze liefert auch der Shiraz Zephyrus von Sons of Eden aus dem Barossa Valley in Südaustralien. «Ich mag die Harmonie, wenn das Gericht und der Wein eine Einheit bilden. Auch wenn der Wein beim ersten Schluck zum Rippchen etwas überfordert ist. Spätestens beim zweiten Schluck passt alles phänomenal!», frohlockt Culinary Director Mike Wehrle. Es gelte, bei der Weinbegleitung einfach darauf zu achten, dass nicht zu viel Süsse zusammenkomme. Denn die BBQ-Sauce auf den Rippchen hat es in sich. Neben geräuchertem Paprikapulver, frischen Tomaten, Ketchup und Rauchöl werden sie mit süssen Pflaumen und Coca-Cola mariniert.

Rippchen mit Coca-Cola? Ein Gedicht

«Coca-Cola bringt eine abgerundete Süsse, die Zucker allein nicht schafft. Es sind diese süss-warm-herben Aromen von Coca-Cola, die das Gericht am Schluss runder machen.» Mike Wehrle entschuldigt sich keinesfalls für die Zutat. Denn er fokussiert beim Rezeptieren einzig und allein darauf, wie das Gericht besonders köstlich wird.

Wichtigste Zutat ist aber die Zeit. In 48 Stunden werden die Rippchen in der Restaurantküche bei niederer Temperatur zart gegart. Oder eben «juicy» im internationalen Wehrle-Slang. Er schwört auf die schmackhaften «Second Cuts» von Nacken, Schulter oder Brust vom Tier. Er schmort liebend gerne eine Kalbshaxe in einer guten Flasche Shiraz. Oder grilliert eben Rippchen über Feuer zur Perfektion.

So kann er einen Gast noch überraschen. «Wer sich drauf einlässt, ist überrascht, wie das zarte Fleisch auf der Zunge schmilzt», schwärmt er. «Second Cuts kann man vielfältig zubereiten. Man kann sie schmoren, niedergaren oder grillieren.» Gut, steht Tobias Peyerl als Küchenchef im Restaurant Oak Grill am Feuer. Er hat grosse Freude, alle Stücke vom Tier zu servieren, und kocht im Sommer sogar im Freien über der Glut.

Erfahrungen in den Küchen rund um den Globus gesammelt

Einklang mag Wehrle nicht nur bei den Aromen, sondern auch beim Wein. «Ich mag es, wenn der Wein und das Gericht wie Yin und Yang zusammenpassen.» Die Referenz zu Yin und Yang, der chinesischen Philosophie, die zwei entgegengesetzte und gleichsam zusammengehörende Pole verbindet, kommt bei ihm nicht von ungefähr.

Der 47-Jährige ist in einem 200-Seelen-Dorf im Schwarzwald aufgewachsen und hat rund um den Erdball gearbeitet: Asien, USA und Europa. Hier oben auf dem Bürgenstock wacht er in der Hochsaison über sieben Restaurants, die Ost und West an einem Ort zusammenbringen. Im «Spices Kitchen» gibt es authentische Gerichte von Japan bis Thailand, im «Parisa» wird persisch gekocht, und in der «Taverne 1979» gibt es am Wochenende herzhafte alpine Küche.

Es sind Aromen von süss bis sauer, von scharf bis mild und von kräftig bis zart. Auch wenn international gekocht wird, liegt das Gute hier ganz nah. Wehrle zeigt auf den Südhang unterhalb seiner Wirkungsstätte. Hier grasen die Wollschweine, Kälber, Damhirsche und Lämmer von der Metzgerei Holzen Fleisch mit Aussicht auf den Vierwaldstättersee. «Wir tüfteln mit Holzen Fleisch gerade an einem Rindskäsewürstli für den Sommer», plaudert er aus der Testküche. Da soll auch der «Fünf-Sterne-Käse», den ihm der Käser Josef Bircher produziert, ins Rezept.

Dieser reift seinen Käse nur grad einen Steinwurf vom Bürgenstock entfernt und ist bekannt für seinen erstklassigen Sbrinz. Einen Käse auf Sterneniveau bekommt er also problemlos hin. Nicht ganz so einfach war es für Mike Wehrle, ihn darum zu bitten. Nach fünf Runden Kafi Träsch war der Deal per Handschlag aber besiegelt.

Stelleninserate per Whatsapp und Instagram

Mike Wehrle hat mit seinem Team in den letzten sieben Jahren die besten Produkte der Region aufgespürt und dabei ein grosses Eco-System auf dem Berg aufgebaut. Die Eier werden unmittelbar neben dem Resort-Golfplatz gelegt, die Kräuter im eigenen Hochbeet gezogen, die Hausbienen liefern den Honig, und nach dem Trüffel wird in den Wäldern Nidwaldens geschnüffelt. «Unser ehemaliger Security-Mitarbeiter liefert uns frische Beeren aus seinem Beerentunnel.»

Teamwork makes the dream work. Darum hat Mike Wehrle zur Eröffnung 2017 das Team fast zur Hälfte mit liebgewonnenen Weggefährten bestückt. Wird einmal eine Stelle frei, greift er zum Telefon. Per Whatsapp oder Instagram wird eine Annonce in die Welt geschossen. Wehrle holt sich die besten Köche aus aller Welt persönlich auf den Berg. So hat er sich eine grosse, internationale Familie geschaffen, die von thailändisch über japanisch bis mediterran ihre authentische Landesküche kocht.

Wehrle mag das Bodenständige. Zwar hat er sein Herz während seiner Zeit in Asien an die thailändische Küche verloren, aber nach einem langen Tag auf dem Bürgenstock mag er etwas Einfaches von zu Hause. «Leberwurst mit Sauerteigbrot und Essiggurken», schiesst es subito aus ihm heraus. Heimat ist für den Süddeutschen eine aromatische Empfindung. «Oma hat einmal die Woche Brot gebacken. Und sie hatte einen grossen Garten, in dem wir Erdbeeren frisch vom Strauch pflückten.» Es huscht ein freudiger Ausdruck über sein Gesicht. Die Geschmäcke der Kindheit und das Gefühl von Heimat im Sinn, verpflichten sich er und sein Team dem genuinen Geschmack.

In eine Schwarzwälder Torte gehören 1,2 Liter Rahm

Und so serviert Mike Wehrle aus dem Schwarzwald – wie könnte es auch anders sein – zum Dessert eine Schwarzwälder Kirschtorte. «In eine richtige Schwarzwälder Kirschtorte gehören 1,2 Liter Rahm. It’s a given fact!», stellt der stets spitzbübisch lachende Spitzenkoch mit strengem Blick klar. «Und es muss Kirschwasser und Kirschen drin haben!» Sonst wär’s keine echte Schwarzwälder.

Aber wenn die Aromen einmal ausbalanciert sind, darf in der Zubereitung justiert werden. So arrangiert sein argentinischer Executive-Pastry-Chef Damián Carini die Torte als moussigen Schokoladen-Kirsch-Ring mit Schokoladenknusper als Black Forest 2.0. Bemerkenswert ist, dass der Patissier Carini selber keine Desserts isst. «Er komponiert die Aromen im Kopf.

Ich gebe ihm Feedback, und er kombiniert am Schluss alles perfekt», erklärt Mike Wehrle Carinis Aromengedächtnis. «Vielleicht gerade weil er nicht zu viel Süsse in seiner Ernährung hat, kann er in puren Aromen denken.» Zum Black Forest 2.0. gibt es den Schaumwein Black Shiraz aus Australien.

Leuchtend rot perlt er vitalisierend im Glas mit Noten von herb-säuerlicher Maulbeere und bringt sie mit den warmen Gewürzen der Torte in Einklang. Yin und Yang eben – genau, wie es Wehrle gerne mag.

Mike Wehrles Rezepte zum Nachkochen: Schwarzwälder Kirschtorte

Zutaten für 1 Springform à 26 cm Durchmesser

Biskuitboden
7 Eier
200 g Zucker
1 Päckchen Vanillezucker
3 Tropfen Bittermandelaroma
170 g Mehl
80 g Speisestärke
50 g Kakaopulver
1 TL Backpulver
Etwas Butter und Mehl für die Form

Für den Sirup und die Sauerkirschen
40 ml Läuterzucker
8 cl Kirsch
350 g (Nettogewicht) Sauerkirschen (Schattenmorellen)
3 EL Maizena

Für die Füllung
1,2 Liter Rahm
50 g Zucker
6 Päckchen Sahnesteif
100 g Schokoladenraspel

Zubereitung

1. Ofen auf 180 Grad (Umluft 160 Grad) vorheizen.

2. Für den Biskuitboden Eier, Zucker, Vanillezucker, Bittermandelaroma 8 Minuten schaumig schlagen, damit sich die Masse verdoppelt. Mehl, Speisestärke, Kakaopulver und Backpulver vermengen, sieben, nach und nach zur Eiermasse geben und vorsichtig unterheben.

3. Springform einfetten und leicht bemehlen. Biskuitmasse hineingeben, glatt streichen und im Ofen etwa 30 Minuten backen. Vollständig auskühlen lassen. Dann zweimal quer durchschneiden.

4. Für den Sirup den Läuterzucker mit 8 cl Kirsch mischen. Sauerkirschen abgiessen, Saft dabei auffangen und Wasser dazugeben, bis 200 ml Flüssigkeit vorhanden sind. Maizena mit 2 EL der Flüssigkeit anrühren.

5. Restliche Flüssigkeit aufkochen, aufgelöstes Maizena unterrühren. Kurz unter Rühren aufkochen, dann den entstandenen Sirup vom Herd nehmen. 16 Kirschen für die Dekoration beiseite stellen. Restliche Kirschen unter den Sirup heben.

6. Rahm mit Sahnesteif und Zucker steif schlagen. Etwa 4 EL geschlagenen Rahm für die Dekoration in einen Spritzbeutel mit Sterntülle geben und kühl stellen.

7. Zum Fertigstellen der Torte den ersten Biskuitboden mit zirka 3 EL Sirup beträufeln. Kirschmasse vollständig darauf verteilen und glatt streichen.

8. Abkühlen lassen. Dann zirka 3 EL geschlagenen Rahm auf die Kirschmasse streichen.

9. Zweiten Boden darauflegen, leicht andrücken. Wieder zirka 3 EL Sirup auf den Boden träufeln, etwa die Hälfte des restlichen Rahms auf den Boden streichen. Letzten Biskuitboden auflegen, leicht andrücken und mit dem restlichen Sirup tränken.

10. Torte mit dem restlichen Rahm überall einstreichen. Mit dem Spritzbeutel 16 Sahnetupfer auf die Torte spritzen, restliche Kirschen daraufsetzen. Oberfläche und Rand mit den Schokoladenraspeln bestreuen. Kühl stellen.

11. Dazu passt Black Shiraz, Red Barossa Sparkling Wine, Rockford Wines.

Zubereitungszeit

1 Stunde plus zirka 1 Stunde kühlen

Buchtipp: Mike Wehrle, «Seven Kitchens», erschienen im Eigenverlag.

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