Montag, Oktober 7

Die fitten Babyboomer könnten ein Teil der Lösung sein für das Problem der Überalterung der Gesellschaft.

«Will you still need me, will you still feed me / When I’m sixty-four?», sang Paul McCartney im Jahr 1967. Er imaginiert in diesem Beatles-Song seine gealterte Geliebte Pullover strickend und Unkraut jätend, während er selbst die Sicherungen repariert. Ob das Bild des langweiligen Rentnerlebens auf damalige 64-Jährige zutraf, ist nicht bekannt. Heute aber würden sie bestimmt protestieren. Alt ist man heutzutage offenbar erst mit 80.

Alt fühlt man sich erst mit 80

Zumindest ist dies die Selbsteinschätzung, die über 70-Jährige in den Jahren 2018/19 in einer repräsentativen Befragung des Bundesamts für Statistik (BfS) abgegeben haben. 21 Jahre früher hatten die damals 70-Jährigen auf die gleiche Frage noch geantwortet, das Altsein beginne mit 69. Doch heute plant Mick Jagger mit über 80 die nächste Tournee und Roger Schawinski mit 79 ein neues Radio.

Der am Fenster sitzende Rentner mit der strickenden Gattin mag noch in den Köpfen der Jungen herumgeistern. Die Rentner selbst wollen nicht stillsitzen. Sie bereisen die Welt oder bringen sich weiterhin ins gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben ein. Das geht aus einer neuen Publikation hervor, die das BfS mit den Universitäten Bern und Freiburg sowie der Akademie der Geisteswissenschaften herausgegeben hat. Unter dem Titel «Älter werden und Alter in der heutigen Gesellschaft» beleuchtet sie nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen der demografischen Alterung in der Schweiz.

Babyboomer, geboren zwischen 1946 und 1964, fühlen sich mehrheitlich nicht alt. Der Studien-Co-Autor François Höpflinger, selbst seit 2013 emeritiert als Professor an der Universität Zürich, sagt: «Immer mehr ältere Personen denken, sie seien gleich innovativ wie die Jungen.» Ob die Einschätzung stimmt, ist eine andere Frage, aber offenbar sind sie fit und motiviert, sich weiterhin nützlich zu machen.

Der Co-Autor Christian Suter sprach bei der Studienpräsentation von einer «demografischen Dividende», die es zu nutzen gelte. Gemeint ist damit, dass Personen über 65 künftig eine wichtige Rolle spielen könnten bei der Lösung der Probleme, die die Alterung der Gesellschaft mit sich bringt. Einerseits sind sie in der Lage, länger zu arbeiten und die fehlenden Fachkräfte zu ersetzen. Andererseits könnten die noch fitten Rentnerinnen und Rentner einen grösseren Beitrag leisten zur Betreuung von tatsächlich gebrechlichen Alten.

Pensionierte machen viel Freiwilligenarbeit

Schon heute übernehmen Pensionierte viel Freiwilligenarbeit. Etwa jeder sechste ist in Vereinen oder anderen Organisationen aktiv, und knapp 30 Prozent engagieren sich für die Betreuung von Betagten, Kindern oder in der Nachbarschaftshilfe. Die Frage sei, sagte Suter, ob die Institutionen flexibel genug seien, um diese Ressourcen noch besser zu nutzen. Das wäre für beide Seiten vorteilhaft, denn auch die älteren Menschen erleben ihr Engagement als bereichernd.

Im Jahr 2040 wird fast ein Viertel der Schweizer Bevölkerung über 80 Jahre alt sein. Das Modell des Alters- oder Pflegeheims kommt nur schon aufgrund dieser hohen Zahl an seine Grenzen. Zudem hat es seit der Covid-Pandemie an Attraktivität verloren. Es gibt aber in der Schweiz grosse regionale Unterschiede bei der Pflege der Betagten, wie die Studie aufzeigt. Im Gegensatz zur Deutschschweiz haben sich die Westschweizer Kantone und das Tessin schon viel stärker auf die ambulante Pflege ausgerichtet. So ist der Anteil der Personen über 65, die im Alters- oder Pflegeheim wohnen, im Kanton Glarus anderthalbmal höher als im Kanton Genf.

Die Spitex genüge aber nicht, sagte die Gesundheitsökonomin Sonia Pellegrini. Es brauche auch Hilfe aus dem familiären und nachbarschaftlichen Umfeld. Damit das funktioniere, brauche es gute Unterstützungsmodelle.

Altersarmut ist nicht überwunden

Die Studie, für die umfangreiches Datenmaterial zusammengetragen wurde, bestätigt auch, dass die meisten über 65-Jährigen finanziell gut dastehen. Sie sind häufiger als andere Altersgruppen zufrieden mit ihrer finanziellen Lage. 68 Prozent finden es «einfach» oder «sehr einfach», über die Runden zu kommen. Allerdings gibt es weiterhin Altersarmut. Über 15 Prozent haben kaum finanzielle Reserven, und 6,4 Prozent haben Mühe, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Mehr als ein Zehntel ist nicht in der Lage, eine unvorhergesehene Ausgabe von 2500 Franken zu bewältigen.

Von Armut betroffen sind im Alter weiterhin besonders oft Frauen, Alleinstehende, Menschen ohne Schweizer Pass und ohne Berufs- oder Studienabschluss. Gebildete Rentnerinnen und Rentner stehen besser da. Sie sind gesellschaftlich auch stärker eingebunden und bleiben länger gesund.

Paul McCartney hat sich übrigens mit 64 dann doch nicht ans Fenster gesetzt. Gerade läuft der Ticketverkauf für seine «Got Back»-Tour. Er bestreitet sie im Alter von 82 Jahren.

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