Montag, Januar 20

Der argentinische Präsident wird wieder am WEF sprechen. Noch vor einem Jahr wurde er nicht ernst genommen. Das hat sich geändert. Denn Milei hat geliefert.

Vor einem Jahr betrat Javier Milei beim WEF in Davos zum ersten Mal die internationale Bühne. Fünf Wochen zuvor hatte der Anarchokapitalist sein Amt als Präsident Argentiniens angetreten. Statt in der gewohnten Lederjacke trat er in einem dunkelblauen Anzug mit Krawatte ans Rednerpult in der Kongresshalle.

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Wortlos blickte er in den bis auf den letzten Platz gefüllten Saal, setzte seine Brille auf und legte los – wie ein Hohepriester: «Heute bin ich hier, um zu verkünden, dass der Westen in Gefahr ist.» Diejenigen, die die westlichen Werte verteidigen sollten, seien von einer Weltanschauung vereinnahmt, die unweigerlich zum Sozialismus und damit zur Armut führe.

Der Staat? Er ist das Böse

Seine 23-minütige Rede wird im Nachhinein als eine der wichtigsten Beiträge von Davos 2024 in Erinnerung bleiben: ein rasend schnell auf Spanisch verlesenes Traktat, das die Simultanübersetzer ins Schwitzen brachte. Im Habitus eines Professors fällte er ein Urteil nach dem anderen. Was er vom Staat hält? «Er ist das Böse.» Seine Eingriffe hätten immer negative Folgen.

Milei forderte die Unternehmer auf, sich nicht einschüchtern zu lassen von der politischen Klasse, «von den Parasiten». Sie sollten sich ihrer Rolle als Motor für Innovation und Wohlstand bewusst sein. «Ihr seid die Helden, die Wohltäter der Gemeinschaft», lobte Milei sie. Er schloss mit seinem Standardappell: «Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal!»

Die Zuhörer wissen kurz nicht, wie sie das Gesagte bewerten sollen. Milei kritisierte auch den Feminismus und den Umweltschutz. Einige Frauen verlassen demonstrativ den Saal. Doch dann beginnt ein zaghafter Applaus, der sich schnell steigert. Als die Ersten aufstehen, gibt es kein Halten mehr.

Die verbliebenen Zuhörer finden den Vortrag mit überwältigender Mehrheit gut. Kein Wunder, schliesslich spricht Milei am WEF, das lange als Kathedrale des globalen Kapitalismus galt – bevor man sich vor einigen Jahren auch in Davos dem Zeitgeist beugte und dem Staatsinterventionismus zu huldigen begann.

Am Donnerstag wird Milei wieder in Davos auftreten. Und diesmal wird er einer der Stars des Treffens sein. Das liegt zum einen an der veränderten weltpolitischen Lage und an seinem erstaunlichen Erfolg als Präsident.

Milei, Musk und Trump haben sich mehrfach getroffen

In den USA kommt mit Donald Trump nun ein Präsident ans Steuer, der den Bürokratieabbau ebenfalls auf seiner Arbeitsliste hat. Elon Musk, der reichste Mann der Welt, wird als Anti-Bürokratie-Beauftragter sogar Teil von Trumps Regierungsmannschaft sein.

Musk, Trump und Milei – sie haben sich im vergangenen Jahr schon mehrfach in unterschiedlichen Konstellationen getroffen und sich ihrer gegenseitigen Bewunderung versichert. Weil Milei seit Jahren als Erster symbolisch mit der Kettensäge den radikalen Rückbau des Staates propagiert, sieht sich der Argentinier als libertärer Prophet in einer sich verändernden Welt.

Das sehen auch die meisten liberalen Denkfabriken weltweit so: Auf seinen zahlreichen Auslandsreisen seit Amtsantritt wird Milei von ihnen mit Preisen überhäuft. Allein in Washington, wohin er zur Amtseinführung Trumps kommt und von wo aus er in die Schweiz weiterreist, wurde Milei gerade als «Titan of Economic Reform» und «2025 Champion of Economic Freedom» geehrt.

Diese Ehrungen erhält Milei vor allem aus einem Grund: Er hat in Argentinien in einem Jahr nicht nur genau das umgesetzt, was er versprochen hatte – er ist dabei auch noch ausserordentlich erfolgreich.

So hat er die Geldentwertung, die in eine Hyperinflation umzuschlagen drohte, innerhalb eines Jahres von 211 Prozent auf jetzt 118 Prozent gesenkt.

Er hat direkt nach seinem Amtsantritt die Staatsausgaben so stark gekürzt, dass der Haushalt vom ersten Monat an kein Defizit, sondern einen Überschuss (ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen) aufweist. Dies erschwert die Rückkehr zur Inflation. Denn bisher wurde das fehlende Geld des Staates durch die Notenpresse ersetzt. Die Folge war eine jahrzehntelange chronische Inflation in Argentinien.

Mit einer Steueramnestie konnte die Regierung die Argentinier dazu bewegen, 20 Milliarden Dollar in den offiziellen Wirtschaftskreislauf zurückzuführen. Die Banken vergeben dank den gesunkenen Zinsen erstmals wieder Kredite für Immobilien. Das Kreditvolumen ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr.

«Eine der beeindruckendsten Reformen der Geschichte»

Mit einem Sonderprogramm für Grossinvestoren, die mehr als 200 Millionen Dollar investieren – genannt Rigi – verspricht die Regierung ihnen zehn Jahre Steuerfreiheit und keine Auflagen, wenn sie Kapital exportieren wollen. Diese Bedingungen sollen 30 Jahre lang gelten. Seitdem haben Konzerne Investitionen von rund 12 Milliarden Dollar angekündigt.

Gleichzeitig hat Milei einen umfassenden Mikroreformprozess in Gang gesetzt: Ein ganzes Ministerium durchforstet Gesetze und Vorschriften nach überflüssigen oder wachstumshemmenden Bestimmungen. Täglich werden per Dekret Gesetzesänderungen erlassen. Die Regierung hofft, durch die vielen Mikroreformen im Staat die Produktivität der Wirtschaft zu steigern.

Kristalina Georgiewa, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), lobte Argentiniens Anpassungspolitik dieser Tage als «eine der beeindruckendsten Reformen der jüngeren Geschichte». Nach langer Stagnation könnte Argentiniens Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 5 Prozent wachsen, wie Investmentbanken wie JP Morgan erwarten. Mileis Popularität ist mit 55 Prozent deutlich höher als bei seiner Wahl.

In seinem zweiten Regierungsjahr muss Milei nun schnell drei brennende Probleme lösen: Das strenge Wechselkursregime seiner Vorgänger hat Milei bisher nicht angetastet. Unternehmen und Banken werden aber nur dann in Argentinien investieren, wenn sie sicher sein können, dass sie ihr Kapital, Dividenden oder Zinsen jederzeit wieder aus Argentinien ins Ausland transferieren können.

Der überbewertete Peso hat das Land zudem zum teuersten Standort Südamerikas gemacht. Unternehmen im Einzelhandel, in der Industrie oder im Konsumgüterbereich haben dort kaum Chancen, gegen ausländische Konkurrenten zu bestehen.

«Viva la libertad, carajo!»

Dabei könnten gerade in der verarbeitenden Industrie gut bezahlte und produktive Arbeitsplätze für die Mittelschicht entstehen. Denn die moderne Landwirtschaft und der boomende Bergbau schaffen nicht genügend Jobs.

Wie Milei dieses Jahr in Davos auftreten wird, ist angesichts seines unerwarteten Erfolgs und seiner wachsenden internationalen Popularität absehbar: Fragen aus dem Auditorium oder eine Pressekonferenz wird es nicht geben. Milei wird im Eiltempo seine Erfolge des ersten Jahres herunterrattern. Dann wird er die libertären Leviten lesen. Und er wird mit seinem Schlachtruf enden: «Viva la libertad, carajo!»

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