Rund 2,7 Mrd. € legt Novartis für die deutsche MorphoSys auf den Tisch. Das Hauptobjekt der Begierde, ein Wirkstoffkandidat gegen Knochenmarkkrebs, macht jedoch Probleme. Hat sich Novartis verkalkuliert?

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser

Als Novartis am 5. Februar die Übernahme des deutschen Biotechnologieunternehmens MorphoSys ankündigte, wurde die Nachricht von Analysten grundsätzlich positiv aufgenommen. Mit dem Wirkstoffkandidaten Pelabresib, der gegen eine seltene Form von Knochenmarkkrebs (Myelofibrose) eingesetzt werden soll, stärke Novartis die Onkologie-Pipeline, so die allgemeine Lesart. Die Wahrscheinlichkeit für eine Zulassung wurde als hoch eingeschätzt, das Mittel habe Blockbuster-Potenzial. Novartis zahlte für die Akquisition von MorphoSys rund 2,7 Mrd. €.

So weit, so gut.

Doch bei näherem Hinsehen stellten sich von Beginn an Fragen. Pelabresib, der wichtigste Wirkstoffkandidat von MorphoSys, hatte bereits eine kleine Achterbahnfahrt hinter sich. Im November 2023 meldeten die Deutschen erste Daten zu einer Phase-III-Studie, bei der Pelabresib mit einem bereits zugelassenen Novartis-Wirkstoff (Ruxolitinib) kombiniert wurde. Auf den ersten Blick schienen die Daten zu überzeugen.

So wurde der primäre Endpunkt (SVR35) der Studie erreicht. Vereinfacht gesagt, ging es um eine Verkleinerung der Milz. Dies war wichtig, weil eine vergrösserte Milz ein Hauptmerkmal von Myelofibrose ist und starke Beschwerden verursachen kann.

Gemischte Studienresultate

Das Problem: Der wichtige sekundäre Endpunkt (TSS50) wurde nicht erreicht. Dieser beschreibt, ob und in welchem Ausmass die Krankheitssymptome von Patienten gelindert wurden. Weil die US-Gesundheitsbehörde FDA für eine Zulassung von Pelabresib darauf besteht, dass eine signifikante Verbesserung bei den Krankheitssymptomen erreicht wird, sackte die Morphosys-Aktie am Tag der Resulatpublikation innerhalb eines Tages um fast 25% ab.

Die Stimmung drehte, als das Unternehmen im Dezember beim amerikanischen Hämatologie-Kongress (AHS) die vollständigen Studienresulate präsentierte und die Daten auf ein gutes Sicherheitsprofil hindeuteten. Darüber hinaus zeigte sich eine hohe Wirksamkeit gegen Anämie, ein weiteres Symptom von Myelofibrose, wenn die Zahl der roten Blutkörperchen fällt und der Körper folglich mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird.

Aber: Die Unsicherheit um den sekundären Endpunkt (TSS50), der die Linderung der Krankheitssymptome misst, blieb bestehen – und damit rückte eine mögliche FDA-Zulassung in die Ferne.

Übernahme intern umstritten

Vor diesem Hintergrund waren einige Branchenbeobachter erstaunt, dass Novartis für MorphoSys eine stolze Summe von umgerechnet 3 Mrd. $ auf den Tisch legte. Der Pharmariese will damit offensichtlich die Chance nutzen, das potenzielle Myelofibrose-Medikament Pelabresib vergleichsweise günstig einzukaufen. Gleichzeitig geht er angesichts der umstrittenen Datenlage aber eine riskante Wette ein.

Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, dass dem Entscheidung offenbar grosse interne Diskussionen vorausgegangen sind. Vor allem Strategiechef Ronny Gal soll die MorphoSys-Übernahme gegen harte interne Widerstände vorangetrieben haben. Der Amerikaner ist seit 2022 an Board, war vorher langjähriger Pharma-Analyst bei Sanford Bernstein und einer der profiliertesten Experten auf seinem Gebiet.

Was hat Novartis also vor mit MorphoSys?

Grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass die Basler wissen, was sie tun. Novartis ist auf dem Feld Myelofibrose bereits aktiv und hat mit dem Medikament Jakavi – das auf dem oben erwähnten Wirkstoff Ruxolitinib basiert – seit 2012 ein Mittel auf dem Markt. Es ist das bisher einzige zugelassene Medikament gegen diese seltene Art von Knochenmarkkrebs, hat allerdings den Nachteil, dass die Wirkung bei rund der Hälfte der Patienten nach nur wenigen Jahren nachlässt.

Auch ist der Markt attraktiv. Allein in Deutschland gibt es rund 1000 Neuerkrankungen pro Jahr. 90% der Patienten tragen bei der Diagnose ein mittleres bis hohes Risiko. Auch Thomas Heimann, Analyst bei der Investmentfirma HBM Partners, betont, dass der medizinische Bedarf für eine neue Therapie angesichts der nachlassenden Wirkung beim führenden Medikament Jakavi weiterhin hoch ist. «Die Preise und Margen sind in diesem Bereich entsprechend attraktiv.»

Prozess der Zulassung harzt

Als Novartis im Februar den Plan zur Übernahme von MorphoSys bekanntgab, erklärte das Management, dass ein US-Zulassungsantrag für Pelabresib für die zweite Hälfte dieses Jahres geplant sei. Mittlerweile mehren sich diesbezüglich aber die Fragezeichen. So berichtet der stets gut informierte Biotech-Kolumnist Adam Feuerstein auf dem Portal STAT News, dass sich bei Patienten, die in der Phase-3-Studie mit Pelabresib behandelt wurden, die Myelofibrose zu akuter myeloischer Leukämie (AML) verschlimmert habe – eine noch aggressivere und bedrohlichere Art von Blutkrebs.

Auf Anfrage teilt Novartis mit, dass man aus der wissenschaftlichen Literatur wisse, dass 10 bis 20% der Myelofibrose-Patienten im Lauf eines Jahrzehnts AML entwickeln können. Der Konzern bestätigt, dass im Rahmen der fortlaufenden Überwachung in der Phase-3-Studie (MANIFEST-2) «Fälle von leukämischer Transformation» beobachtet wurden, und zwar bei Patienten mit einem oder mehreren prädisponierenden Risikofaktor.

Und weiter: «Dieses Signal rechtfertigt eine fortgesetzte Überwachung und zusätzliche Nachbeobachtung.»

Mit anderen Worten: Für einen Zulassungsantrag an die FDA sind in der Tat Nachbesserungen vonnöten. Auf die Frage, ob der Antrag weiterhin für das zweite Halbjahr 2024 geplant sei, antwortet Novartis wenigsagend, dass man sich nun auf die Auswertung des gesamten Datenmaterials und die Weiterführung des Pelabresib-Programms konzentriere. Die Frage, ob man nach wie vor überzeugt sei, dass Pelabresib die FDA-Zulassung erhalten werde, wurde unbeantwortet gelassen.

Für mich klingt das nach Sand im Getriebe. Das Unternehmen scheint noch einige Stolpersteine überwinden zu müssen, damit die MorphoSys-Übernahme zum Erfolg wird. Gewiss, das Pelabresib-Programm wird nicht über das Schicksal von Novartis entscheiden, dafür ist die Investitionssumme von 2,7 Mrd. € zu wenig bedeutend. Zudem stehen Novartis weitere Optionen mit MorphoSys und Pelabresib offen, sollte die FDA-Zulassung vorerst scheitern. Der Konzern kann mit den klinischen Daten weiterarbeiten, zusätzliche Studien durchführen und weitere Indikationen anvisieren.

Weitere Probleme mit dem Wirkstoff würden jedoch kein gutes Licht auf die Übernahmepolitik von Novartis werfen. Fragen würden aufkommen, was sich Novartis bei der Übernahme von MorphoSys gedacht hat. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, was das Management am 18. Juli bei der Präsentation der Zahlen für das zweite Quartal zu diesem Thema sagt – oder eben nicht sagt.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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