Auf dem neuen Album provoziert der amerikanische Superstar nicht mehr mit der Abrissbirne. Vielmehr jongliert die 33-jährige Amerikanerin souverän mit radikalen und trivialen Beats.
Sie ist mit 33 Jahren eine Veteranin. Das Schlachtfeld, auf dem sie sich lange wacker geschlagen hat, heisst Disney. Miley Cyrus war Hannah Montana, und «Hannah Montana» war die TV-Serie, die sie im Alter von 12 berühmt machte. Die Rolle war massgeschneidert für ihre Talente: Cyrus spielte Miley, einen Teenager, der tagsüber ein normales Highschool-Leben führt.
Nachts kam dann ihr Alter Ego zum Zug. Miley verwandelte sich in den Pop-Star Hannah Montana, auf der Bühne gefeiert und von der Menge umschwärmt. Im Interview mit der «New York Times» sagte Cyrus jetzt, sie kenne nichts anderes als Ruhm und sie verstehe das Business. «Ich weiss, dass ich eine Ware bin»: So spricht ein Star, der mit dem Recht auf Privatleben und Diskretion schon früh alle Illusionen aufgegeben hat.
Endlich ein Grammy
Die Illusionen, das wäre das Ensemble aus Kunstansprüchen und Revoltebestrebungen, mit dem man sich Freunde macht im Feuilleton, aber nicht beim globalen Publikum. Die Masse entscheidet, wer ein Superstar wird, nicht die Kulturkritik. Dass sie letztes Jahr ihren ersten Grammy gewann, hat Miley Cyrus dann doch sehr gefallen. In besagtem Interview gibt es die entsprechenden Spitzen gegen einen Musikjournalismus, der jenseits von Beyoncé und Lana Del Rey alles als besseren Klingelton abtut.
Selena Gomez und Ariana Grande, wie Cyrus ebenfalls Zöglinge des Jugendfernsehens, haben gezeigt, dass man das Schnütchen- und Kulleraugen-Image abschütteln kann: Gomez bewies spätestens mit ihrer Rolle als Ehefrau eines transsexuellen Kartellchefs in «Emilia Pérez», dass sie das Zeug zum Charakterfach hat. Grande galt als Premium-Ressource von Nickelodeon, bis klar wurde, dass ihr Stimmtalent an das von Whitney Houston heranreicht und sie – siehe die «Wicked»-Verfilmung 2024 – auch Comedy und Musical beherrscht wie wenige ihrer Generation.
Miley Cyrus geht das Emanzipationsprojekt von der musikalischen Seite an. Kalkulierte Affronts braucht sie nicht mehr – auf einer Abrisskugel durchs Video pendeln wie 2013 im Video zu ihrem Hit «Wrecking Ball» und dabei aussehen wie ein Pin-up-Girl, das sich koksende Bauunternehmer ausgedacht haben, das ist passé.
Sinéad O’Connor hatte damals einen offenen Brief an Cyrus geschrieben: «Die Musikindustrie interessiert sich einen Scheiss für uns», hiess es da. «Sie beuten dich aus und lassen dich glauben, das sei genau das, was du wolltest.» O’Connor rannte mit diesem Brief offene Türen ein, aber es ist sicher ein Signal, dass Cyrus den Mega-Hit «Nothing Compares 2 U» von O’Connor bei der Comedy-Sendung «Saturday Night Live» vortrug. Das war im vergangenen Februar. Manchmal stehen Türe lange offen, bis man hindurchgeht.
Mitsingen beim Bügeln
«Something Beautiful», das neue und neunte Album von Miley Cyrus, ist also ein Durchgangswerk. Kein musikalischer «wrecking ball», mit dem sie den Sound ihrer bisherigen Karriere zertrümmert, aber eine überraschend vielseitig orchestrierte Platte: Schrammelrock und -pop wechseln sich mit Klangexperimenten ab.
So verwandelt sich das Titelstück vom Soul-Schmachtfetzen nach ein paar Takten zum Kopfnicker-Stampf-Song im Heavy-Metal-Stil. «End of the World», «More to Lose» und «Easy Lover» variieren souverän das Klang-Design des Karaoke- und Schunkel-Songs – man kann mitsingen oder ein bisschen schmachten oder dazu die Wäsche bügeln. Es gebe verrückte Leute, die verrückte Musik machten, und normale mit normaler Musik, sagte Cyrus im Interview. «Ich mache verrückte und normale Musik.» Das trifft es. «Something Beautiful» ist ein lässiges Pop-Album zwischen trivial und radikal.