Dienstag, November 26

Europas bekanntester Molkerei-Unternehmer hat seit vielen Jahren kein Interview mehr gegeben. Mit der NZZ sprach der 84-Jährige nun über die Stärken der Schweiz, Angst als Antrieb und seine Freundschaft zur AfD-Chefin Alice Weidel.

Herr Müller, Sie leben seit zwei Jahrzehnten in der Schweiz. Fehlt Ihnen Deutschland manchmal noch?

Das kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Ich habe sechzig Jahre lang in Aretsried gelebt (ein Dorf in Bayerisch-Schwaben, Anm. d. Red.). Das ist und bleibt meine Heimat.

Was verbinden Sie mit diesem Wort?

Heimat ist Sprache, Dialekt. Heimat sind die Menschen, mit denen man aufwächst. Meine Schwester hat einen kleinen Bauernhof, da sind wir am Sonntag ab und zu zum Kaffeetrinken hingefahren. Das kann ich heute nicht mehr. Heimat kann man nicht ersetzen, das kann auch die Schweiz nicht. Viele Menschen wissen ja gar nicht mehr, was das ist: Heimat. Manager, die alle fünf Jahre woanders hinziehen, haben irgendwann keine Heimat mehr. Das ist schade, vor allem für die Kinder, aber es kann auch von Vorteil sein.

Wie das?

Wer keine Heimat hat, der kennt auch kein Heimweh.

Wir sitzen in Ihrer Villa in der Nähe von Zürich und haben einen phänomenalen Blick auf den See. Ist das hier, bei aller Verbundenheit zu Deutschland, heute eine Art zweite Heimat, falls es so etwas gibt?

Natürlich. Ich würde nicht mehr zurückwollen.

Wegen der Steuern?

Auch.

Sprechen Sie Schwyzerdütsch?

Auf keinen Fall. Das wäre für jeden Schweizer eine Zumutung. Mit dem Verstehen tue ich mich auch schwer.

Die Schweizer stehen nicht im Ruf, Zuzügler mit besonders offenen Armen zu empfangen, vor allem nicht jene aus Deutschland. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Überhaupt keine negativen. Beispielsweise: Einmal im Jahr kommt der Steuerkommissär, und da muss ich sagen, das ist ein ganz anderer Umgang als in Deutschland. Natürlich setzt die Schweiz ihre Rechtsstaatlichkeit durch, zu hundert Prozent. Aber der Kommissär gibt einem das Gefühl, man sei ein Kunde. Der bedankt sich fast, dass man Steuern bezahlt.

Und privat? Haben Sie Schweizer Freunde?

Da sind wir etwas mager aufgestellt.

Beate Ebert, selbst Unternehmerin und seit vergangenem Jahr die zweite Ehefrau von Theo Müller, ist beim Interview auch anwesend und schaltet sich ein: Wir haben keine Schweizer Freunde.

Wie kommt’s?

Theo Müller: Also, es liegt nicht an den Schweizern.

Sondern an Ihnen?

Da bleibt ja sonst keiner übrig.

Was ist aus Ihrer Sicht typisch schweizerisch, mal abgesehen von freundlichen Finanzbeamten?

Die Rechtsstaatlichkeit. Die NZZ; ich lese die Zeitung jeden Morgen, das prägt. Auch die Natur. Wir haben ein Haus in Klosters, und wir geniessen es sehr, wenn wir da sind. Die Schweiz ist fast ein Paradies, das kann man so sagen.

Die Schweiz ist auch ein reiches Land. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Ich war früher ein grosser Anhänger der parlamentarischen Demokratie im Gegensatz zur direkten. Heute bin ich nicht mehr sicher. Die direkte Demokratie scheint mir doch überlegen zu sein.

Inwiefern?

Die Schweizer Regierung wird von den Bürgern viel stärker kontrolliert. Sie traut sich deshalb nicht, allzu dumme Sachen zu machen, anders als in Deutschland.

Sie sind Milliardär.

Sagt man.

Gehen die Schweizer besser mit reichen Menschen um als die Deutschen?

Die marktwirtschaftlichen Gesetze werden in der Schweiz mehr geachtet. Wenn jemand reich wird, dann wird das als Leistung gesehen, die jemand für seine Kunden erbringt – egal, ob er Maschinen baut, einen Joghurt produziert oder eine Dienstleistung erbringt. Ein gutes Beispiel ist diese Abnehmspritze von Novo Nordisk aus Dänemark.

Haben Sie die schon probiert?

Ja, und ich habe fünf Kilo verloren.

Sie bekommen aber kein Geld dafür, dass Sie das sagen, oder?

Nein! Aber an dem Beispiel sehen Sie, wie Marktwirtschaft funktioniert: Novo Nordisk bietet etwas, das die Leute wollen. Das Unternehmen ist heute so viel wert wie drei deutsche Autofirmen zusammen. Gegen einen solchen Erfolg hat erst mal keiner etwas. Ein Skandal – in Anführungszeichen – wird es erst, wenn jemand dadurch reich wird. Das können manche Leute einfach nicht ertragen. Und in Deutschland sind das deutlich mehr als in der Schweiz.

Warum ist das so?

Ich vermute, es hat etwas damit zu tun, dass die Schweiz traditionell keine Arbeiter-, sondern eine Bauernnation war. Bauern haben einen direkten Bezug zu Eigentum und Leistung. Das sind Unternehmer.

Welche Eigenschaften braucht man, um als Unternehmer Erfolg zu haben?

Sie stellen mir lauter so philosophische Fragen.

Der Unternehmer und Vermögensforscher Rainer Zitelmann, den Sie kennen, unterscheidet bei wirtschaftlich erfolgreichen Menschen zwischen angestellten Managern und Unternehmern. Letztgenannte handelten unter anderem viel intuitiver.

Beate Ebert an ihren Mann gerichtet: Das tust du auch. Du verzettelst dich nicht lange in kleinteiliger Due Diligence wie so mancher Manager. Du entscheidest schnell, und dann wird sofort umgesetzt.

Müller: Das ist so. Natürlich habe ich die Leichtigkeit, dass ich primär mir gegenüber Rechenschaft schuldig bin und nicht beispielsweise 200 Aktionären. Aber das Wichtigste für den Erfolg ist Innovation. Man muss etwas anbieten, was es so noch nicht gibt.

Wie den Joghurt mit der Ecke?

Zum Beispiel.

Wie wichtig ist Werbung?

Im Mittelpunkt steht das Produkt. Aber wir müssen dem Verbraucher sagen: Mein lieber Freund, bis jetzt hast du vielleicht ganz gut gelebt, aber wenn du dieses Produkt von mir nicht probierst, dann entgeht dir ein Genuss (lacht). Ein bisschen werbliche Übertreibung ist notwendig.

Sie waren einer der ersten Unternehmer, die Milchprodukte in Markenartikel verwandelt haben. Aus einer Molkerei mit vier Mitarbeitern haben Sie einen Konzern mit mehr als 32 000 Mitarbeitern gemacht. Wie wichtig war Ihr eigenes Talent, und wie sehr haben andere geholfen?

Beides war wichtig. Mein erstes Markenprodukt war Dickmilch. Die Idee kam von einem Handelsvertreter: «Schau, es gibt da diese Wörishofer Dickmilch», hat er gesagt, «aber sie haben Defizite in der Vermarktung. Kannst du nicht eine Dickmilch produzieren, und ich verkaufe die?» Wir haben meine Dickmilch dann als «Kneipp-Dickmilch» verkauft. Vorher haben wir noch bei einer berühmten Anwaltskanzlei in München nachgefragt, ob wir das überhaupt dürfen. Den Wortlaut der Antwort kenne ich noch. Ja, sicher, hat die Kanzlei geschrieben, Kneipp sei ein «Synonym für eine gesunde Lebensweise». Kaum war mein Produkt auf dem Markt, kam ein Brief von Nestlé. Wie sich herausstellte, war der Pfarrer Sebastian Kneipp ein tüchtiger Unternehmer. Der hatte seinen Namen an Nestlé zur Verwendung bei Lebensmitteln verkauft. Ich habe also verhandelt und am Ende eine Lizenz für zwei Jahre bekommen. Danach habe ich gesagt: Weg mit Kneipp, meine Dickmilch heisst Müller-Dickmilch. Das war 1972. Als Nächstes kam die Buttermilch.

Wie macht man aus Buttermilch ein Markenprodukt?

Buttermilch gab es überall. Mir ist es jedoch gelungen, Buttermilch länger haltbar und cremiger zu machen. Der Erfolg war riesig. Wir haben innerhalb von drei Jahren 100 Millionen Stück jährlich verkauft und 5 Millionen Mark Gewinn gemacht. Das war eine Sensation.

Als Sie die Molkerei Ihrer Familie übernommen haben, lag der Gewinn bei etwa 200 000 Mark im Jahr. Wenn man als Unternehmer so schnell erfolgreich ist – wie bleibt man es dann?

Unter anderem war Angst ein wichtiger Antrieb: Angst, dass man das Aufgebaute wieder verlieren könnte. Die Idee mit der verbesserten Buttermilch haben damals viele nachgemacht, aber wir haben uns durchgesetzt.

Wie?

Sie dürfen sich als Unternehmer nie zurücklehnen. Ich hatte in der Anfangszeit auch das Glück, einen tüchtigen Geschäftsführer zu haben: Gerhard Schützner. Der kam von Oetker und sass in seinem Büro manchmal vor einem leeren Schreibtisch und hat einfach nur nachgedacht. Er hatte ständig neue Ideen. Und was noch wichtiger war: Er konnte sie auch durchsetzen. Vor zwei Jahren ist er leider gestorben.

Hatte Ihr Geschäftsführer Fähigkeiten, die Sie nicht haben?

Selbstverständlich. Sie müssen als Unternehmer Leute um sich haben, zu denen Sie aufschauen können.

Sind Sie heute noch involviert ins operative Geschäft der Unternehmensgruppe Theo Müller?

Nur sehr selektiv. Mein ältester Sohn Stefan hat die Führung übernommen.

Stefan Müller ist seit 2020 Vorsitzender der Gesellschafterversammlung. Die Firma gehört aber nach wie vor Ihnen.

Mir gehören knapp 90 Prozent der Anteile, der Rest gehört den Kindern.

Sie sind neunfacher Vater. Sind noch mehr Ihrer Kinder im Unternehmen aktiv?

Einige meiner Kinder sind im Unternehmen sowie zwei Schwiegersöhne.

Wie präsent waren Sie früher im Leben Ihrer Kinder?

Leider wenig. Bei mir ging es immer ums Geschäft. Ich wollte den Kindern von der Firma erzählen, von der Marktwirtschaft, von Ludwig von Mises. Und die haben gesagt: «Wir sind doch nicht in der Schule!»

Was war Ihnen in der Erziehung wichtig?

Ich hatte wenig Aktien in der Erziehung. Das war damals Aufgabe der Mütter.

Von Otto von Bismarck ist ein böses Bonmot überliefert: «Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.» Sie sind die erste Generation. Sehen Sie die Gefahr?

Ich bin nicht die erste, ich bin die vierte Generation!

Sie sind die erste Generation, die ein Vermögen geschaffen hat.

Die Vorarbeit haben meine Vorfahren geleistet: mit ihren Genen.

Dann noch einmal zurück zu Ihrer Heimat. Was ist für Sie typisch deutsch?

Wenn ich böse sein will, sage ich: Deutschland ist das Land von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Sozialismus und nun auch der Ökologismus haben das Land in Beschlag genommen. Die Folge ist, dass immer mehr Wohlstand auf der Strecke bleibt – nicht bei den Vermögenden, sondern bei den mittleren Einkommensschichten. Der Staat nimmt den Bürgern die Hälfte dessen, was sie erwirtschaften. Dazu kommt eine Politik des Schuldenmachens, die die Inflation anheizt und das Geld der Sparer entwertet.

Offiziell gibt es in Deutschland die soziale Marktwirtschaft.

Reine Marktwirtschaft wäre mir lieber. Marktwirtschaft ist sozial. Das hat schon Friedrich von Hayek gesagt. Das Wort sozial in Bezug auf Marktwirtschaft ist ein Pleonasmus. Es gibt keine unfreie und unsoziale Marktwirtschaft. Dieses Wissen ist in Deutschland in den Hintergrund getreten. Die Politik ist leider eine Katastrophe geworden. Schade.

Seit wann?

Das Drama fing mit Angela Merkel an. Sie war diejenige, die die sogenannte Energiewende auf den Weg gebracht und den Ausstieg aus der Kernenergie durchgesetzt hat. Allein das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat seit 2010 für die deutschen Stromverbraucher zusätzliche Kosten von deutlich mehr als 200 Milliarden Euro verursacht. Zudem hat Frau Merkel die Kontrolle über die Zuwanderung verloren.

Was stört Sie an der Energiewende?

Die gigantischen Kosten sind nur ein Punkt: 500 Milliarden Euro konservativ gerechnet, einige Schätzungen gehen sogar von 2 Billionen aus. Das ganze Konzept geht nicht auf. Sie können nicht gleichzeitig aus der Kernkraft und der Kohle aussteigen und Kraftwerke bauen für Gas, das wir nicht mehr haben. Die erneuerbaren Energien werden das, was wegfällt, nicht ersetzen können. Meine Frau ist Ingenieurin, wir haben das ausgerechnet: Um den gesamten Energiebedarf mit erneuerbaren Energien zu decken – es geht ja nicht nur um Strom –, würde Deutschland 750 000 Windräder benötigen. Rund 30 000 Anlagen gibt es heute. Und selbst wenn es irgendwann 750 000 Windräder gäbe, würden die nichts bringen, sobald der Wind mal nicht wehte. Für jedes Windrad brauchen Sie eine konventionelle Energiequelle auf Stand-by, um bei Flaute einspringen zu können.

Die seriöse Klimaforschung ist sich einig, dass die Menschen den CO2-Ausstoss reduzieren müssen, um die Erderwärmung zu bremsen.

Davon habe ich mich in Gesprächen mit Professoren der Physik und Chemie auch überzeugen lassen. Aber der Wandel muss mit Mass und Vernunft geschehen. Deutschland ist verantwortlich für 1,9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, und es wird diesen Ausstoss nicht auf null runterfahren können. Sonst müssten 84 Millionen Menschen aufhören zu atmen. Wenn Deutschland seine Emissionen um die Hälfte reduzieren würde, dann würde das reichen. Und natürlich braucht es Kernkraftwerke. Wir hatten siebzehn, jetzt haben wir noch drei, die man wieder in Betrieb nehmen könnte, jedoch wurden sie vor einem Jahr abgeschaltet. Wahnsinn.

Und was stört Sie am deutschen Umgang mit der Zuwanderung?

Der deutsche Staat schaut seit Jahren zu, wie millionenfach das Recht gebrochen wird. Einen Anspruch auf Asyl hat laut dem Grundgesetz niemand, der aus einem EU-Staat oder einem anderen sicheren Drittland einreist. Trotzdem kommen Migranten ins Land, rufen «Asyl!» und dürfen bleiben. Dann beginnt ein jahrelanges Verfahren, um festzustellen, ob sie in der Heimat politisch verfolgt werden. Und selbst wenn das am Ende nicht der Fall ist, dürfen die Leute in der Regel bleiben.

Die Befürworter der «Willkommenskultur» argumentieren einerseits mit dem Gebot der Nächstenliebe und andererseits mit dem wirtschaftlichen Interesse des Landes: Man dürfe Notleidende und bedrohte Menschen nicht einfach zurückweisen. Ausserdem sei Deutschland als alterndes Land auf Migration angewiesen.

Das Gutmenschentum steckt in uns allen, auch in mir. Wir wollen helfen, wo es geht. Aber eines ist doch klar: Die Deutschen sind ein Volk von 84 Millionen, sie können die Not der Welt nicht allein beenden.

Und der deutsche Mangel an Arbeitskräften?

Den gibt es. Nur man löst das Problem nicht, indem man den Rechtsbruch duldet. Wir hatten bei Müller in den Anfangsjahren viele Pakistaner. Die waren legal da, sehr tüchtige Leute. Dagegen habe ich natürlich nichts.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Ausschaffungen «im grossen Stil» angekündigt.

Das habe ich auch gelesen.

Sie sind skeptisch?

Natürlich. Wie will er das gegen seine eigene Partei und gegen die Grünen in der Regierung durchsetzen?

Haben Sie schon einmal damit geliebäugelt, in die Politik zu gehen?

(Lacht.) Ich hätte keine Chance.

Beate Ebert: Nein, das wäre keine gute Idee.

Warum?

Theo Müller: Mein Sohn Stefan würde sagen: wegen meiner Ehrlichkeit.

Sind Sie Mitglied einer Partei?

Ich bin seit dreissig Jahren Mitglied der CSU.

Was halten Sie von Ihrem Parteivorsitzenden Markus Söder?

Kommt darauf an, wie der Wind gerade weht, oder?

Sie würden den Unionsparteien CDU und CSU davon abraten, Söder zu ihrem nächsten Kanzlerkandidaten zu machen?

Unbedingt. Markus Söder soll in Bayern bleiben und dort für gute Politik sorgen.

In dem Fall würde es auf Friedrich Merz hinauslaufen. Was halten Sie vom CDU-Chef?

Ich war früher ein Merz-Fan.

Und heute?

Er hatte einen sehr schweren Start. Als er gesagt hat, er gehöre zur «gehobenen Mittelschicht», habe ich gedacht: Was soll das? Der Mann ist Millionär. Warum sagt er das nicht? Er kann ja stolz darauf sein. Dann gibt es diesen Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der CDU. Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, hat mir im November bei einer Veranstaltung auf meine Frage, was denn drinstehe, gesagt, mit dem neuen Programm werde alles gut. Nur zwei Dinge hat er genannt: das christliche Menschenbild und ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen. Ein bisschen mager.

Der Begriff «Leitkultur» steht auch drin.

Ah ja. Was steht da genau?

Der Text ist vage. Es geht um ein «Bewusstsein von Heimat», um ein Verständnis von Tradition.

Das kann alles bedeuten. Warum sagt die CDU nicht, was sie will?

Sie würden selbst nicht in die Politik gehen, sagen Sie. Allerdings sind Sie 2023 zum Politikum geworden, als die «Bild»-Zeitung ein Foto von Ihnen und der AfD-Co-Vorsitzenden Alice Weidel beim gemeinsamen Restaurantbesuch in Cannes veröffentlicht hat. Waren Sie von dem medialen und politischen Echo überrascht?

Das war unglaublich. Eine solche Empörung hätte ich nicht für möglich gehalten.

Wie lange kennen Sie Frau Weidel?

Vier Jahre. Sie wohnt in der Nähe und kommt öfters zu Besuch.

Reden Sie dann über Politik?

Klar. Und über andere Sachen. Wirtschaft, zum Beispiel. Das ist ja mein Thema: Wie wird ein Volk reich? Ich unterhalte mich gerne mit ihr.

Sind Sie befreundet?

Ja. Alice Weidel ist eine Freundin.

Wenn Sie mit Frau Weidel über Politik reden, sind Sie sich im Grossen und Ganzen einig, oder streiten Sie auch?

Auch wenn ich mit Frau Weidel rede, heisst das bei weitem nicht, dass ich alle Vorstellungen teile. Ich habe das Programm der AfD gelesen. Da stehen einige Punkte drin, wo ich sage: Was soll das? Die wollen den Bundespräsidenten direkt wählen lassen. Wer so etwas sagt, versteht die Architektur unseres Grundgesetzes und die Lehren aus der Weimarer Republik nicht. Oder ein weiteres Beispiel: ein Verbot von Glyphosat, solange nicht nachgewiesen sei, dass es absolut unschädlich sei. So etwas können Sie nicht nachweisen.

Die AfD steht nicht wegen ihrer Vorstellungen vom Amt des Bundespräsidenten oder vom Umgang mit einem Unkrautvernichter in der Kritik. Gibt es noch andere Punkte, die Sie ablehnen?

Es wäre doch eher ungewöhnlich, wenn man bei einem so umfangreichen Programm alle Punkte unterstützen würde. Es gab ja dieses sogenannte Geheimtreffen in Potsdam, wo Massendeportationen geplant worden sein sollen. Da hat die Partei klargestellt, dass sie nichts dergleichen fordert, sondern bei der Migration einfach den Zustand der Legalität wiederherstellen will. Natürlich gibt es in der AfD Einzelne, die dummes Zeug reden, rechtsextremistische Parolen verbreiten und zum Beispiel Deutsche, die woanders geboren wurden, abschieben wollen. So etwas geht nicht, das lehne ich strikt ab. Ich bin selbst Immigrant. Wenn die Schweizer mir plötzlich sagen würden: «Ab mit dir, du kannst ja nicht einmal Schweizerdeutsch», täte ich mich aber bedanken! Die Frage, um die es geht, lautet: Steht die AfD auf dem Boden des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats oder nicht? Wenn die Innen- und Verfassungsministerin Nancy Faeser zu dem Schluss kommt, dass die Partei das nicht tut, dann muss sie einen Verbotsantrag beim Verfassungsgericht stellen; da hat sie überhaupt keinen Spielraum. Aber: Sie tut es nicht. Stattdessen fordert sie Unternehmen auf, sich von der AfD zu distanzieren.

Die deutsche Wirtschaft müsse «Haltung» zeigen, sagt Frau Faeser. Andernfalls drohe eine «Normalisierung» rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen. Haben Sie sich da angesprochen gefühlt? Normalisieren Sie Populismus und Extremismus?

Natürlich nicht! Die AfD ist eine Partei, die bei der Willensbildung des Volkes mitwirkt. Und solange sie nicht verboten ist, befindet sie sich in einem legalen Zustand. Ein Verbot der Linkspartei fordert auch niemand. Und deren Mitglieder rufen öffentlich dazu auf, Reiche zu erschiessen.

Das war vor ein paar Jahren bei einer Parteiveranstaltung in Kassel, und es war wohl ironisch gemeint.

Bernd Riexinger, damals einer der Chefs der Partei, fand es auch witzig. Der sagte ungefähr: Wir erschiessen die Reichen nicht, wir setzen sie für nützliche Arbeit ein. Ich habe die Frau, die das mit dem Erschiessen gesagt hat, damals wegen Volksverhetzung angezeigt.

Und?

Und nichts. Die Staatsanwaltschaft Kassel hat kein Strafverfahren eingeleitet. Also haben wir uns beim Generalstaatsanwalt beschwert. Der hat auch nichts unternommen. Stellen Sie sich vor, ein AfD-Mitglied würde so etwas fordern wie diese Frau von der Linkspartei. Da wäre was los.

Kennen Sie Björn Höcke, den thüringischen AfD-Chef, der im Herbst Chancen hat, die Landtagswahl in seinem Bundesland zu gewinnen?

Nicht persönlich.

Diejenigen, die ein AfD-Verbot fordern, begründen das nicht mit dem Programm. Das Problem seien einflussreiche Kader wie Herr Höcke, die mal eine 180-Grad-Wende in der Geschichtspolitik fordern und mal die etablierten Parteien als transatlantisch ferngesteuertes Kartell verunglimpfen. Mal ehrlich: Sollten solche Leute wirklich politische Verantwortung übernehmen?

Ich kenne mich da zu wenig aus. Es gibt dieses Zitat von Herrn Höcke über das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das sei ein «Denkmal der Schande». Wenn er es so gemeint hat, dass der Holocaust eine nationale Schande war, sehe ich kein Problem mit seiner Aussage. Wenn er jedoch den Holocaust verharmlost und somit die Erinnerung durch das Denkmal als Schande bezeichnet, ist das natürlich vollkommen inakzeptabel.

Es geht nicht um ein Zitat. Die Summe der Äusserungen von Herrn Höcke ergibt das Bild eines radikalen, völkischen Politikers, der die liberale Gesellschaft verachtet. Ihre Freundin Alice Weidel hat das früher auch erkannt und ihn intern bekämpft. Später hat sie aufgegeben, weil das Netzwerk um Herrn Höcke längst zu mächtig geworden war. Sie haben das Potsdamer «Geheimtreffen» erwähnt. Man braucht diese fragwürdige Geschichte gar nicht, um die Radikalität der AfD zu belegen. Björn Höcke schwärmt von Martin Sellner, der in Potsdam seine Pläne zur «Remigration» präsentiert haben soll. Der wiederum erklärt in Texten offen, dass er auch «nichtassimilierte Eingebürgerte» loswerden will. Das ist alles kein Geheimnis.

Ich glaube Ihnen das. Sie machen auf mich keinen ökosozialistischen Eindruck. Wenn Herr Höcke so schlimm ist, sollte die Regierung in Thüringen Artikel 18 des Grundgesetzes zur Anwendung bringen und ihm die Grundrechte entziehen.

Eine entsprechende Petition gibt es schon, mit bald zwei Millionen Unterschriften. Hat Frau Weidel Sie eigentlich eingeladen, in die AfD einzutreten?

Nein. Ich bin kein AfD-Mitglied, und ich möchte keines werden.

Haben Sie der Partei schon einmal Geld gespendet?

Nein.

Was sind Sie: ein interessierter Beobachter oder ein Sympathisant?

Irgendwas dazwischen.

Würden Sie im Herbst nach einer der ostdeutschen Landtagswahlen gerne eine AfD-Regierung sehen?

In Sachsen könnte die Partei auf eine parlamentarische Mehrheit kommen, wenn einige andere Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wenn die CDU dann zweitstärkste Kraft wird, könnte sie der AfD anbieten, in einer Koalition mitzuwirken – unter der Voraussetzung, dass die CDU den Ministerpräsidenten stellt. Als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer im Herbst 2021 mit dem Fraktionsvorsitzenden der CDU bei mir war, habe ich eine Minderheitsregierung ins Spiel gebracht, indem er die Koalition mit den Grünen aufkündigt und allein mit der SPD weitermacht.

Was hat der Ministerpräsident gesagt?

Herr Kretschmer wirkte auf mich zumindest aufgeschlossener als der Fraktionschef der CDU. Der sagte, ohne die Grünen bekämen sie kein Gesetz mehr durch den Landtag.

Warum haben die Herren Sie in der Schweiz besucht?

Um mir den Sächsischen Verdienstorden zu übergeben. Da waren auch Musiker dabei, und die Linken haben getobt.

Weil Sie ein Rechter sind?

Weil sie mich für den Bösewicht halten.

Stört Sie so ein Protest?

Gar nicht. Schlimm wäre es, wenn mich die Linken und die Grünen loben würden.

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