Dienstag, August 19

Gipfeltreffen russischer Exilanten: Der Regisseur Kirill Serebrennikow hat an den Salzburger Festspielen Wladimir Sorokins Roman «Der Schneesturm» auf die Theaterbühne gebracht. Die Inszenierung soll nicht als politische Parabel verstanden werden.

Kafkas «Landarzt» beginnt ähnlich. Ein Doktor soll in «starkem Schneegestöber» zu einem Patienten eilen, der viele Meilen entfernt lebt. Doch es gibt kein Pferd, das sich anspannen lässt; ein Knecht muss in der Nacht einspringen. Vielleicht hat sich Wladimir Sorokin inspirieren lassen von dieser Geschichte, als er Jahrzehnte später seinen «Schneesturm» schrieb.

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Der Arzt Dr. Garin muss dringend in eine ferne Stadt, um Seuchenkranken das heilende Vakzin zu bringen. Auch hier wirft der Transport Probleme auf, doch dann erklärt sich der missmutige Kutscher Perkhusha bereit, sein Schneemobil mit fünfzig winzigen Pferdchen auf den Weg zu bringen durch einen Schneesturm, wie ihn selbst Russland nicht alle Tage erlebt. Wie bei Kafka erweist sich diese Mission bei Sorokin als letztlich nutzlos.

Im «Landarzt» heisst es am Schluss: «Es ist niemals gutzumachen.» Diesen Satz würde auch Dr. Garin unterschreiben, nach seiner Odyssee durch ein weisses Niemandsland, bei der ihm sein Auftrag verlorengeht, weil er der Lust und dem Tode zu nah kommt.

Ein aussichtsloser Kampf

In der Dramatisierung des Romans, die der russische Starregisseur Kirill Serebrennikow jetzt bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne der Perner-Insel brachte, ist es der grossartige deutsche Schauspieler August Diehl, der an seinem Auftrag scheitert. Und es ist die melancholische Tragik des Kutschers, der lustlos auf das Glück und die Vorsehung vertraut: Der russische Schauspieler Filipp Awdejew, der seinen deutschen Text auswendig lernte, ohne Deutsch zu können, ist in dieser Inszenierung um Hybris und Gottvertrauen eine so unglaublich scheinende Figur, dass einem das Mitleid kratzig im Hals stecken bleibt.

Diehl und Awdejew zelebrieren Sorokins Text zwischen liebevollem Gesäusel und furchtbarer Angst, zwischen Lebensübermut und dem aussichtslosen Kampf mit der Natur. Garin treibt Perkuscha wild und blind an, führt ihn in Abgründe, aus denen dieser mit Langmut und Fleiss wieder herausfindet. Bis er am Ende aber zum Opfer wird – ja: geopfert wird. Kafkas Satz von der Unmöglichkeit der Wiedergutmachung lautet bei ihm viel banaler: «Was ist das für eine Eselei?» Erfrieren in der Mitte von nichts.

Wie ist ein Roman, der auf 200 Seiten in dichtestem Schneegestöber spielt und ausser Verzweiflung nur wenig Handlung bringt, überhaupt auf eine Bühne zu bringen? Draussen in Salzburg 30 Grad und drinnen in der Halle eine schwül-stehende Luft. Ein paar Meter vor dem Publikum aber die perfekte Illusion: Diehl und Awdejew stiefeln in dicken Pelzen und Mützen bis über die Ohren daher. Ununterbrochen fallen dichte Flocken aus der Höhe oder wird stürmender Schnee auf Leinwände projiziert. Man kann der weissen Pracht nicht entfliehen.

Diese wird auch anmutig personifiziert. Schneesturm (metel) ist im Russischen weiblich, also lässt Serebrennikow ihn/sie in den verschiedensten Verkleidungen als ein lockendes Wesen auftreten, das in seinen blendenden Phantasiekleidern engelhaft durch die Szenen geistert. Eine harmlose Erscheinung, die Vertrauen erwecken will, um die beiden Verirrten auf ihre Seite zu bringen. Und in jeder Situation taucht ein Ensemble aus Spielern, Tänzern, Musikern und Sängerinnen besänftigend auf, um die Geschichte zu verändern, noch zum Guten zu wenden, dem Schrecken der Kälte und der Finsternis ein lichtes, glitzerndes Glänzen entgegenzusetzen.

Bebilderung der Grausamkeit

Die surrealen Elemente, die sich durch das Buch ziehen, sind in der Lektüre schöner und gruseliger als im Theater. Die toten Kranken wühlen sich zwar auch auf der Bühne als Zombies aus der Erde. Der Ausstatter Wlad Ogay lässt am Rand überdies ein Schneeband ausrollen, auf dem die Figuren als Stabpüppchen auftauchen und auf die grosse Leinwand übertragen werden. Aber Sorokins verrücktes Spiel mit Drogenvisionen, mit geschrumpften Tieren und Menschen und mit Riesen, in deren Nase sich die Kufe des Schlittens verhakt, wirkt dabei nur wie eine etwas einfallslose Bebilderung des Hanebüchenen, Erzkomischen, Grausamen.

Bisweilen übertreibt der Bilderstürmer Serebrennikow auch heftig. Dem Abrutschen in eine kitschige Frau-Holle-Atmosphäre setzt er harmlosen Klamauk und säuselnde Poesie entgegen, die ins heiter Kakofonische kippen darf. Putzige Elfenwesen bevölkern da eher die eigentliche Hölle, in der sich die beiden Reisenden abrackern, während um sie herum mit schwebender Leichtigkeit ein absurdes Winterwunderland inszeniert wird.

Die Idee des im Exil lebenden russischen Regisseurs: Weder Arzt noch Kutscher lassen sich in ihrem Unheil verführen, die Schönheit rauscht an ihnen vorbei. Sie kämpfen verbissen wie Ausserirdische (tatsächlich tragen sie Raumfahrerhelme aus Glas) ums Überleben, während zum Greifen nah die Rettung läge.

Keine Aktualität

Nein, das ist nicht als aktuelle politische Parabel gedacht. Kirill Serebrennikow hatte bereits im Vorfeld verkündet, dass er gar nicht daran denke, auf die gerade aus den Fugen geratene Weltgeschichte Bezug zu nehmen, auch wenn sich fast zeitgleich zur Aufführung in Salzburg in Alaska Putin und Trump trafen.

«Die Kunst ist nicht da, um die Brutalität der Realität zu produzieren», sagt er im Interview im Programmheft. «Ihr Sinn liegt darin, ihr etwas entgegenzusetzen.» Es gehe nicht darum, Hoffnung zu geben. Und auch der Autor Wladimir Sorokin war so zufrieden. Beim frenetischen Schlussapplaus auf der Perner-Insel kam er auf die Bühne und liess sich mit Regisseur und Ensemble feiern – für einen phantastischen Trip in eine eiskalte Kunstwelt.

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