Samstag, September 28

Christopher Mason erforscht für die Nasa die Gesundheit von Astronauten. Er erklärt, was den Weltraum so gefährlich macht, und warum es eines Tages sogar Mammuts auf dem Mars geben könnte.

Herr Mason, Sie untersuchen die Gesundheit von Astronauten. Was passiert im Weltraum mit dem menschlichen Körper?

In der Schwerelosigkeit steigt sofort mehr Blut aus den Beinen in den Kopf, wir sagen: Man bekommt Hühnerbeine und ein aufgepufftes Gesicht. Das Immunsystem reagiert plötzlich, obwohl gar nichts den Körper angreift. Und viele Stresshormone steigen stark an. Bei den meisten Astronauten kehren die Blutwerte nach ein paar Wochen im All aber wieder zum Normalwert zurück.

Ist ein Aufenthalt im Weltraum gefährlich?

Im Weltraum bekommt man viel mehr Strahlung ab als auf der Erde. Die Strahlungsdosis auf der ISS ist vergleichbar mit drei oder vier Röntgenaufnahmen pro Tag. Das kann die DNA beschädigen. Wir untersuchen bei den Astronauten unter anderem, ob sie mehr gefährliche Mutationen erleiden, die Krebs auslösen könnten.

Zur Person

PSSCRA

Christopher Mason – Professor für Physiologie und Biophysik

Sie haben im Rahmen einer Studie der Nasa den Astronauten Scott Kelly und seinen Zwilling genau untersucht. Kelly war ein Jahr auf der ISS, sein Bruder auf der Erde. Hat Kelly jetzt ein höheres Krebsrisiko?

Wir begleiten Kelly seit seinem ISS-Aufenthalt vor neun Jahren und untersuchen immer wieder sein Blut. Bis jetzt sieht es so aus, als sei sein Genom sehr stabil, und wir haben nicht mehr neue Mutationen gefunden als bei seinem Bruder. Das sind also gute Neuigkeiten. Aber Kelly war nur auf der ISS. Da ist man noch innerhalb des Magnetfelds der Erde, das viel Strahlung abfängt. Bei längeren Missionen weiter weg von der Erde werden die Risiken deutlich grösser.

Die Nasa plant in den nächsten Jahren längere Mondmissionen und will in den 2030er Jahren sogar Menschen zum Mars schicken. Welche Massnahmen sind geplant, um die Astronauten zu schützen?

Bei den kommenden Artemis-Missionen ab 2026 sollen Astronauten 30 Tage lang am Südpol des Mondes bleiben. Das ist deutlich länger als während der Apollo-Missionen, bei denen die Astronauten fünf bis sechs Tage lang auf dem Mond waren. Wir werden deshalb bei den Artemis-Astronauten die Strahlungsmengen ganz genau überwachen und ihr Genom auf Veränderungen und krebsauslösende Mutationen untersuchen. Richtig schwierig wird es, wenn wir über Missionen zum Mars sprechen. Da ist Strahlung eine unserer grössten Sorgen.

In Ihrem Buch «Die nächsten 500 Jahre» sprechen Sie davon, dass eines Tages Astronauten durch gezielte Genveränderungen vor den Risiken der Raumfahrt geschützt werden.

Genau. In dem Buch entwerfe ich einen Plan, wie Menschen langfristig ausserhalb der Erde überleben könnten. Ich denke, dazu werden wir eines Tages dramatische Eingriffe auf der genetischen Ebene in Betracht ziehen müssen.

Welche genetischen Veränderungen braucht der Astronaut der Zukunft?

Es gibt zum Beispiel Gene, die vor DNA-Schäden schützen. Eines davon hat man in Bärtierchen gefunden. Bärtierchen sind weniger als einen Millimeter gross und sind dafür bekannt, extreme Bedingungen zu überleben – zum Beispiel sehr starke Strahlung. Im Experiment in einer Zellkultur haben wir dieses Bärtierchen-Gen in menschliche Zellen eingebaut. Wir haben festgestellt, dass die Zellen danach von starker Röntgenbestrahlung 80 Prozent weniger DNA-Schäden davongetragen haben.

Gibt es weitere Tiere, von denen wir uns Gene abschauen könnten?

Ein anderes spannendes Phänomen gibt es bei Elefanten. Sie bekommen viel seltener Krebs als Menschen. Einer der Gründe könnte das Gen TP35 sein. Es sorgt dafür, dass Zellen, die gefährliche Mutationen in ihrer DNA tragen, von selbst sterben, bevor sie Krebs auslösen können. Ein Mensch hat zwei Kopien dieses Gens in seiner DNA, ein Elefant hat zwanzig. Womöglich wäre es eine gute Idee, künftigen Astronauten mehr Kopien von TP35 mitzugeben.

Gibt es über Strahlenschutz hinaus noch sinnvolle Genveränderungen?

Eine spannende Idee ist auch, alte Gene zu reaktivieren, die noch in unserem Genom schlummern. Menschen besitzen zum Beispiel ein deaktiviertes Pseudogen, das die Herstellung von Vitamin C ermöglicht. Würde man das wieder aktivieren, könnten wir selbst Vitamin C herstellen und müssten es nicht immer über die Nahrung zu uns nehmen. Das könnte bei langen Raumflügen sehr nützlich sein. Wir haben gerade eine ganze Liste von Genveränderungen veröffentlicht, die irgendwann für die Raumfahrt sinnvoll sein könnten.

Ist es ethisch vertretbar, ins Genom einzugreifen?

Es gibt Fälle, da ist Gentechnik die einzige ethische Wahl. Wenn wir Menschen an sehr gefährliche Orte schicken, können wir doch nicht sagen: «Da könntest du zu Tode gestrahlt werden, und wir hätten dich retten können. Aber wir haben uns dagegen entschieden.» Das setzt natürlich voraus, dass die Technik sicher und gut untersucht ist, und da sind wir noch nicht. Aber ich denke, wir sind nicht mehr weit entfernt, vielleicht wird das in zehn oder zwanzig Jahren möglich sein. Für Menschen, die jetzt fünfzehn oder zwanzig Jahre alt sind, könnte das irgendwann eine Option sein.

Sie sprechen also von Genveränderungen bei erwachsenen Menschen?

Genau. Ich denke, am sichersten sind solche sogenannten somatischen Modifikationen. Dabei werden bei erwachsenen Menschen nur bestimmte Zellarten genetisch verändert. Die Zellen der Keimbahn, also die Spermien und Eizellen, lässt man aussen vor. Dadurch sind solche Genveränderungen nicht erblich.

Und das funktioniert?

Noch gibt es Probleme dabei, gezielt einzelne Zelltypen anzusteuern. Aber ich glaube, dass die Entwicklung schnell voranschreiten wird.

Was sagt die Nasa zu Ihren Ideen?

Bis jetzt hat die Nasa einen sehr konservativen Ansatz. Sie verändert noch keine Astronauten genetisch und wird das wahrscheinlich auch in den nächsten Dekaden nicht machen. Bei den Forschern der Nasa treffe ich auf ganz unterschiedliche Reaktionen, manche sind richtig begeistert, andere sind komplett entsetzt.

Sie machen sich viele Gedanken darum, wie man Menschen an fremde Welten wie den Mond, den Mars und andere Planeten anpassen könnte. Sollten wir nicht besser versuchen, die fremden Welten an die Menschen anzupassen?

Ich denke, wir sollten beides tun. Aber die Umweltbedingungen eines Planeten zu verändern, wird wahrscheinlich Tausende oder Zehntausende von Jahren dauern. Genveränderungen werden in der viel näheren Zukunft möglich sein. Aber wir denken auch nicht nur über Veränderungen menschlicher DNA nach. Wir haben gerade von der Nasa Forschungsgelder bekommen, um Mikroben gentechnisch so zu verändern, dass sie Pflanzen helfen können, im Mondgestein zu wachsen. Letztlich werden wir fast jede Facette des Ökosystems verändern müssen, um auf dem Mond zu leben. Da stehen wir vor technischen Herausforderungen auf ganz vielen Ebenen, von den Materialwissenschaften bis zur Biologie und Genetik.

Die Prämisse Ihres Plans ist, dass die Menschheit die Erde irgendwann verlassen muss, um zu überleben. Warum das?

In etwa 5 Milliarden Jahren wird unsere Sonne zu einem Weissen Zwerg. Und schon viel früher, in ungefähr 100 Millionen Jahren, wird sie beginnen, heller zu werden. Dann wird es auf der Erde langsam ungemütlich heiss. Früher oder später wird alles Leben auf der Erde komplett grilliert. Wir müssen es also schaffen, vorher andere Planeten zu besiedeln. Daran denke ich fast jeden Morgen.

Die Menschheit ist erst eine halbe Million Jahre alt. 100 Millionen Jahre scheinen da sehr lang. Und Sie entwerfen einen Überlebensplan für die nächsten 500 Jahre. Ist das nicht ein bisschen überstürzt?

Vielleicht hätte ich das Buch auch den «100-Millionen-Jahre-Plan» nennen sollen. Aber 500 Jahre sind ein überblickbarer Zeitraum, in dem wir sehr viel konkreten Fortschritt machen können. Und wir wissen nicht, wie viel Zeit uns bleibt. Wir könnten schon viel früher von einem Asteroiden getroffen werden, von einer Pandemie oder einem Umweltkollaps ausgelöscht werden. Es wäre doch besser, wir wären schon auf dem Weg zu anderen Planeten, wenn eine unvorhergesehene Katastrophe eintritt.

Sie erwähnen den Umweltkollaps. Im Moment scheint die Menschheit grosse Probleme zu haben, das Leben auf der Erde zu bewahren. Was macht Sie so optimistisch, dass wir das viel schwierigere Projekt, auf anderen Planeten zu leben, schaffen können?

Die Menschheit ist heute besser dran als jemals in ihrer Geschichte, was Dinge wie Kindersterblichkeit, Nahrungsversorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung angeht. Zwar gibt es immer noch viele Probleme zu lösen, aber als Spezies machen wir grosse Fortschritte. Und wir haben beim Ozonloch gezeigt, dass wir globale Bedrohungen gemeinsam abwenden können. Ausserdem ist es doch nicht sinnvoll, sich in eine Ecke zu setzen und zu verzweifeln. Ich will lieber versuchen, etwas Hilfreiches zu tun.

Sie schreiben, die Menschheit habe eine Verantwortung, alles vergangene, heutige und zukünftige Leben zu retten.

Ich finde, das Leben hat einen inhärenten Wert. Es kreiert so viele komplexe und wunderschöne Dinge. Und soweit wir wissen, ist das Leben einzigartig im Universum. Wir Menschen sind die einzige Spezies, die sich dessen bewusst ist und um die Gefahr des Aussterbens weiss. Das gibt uns die Verantwortung, das Leben zu erhalten.

Sie wollen auch ausgestorbene Tierarten retten. Müssen wir dazu irgendwann Mammuts auf den Mars bringen?

Irgendwann vielleicht schon. Sie müssten wahrscheinlich kleiner sein, damit sie dort überleben könnten – Minimammuts auf dem Mars. Das wäre dann der Gipfel der Technik, der ultimative Test, wie gut wir Biologie verstanden haben. Bis wir so weit sind, wird es aber noch eine Weile dauern.

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