Philip Frowein
Albin Kurti macht Wahlkampf in Zürich. Vor 3000 kosovarischen Landsleuten zelebriert er seine Erfolge und sich selbst.
Donnerstagabend in der Halle 622 in Zürich Oerlikon: Der schwarze Doppeladler auf rotem Grund ist omnipräsent. Das albanische Nationalsymbol prangt auf Schals, T-Shirts und Fähnchen. Sogar der Saal ist rot-schwarz beleuchtet.
Der Star des Abends ist Albin Kurti, der Ministerpräsident von Kosovo. Es ist Wahlkampf. Am 9. Februar wählt das Land ein neues Parlament. Kurti will in Zürich die kosovarische Diaspora für seine Partei mobilisieren. Doch die Staatsflagge Kosovos – blauer Grund, goldener Umriss des Landes, sechs weisse Sterne darüber – hat gegenüber dem Doppeladler einen schweren Stand. Eine steht auf der Bühne, eine zweite wird im Publikum geschwenkt, angenäht an die albanische Fahne.
Bei den Wahlen spielt die kosovarische Diaspora eine wichtige Rolle. In der Schweiz leben rund 250 000 Menschen mit kosovarischen Wurzeln. Kosovo selbst hat 1,8 Millionen Einwohner. Politiker aller drei grossen kosovarischen Parteien werben eifrig um die Stimmen im Ausland.
Ragip Xhaka, der Vater der beiden Fussballer Granit und Taulant Xhaka, tritt für die oppositionelle Demokratische Partei Kosovos (PDK) an. Auch die LDK tourt durch die Schweiz, die Partei des ersten Präsidenten des Landes, Ibrahim Rugova.
Doch keiner mobilisiert die Diaspora so stark wie Albin Kurti, Chef der linksnationalistischen Partei Vetevendosje (Selbstbestimmung). Die stärkste Partei Kosovos zelebriert den albanischen Nationalismus. In der Halle in Oerlikon dröhnen albanische Folk-Lieder aus den Lautsprechern. Zu Beginn des Anlasses wird die Nationalhymne Albaniens abgespielt – nicht jene Kosovos. Kinder und Jugendliche in traditionellen Trachten führen Volkstänze auf.
Die SP macht sich stark für ihre Schwesterpartei
Zwischen den Tänzen hat auch der SP-Co-Präsident Cédric Wermuth einen Auftritt. Die SP und Vetevendosje bezeichnen sich als «Schwesterparteien». Die Sozialdemokraten haben den Anlass mitorganisiert.
In seiner Rede spricht Wermuth gemeinsame Anliegen der beiden Parteien an: Beide wollten faire Mindestlöhne für Arbeiterinnen und Arbeiter. Beide setzten sich für die Gleichstellung von Frauen ein. Wermuth ruft die Schweizer Kosovaren dazu auf, Kurtis Partei zu wählen. Das Publikum applaudiert.
Die SP erhofft sich eine Win-win-Situation: In Kosovo wählen die Schweiz-Kosovaren Vetevendosje, in der Schweiz die SP. Doch diese Rechnung scheint nicht ganz aufzugehen. Im Publikum gibt es auch Sympathien für die Mitte, für die FDP und sogar für die SVP, wie Gespräche mit mehreren Zuschauern zeigen.
Kurtis Anhängerschaft ist divers. Neben Menschen, die in Kosovo stimmberechtigt sind, nehmen am Anlass in Oerlikon auch weitere Mitglieder der kosovarischen und der übrigen albanischen Diaspora teil. Es sind überwiegend Männer: junge Leute, die nur den Schweizer Pass besitzen und am 9. Februar gar nicht wählen können. Zwei ehemalige Gastarbeiter um die 60, die auf dem Bau tätig waren und nur gebrochen Deutsch sprechen. Ein adrett gekleideter Geschäftsmann mit Wurzeln in Nordmazedonien, der perfekt Schweizerdeutsch spricht.
Auch er ist nicht wahlberechtigt. Er sei hier, weil er Kurti unterstütze, wie er sagt. Dieser sei der erste (kosovo-)albanische Politiker, der sich für einen funktionierenden Rechtsstaat einsetze.
Der Andrang in Oerlikon ist gross. Rasch ist die Halle gefüllt. Mehr als 3000 Menschen sind angereist, aus allen Ecken der Schweiz und sogar aus Deutschland. Für manche reichte der Platz nicht aus, teilt der Veranstalter mit. Jene, die es in die Halle geschafft haben, müssen sich drei Stunden gedulden, bis ihr Held die Bühne betritt.
Kurtis Anhängerschaft ist divers. Neben Menschen, die in Kosovo stimmberechtigt sind, nehmen am Anlass in Oerlikon auch weitere Mitglieder der kosovarischen und der übrigen albanischen Diaspora teil.
Und dann erscheint er. Die Menge jubelt, pfeift laut und skandiert seinen Namen: «Al-bin Kur-ti, Al-bin Kur-ti!», dröhnt es durch die Halle. Die Menschen feiern ihn, sie feiern «Albin Babë» («Papa Albin»). Es ist ein Heimspiel für den kosovarischen Regierungschef. Die meisten der Anwesenden haben Kurtis Partei ihre Stimme bereits gegeben oder werden dies bis zum 9. Februar noch tun.
In seiner Rede macht Kurti keine grossen Wahlversprechen. Vielmehr listet er Errungenschaften der letzten vier Jahre auf: Wachstum des BIP, Verringerung der Staatsschulden, neue Strassen und Autobahnen.
Die Menge jubelt, als Kurti ihr den Kragen seines Hemds entgegenstreckt und mit einem Lächeln sagt: «Vor zehn Jahren stellte Kosovo nicht einmal Kleider her, jetzt stehe ich in einem Hemd aus Kosovo hier.»
Plötzlich skandiert die Menge: «U-C-K! U-C-K! U-C-K!»
Als Albin Kurti die Situation im Norden Kosovos anspricht, bricht der lauteste Jubel aus. Kurti erzählt, dass er kriminelle serbische Banden aus den vier mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden vertrieben habe. Fünfundzwanzig Jahre nach dem Ende des Kosovo-Krieges herrschten dort endlich Recht und Ordnung.
Ein älterer Mann dreht sich um und sagt mit feuchten Augenwinkeln: «So ein Mann wird nur alle 100 Jahre geboren.» Dann schaut er wieder nach vorne und ruft mit heiserer Stimme: «Albin Babë!»
Dann spricht Kurti über die Verteidigungsausgaben, die er seit seinem Erdrutschsieg 2021 verdoppelt hat. Nicht weil das seine erste Priorität sei: «Ich würde dieses Geld lieber in Bildung, Kultur oder Innovation investieren, aber wir haben halt einen schlechten Nachbarn.»
Auf einmal skandieren seine Anhänger: «U-C-K! U-C-K! U-C-K!» Es ist die Abkürzung der selbsternannten «Befreiungsarmee Kosovos», die im Kosovo-Krieg als Guerilla-Truppe gegen serbische Truppen gekämpft hatte.
Warum unterstützen die Anwesenden Kurti?
«Er hat die Korruption verringert», sagt ein Anhänger Kurtis aus Olten. «Wer in Konflikt mit dem Gesetz kommt, kann nicht einfach mehr einen 10-Euro-Schein hinhalten, damit der Polizist wegschaut.»
Vorfreude auf die Party in Pristina
Dasselbe erzählen zwei Brüder aus der Ostschweiz, die beide als Unternehmer in der Schweiz und in Kosovo tätig sind: «Wenn man ein Geschäft gründen will in Kosovo, verlangt niemand mehr Bestechungsgeld, damit bürokratische Abläufe schneller gehen. Alle werden gleich behandelt.»
Kurti hat auch viele Frauen für sich gewonnen. Eine 29-jährige Deutsche mit kosovarischen Wurzeln sagt: «Er hat Frauen in die Arbeitswelt integriert. Und er hat dafür gesorgt, dass sie die gleichen Rechte haben, dass häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe strikter verfolgt werden.»
Sie kann zwar nicht an den Wahlen teilnehmen, weil sie nur den deutschen Pass hat. Trotzdem werde sie am 9. Februar nach Kosovo fliegen. Wie fast alle Anwesenden rechnet die junge Frau mit einem erneuten, haushohen Sieg Kurtis. Er werde 65 Prozent der Stimmen erhalten. Bei dieser Aussicht will sie sich die Party in Pristina auf keinen Fall entgehen lassen.