Nach fast 300 Spielen hat der Tessiner Zürich Anfang Jahr Knall auf Fall den Rücken gekehrt. Der Kleinklub Yverdon profitiert von Mitteln aus den USA – und von Unwägbarkeiten in Zürich.
Auf der Geschäftsstelle des FC Yverdon-Sports grüssen frühere Heroen des Weltfussballs. An den Wänden sind Bilder von Michel Platini, Johan Cruyff, Pelé, Diego Maradona und Roger Milla zu sehen. «Vielleicht ändern wir das», scherzt ein Angestellter des Klubs, «warum nicht Antonio Marchesano?»
Der 34-jährige Tessiner entscheidet sich Anfang 2025 urplötzlich für einen Klubwechsel, von Zürich in die Beschaulichkeit von Yverdon-les-Bains am Neuenburgersee. Weg vom FC Zürich mit dem Präsidentenpaar Canepa, hin zum FC Yverdon-Sport und seiner amerikanischen Führung, zum Kleinklub, der den geringsten Zuschauerschnitt (2600) der Liga hat.
«Mein Plan war nicht, den FC Zürich zu verlassen – nicht in meinem Alter und nicht nach so vielen Jahren», sagt Marchesano. Er stieg mit dem FCZ 2017 in die Super League auf, wurde 2018 Cupsieger und war 2022 mit 13 Toren ein Pfeiler des Meisterteams. Doch da summierte sich zuletzt zu viel: Unsicherheit über die Zukunft, personelle Schleuder im FC Zürich, dessen Klima von den einen als «dynamisch» und von den anderen als «zerstörerisch» bezeichnet wird.
Dazu gesellt sich der finanzielle Aspekt, obschon man das im Vergleich zwischen Zürich und Yverdon fast nicht glauben kann.
Marchesano sagt, was «für den Kopf nicht gut ist»
Marchesano hatte im Mai 2024 seinen Vertrag in Zürich voller Freude bis 2025 verlängert. Wenn er in der Saison 2024/25 eine gewisse Anzahl Spiele summiert hätte, hätte sich der Kontrakt bis 2026 verlängert. «Davon rate ich jungen Spielern ab, weil das nicht gesund ist», sagt Marchesano, «du weisst nie, warum du spielst – oder warum du nicht spielst. Wollen sie nicht verlängern? Bin ich nicht mehr gut genug? Entscheidet der Trainer? Oder jemand anders? Da kommst du in eine Spirale, die für den Kopf nicht gut ist.»
Für Zweifel reicht eine späte Einwechslung. Oder eine Nichtberücksichtigung. So erging es Marchesano Anfang des Jahres. Nun mag er sich nicht weiter dazu äussern. Aber solche Sätze kann man dahingehend deuten, dass im FC Zürich Vermutungen zu Gewissheiten werden, zumal sich der Sportchef Milos Malenovic oft in der Spielerkabine aufhält. Ein chronischer Verdacht lautet, dass der Trainer Ricardo Moniz nicht allein über die Mannschaftsaufstellung befindet.
Malenovic lotste 2016 als Spieleragent Marchesano nach Zürich. Das betonte der Sportchef Anfang Februar an einer Medienkonferenz, nach dem überstürzten Abgang des Spielers. Und: Das sei ein rein ökonomischer Entscheid des Spielers gewesen. Im Eco-Talk des Schweizer Fernsehens doppelt der Klubpräsident Ancillo Canepa zur gleichen Zeit nach. Yverdon habe den Lohn Marchesanos im Vergleich zum FCZ «verdoppelt». Verdoppelt? Vielleicht in Bezug auf die absehbare Höhe des FCZ-Lohnes zum Ausklang der Karriere.
Dazu mag sich Marchesano nicht äussern. Er sagt nur: «Diese Aussage war unnötig.» Doch er verhehlt nicht, dass die ökonomische Seite «ein Teil der Veränderung» war.
Der Chef fliegt zwischen Yverdon und New York hin und her
Videogespräch mit dem in New York weilenden Jeffrey Saunders. 2023 haben Amerikaner den FC Yverdon-Sport übernommen. Saunders ist der Klubpräsident, der Abgesandte des Mehrheitsaktionärs Jamie Welch. Saunders pendelt zwischen New York und Yverdon. Er sagt: «Ich gehe nicht davon aus, dass wir den Lohn verdoppelt haben. Aber ich kenne die Zürcher Salär-Struktur nicht.» Aber klar ist, dass sich die Amerikaner nicht zurückgehalten haben. Sie wollten Erfahrung, Leadership. Oder in den Worten von Saunders: «Wir wollten für unser junges Team das Profil Marchesano.»
Nach anfänglichen Schwierigkeiten und deftigen Niederlagen in Bern gegen YB (1:6) und in Lausanne (1:4) hat sich das Team 2025 mit dem neuen Trainer Paolo Tramezzani und mit Marchesano gefangen. Zuletzt wurde es in Bern nach einer vorzüglichen Performance mit einem 1:1-Remis schlecht belohnt. Nicht nur vor der 1:0-Führung von Yverdon spielte Marchesano einen entscheidenden Pass.
Deshalb erhält er einen Lohn, der in Yverdon ohne US-Hilfe undenkbar wäre. Es kann sein, dass Marchesano, der auch in Zürich nicht darben musste, einen monatlichen Grundlohn (ohne Prämien) von bis zu 30 000 Schweizerfranken bezieht. Das ist enorm für Yverdon. Zudem hat er Vertrags-Sicherheit bis 2026. Plus Option auf eine Verlängerung.
In Yverdon wird ein Millionenloch gestopft
Der Klubchef Saunders kommentiert keine Zahlen und sagt nur so viel: Die Klub generiere Einnahmen im einstelligen Millionenbereich, habe aber Ausgaben in zweistelliger Höhe. Die Amerikaner, die sich laut Saunders nicht der Wohltätigkeit verschrieben haben, schütten kurzerhand ein Millionenloch zu.
Darüber hinaus haben sie Millionen für das der Gemeinde gehörende Stadion bereitgestellt – für die Gegentribüne, für die Beleuchtung, für den Grossbildschirm.
𝑺𝒐𝒓𝒕𝒆𝒛 𝒍𝒆𝒔 𝒑𝒐𝒑𝒄𝒐𝒓𝒏𝒔 ; 𝑨𝒏𝒕𝒐𝒏𝒊𝒐 𝑴𝒂𝒓𝒄𝒉𝒆𝒔𝒂𝒏𝒐 𝒅𝒆́𝒃𝒂𝒓𝒒𝒖𝒆 𝒂𝒖 𝑴𝒖𝒏𝒊 💥💚
Une légende du FCZ. Un nom qui détonne. Antonio Marchesano, 404 matchs en SFL, est un joueur d’Yverdon Sport 🥹#AllezYS pic.twitter.com/z7Kgdl2Bf3
— Yverdon Sport (@yverdonsport) January 30, 2025
Marchesano ist in einem Klub untergekommen, der auf Transfers setzt. Die Entwicklung von jungen Spielern sei «die erste Triebfeder unseres Business, unseres Brands», sagt Jeffrey Saunders. Da Yverdon wenig Publikum hat und kaum demnächst Europacup spielen wird, bleiben zwei Einnahmen-Optionen: Mäzenatentum und Transfererlöse. In dieser Saison wurde Kevin Carlos für 3,5 Millionen Schweizerfranken nach Basel transferiert. Das ist innerhalb der Super League eine beachtliche Summe. «Diesen Weg wollen wir weitergehen», sagt Saunders, «auch ein kleinerer Klub wie Yverdon bringt so etwas hin».
Paolo Tramezzani ist der bereits dritte Trainer
Die Amerikaner führen in New York eine Fussball-Akademie mit 500 Jungen in Ausbildung. Die Crew kommt vom Fach, auch wenn die USA nicht mit der Schweiz zu vergleichen sind. In Yverdon setzen sie in der technischen Führung auf Italiener, die in der Akademie in New York gearbeitet haben. Nach den Schweizer Trainern Marco Schällibaum (Aufstieg 2023) und Alessandro Mangarratti (2024) ist mit Tramezzani inzwischen auch der Coach Italiener. Er hat wie seine Vorgänger wenig zu sagen zu Personalmutationen.
Das Team, in dem man vergeblich Vaudois und regionale Bindung sucht, hat Talent, aber fast kein Spielername ist geläufig. Dennoch findet Marchesano Gefallen. Im Unterschied zu Zürich führt er weniger Gespräche in der Kabine über Dinge, «über die du dort eigentlich nicht reden möchtest».
Hat er am Ende gelitten in Zürich? Die Zustände haben ihm den Abschied nicht erschwert. «Es gab schwierige Momente. Ich war lange in Zürich und kannte viele Angestellte. Die Veränderungen gaben im Team zu reden. Wir sind Menschen – und nicht dumm.»