Flavio Briatore ist zurück in der Formel 1. Als Teamchef von Alpine führt er sich auf wie immer: Er ersetzt zuerst den Teamchef, dann die Fahrer. Doch was er eigentlich will, ist Macht.

Einen Rennfahrer zwingen, absichtlich gegen die Wand zu fahren: Das hat ausser Flavio Briatore noch niemand gewagt in der Formel 1, jedenfalls nicht wissentlich. Doch in Briatores Biografie ist der Skandal beim Nachtrennen in Singapur 2008 nur einer von vielen Triggerpunkten.

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Zunächst wurde er als Rennbetrüger verurteilt und sollte für immer aus dem Fahrerlager verjagt werden. Doch die Richter knickten ein, die Sperre wurde auf drei Jahre reduziert. Seither hat der Italiener in diesem Punkt als unschuldig zu gelten. Als Persona non grata im Motorsport musste Briatore seine Geschäftstätigkeiten aber verlegen, hin zu Nachtklubs oder Fussballvereinen.

Die Nabelschnur zur Formel 1 blieb immer Fernando Alonso, der älteste Rennfahrer im Feld. Ihn hatte Briatore einst zum Champion gemacht, ähnlich wie zuvor Michael Schumacher.

Im vergangenen Sommer war schon Briatores Comeback als Berater auf höchster Ebene bei der Renault-Sportmarke Alpine eine Sensation. Nun setzt die französische Equipe vor dem Grossen Preis der Emilia-Romagna noch eins drauf: Im zarten Alter von 75 Jahren gibt Briatore nach gut anderthalb Jahrzehnten sein Comeback als Teamchef. Auch wenn laut Verbandsstatuten nur ein Festangestellter, in diesem Fall Renndirektor Dave Greenwood, die offizielle Verantwortung tragen kann.

Jeder soll sehen, dass der alte Briatore wieder da ist

Doch zum Einstand hat Briatore gleich den australischen Piloten Jack Doohan gegen den Argentinier Franco Colapinto ausgetauscht. Der verspricht eine grössere Perspektive und auch mehr Sponsorengeld, ist aber vor allem ein Beweis für die Durchsetzungskraft des alten, neuen Chefs. Jeder soll sehen, dass der alte Briatore wieder da ist, und dass er nichts von seiner für das Renngeschäft so dienlichen Gerissenheit eingebüsst hat. Er ist ein Strippenzieher mit harter Hand.

Der Wechsel aus dem Hintergrund ins Rampenlicht ist kein Problem für den Mann für alle Gelegenheiten. Die Umstände für die Personalrochade sind so schillernd wie seine eigene Biografie, die einst als Landvermesser begann, ihn zum Multimillionär machte und in alle Klatschgazetten führte. Die pikanten Gründe für den Wechsel liegen bei seinem Vorgänger Oliver Oakes. Der 37-jährige Brite war von vielen ohnehin nur als Strohmann gesehen worden, der dem Strategen Briatore das anstrengende Tagesgeschäft abnehmen sollte.

Dass Oakes nach dem Rennen in Miami das Weite suchte und sich angeblich in Dubai aufhält, hat mit dem Formel-2-Team Hitech zu tun. Dieses betreibt er mit seinem zwischenzeitlich verhafteten Bruder William, im Team stecken Gelder des russischen Oligarchen Nikita Mazepin. Die Behörden in England ermitteln wegen «Übertragung kriminellen Eigentums».

Der Skandal hat Briatore wieder an die Schalthebel gebracht. Jetzt zahlt sich aus, dass er sein Netzwerk auch in den Jahren seiner Abwesenheit gepflegt und noch engmaschiger gemacht hat. Der Renault-Geschäftsführer Luca de Meo ist einer dieser Vertrauten. Dessen Not mit dem seit Jahren kriselnden Werksteam ist so gross, dass er den Schleifer zurückgeholt und jetzt befördert hat. Jedenfalls so lange, bis eine adäquate Ergänzung für den Management-Posten gefunden ist – beispielsweise mit dem bei Audi geschassten Andreas Seidl. Doch auch der Deutsche wird wissen, dass es mehr Risiko als Chance ist, in Briatores Schatten zu arbeiten.

Einstweilen kehrt mit Flavio Briatore das Playboy-Image in die Boxengasse zurück. Puristen des Sports verurteilen das, die Serienvermarkter von Liberty Media dürften die Personalie trotzdem nicht komplett verdammen. Denn in einer Welt, in der Teamchefs zu kühlen Rechnern und die meisten Fahrer zu angepassten Chauffeuren geworden sind, deckt ein Abenteurer wie Briatore jene Zielgruppe ab, die mit der Formel 1 das Unkonventionelle verbindet. Darauf dürften sie sich verlassen, denn Flavio Briatore schert sich wenig um das, was er mit heiserer Stimme verbreitet. Er drückt sich nicht, schämt sich nicht, scheut sich nicht.

Dabei scheint es egal, ob es sich um Beziehungen, Fahrer oder Prinzipien handelt.

Nachtschichten mit Minestrone und Cola light

Natürlich geht es um viel mehr als den Showeffekt. Hinter dem Lebemann, der mit Heidi Klum und Naomi Campbell zusammen war und heute mit der 30 Jahre jüngeren Elisabetta Gregoraci verheiratet ist, verbirgt sich ein knallharter Arbeiter. In der Alpine-Rennfabrik spüren sie schon den neuen Führungsstil, den Briatore selbst so charakterisiert: «Normalerweise schauen die Jungs in den Werkstätten nach den Mädels. Aber ich sorge dafür, dass sie nach den Autos gucken.» Eine kräftige Minestrone und Cola light halten ihn während der Nachtschichten am Schreibtisch wach.

In der kurzen Zeit als Berater hatte er mit seiner Radikalität bereits das hoffnungslos in sich selbst gefangene Konzernensemble transformiert. Der hauseigene Motor, der als schwächster der Formel 1 gilt, wird künftig gegen Leihmotoren von Mercedes ausgetauscht. Das muss man einem stolzen Unternehmen wie Renault erst einmal vermitteln. Hartnäckig halten sich auch Gerüchte, dass der brillante Verkäufer Briatore Alpine nur so weit veredeln soll, dass es mit Milliardengewinn an Investoren verkaufen lässt.

Auch auf der Fahrerseite hält sich Briatore für die Zukunft alle Optionen offen. Franco Colapinto muss sich in den nächsten fünf Rennen bewähren, sonst könnte es zu einem weiteren Transfer kommen. Mit dem Chaos hat Briatore Erfahrung. Wo er ist, herrscht Kontroverse.

In Enstone sind wieder Rennwagen von 1995 und 2006 ausgestellt. Es sind die Autos, mit denen der damalige Renault-Rennstall unter Briatore Weltmeister geworden war. Sie sollen als Ansporn dienen. Aber die eigentliche Machtdemonstration ist der Teamchef selbst.

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