Die 27-jährige Ostschweizerin ist zurück auf dem Tennis-Court. Neben Topspielerin ist sie seit einem halben Jahr auch Mutter. Das verschiebt die Prioritäten, dämpft aber ihre Ambitionen nicht.
Ein Jahr ist im professionellen Sport eine kleine Ewigkeit. Gemessen an dieser langen Absenz darf Belinda Bencic mit ihrem Comeback in dieser Woche am ITF-Turnier in Hamburg zufrieden sein. Nach dem Sieg gegen die Russin Julia Awdejewa (WTA 236) verlor die Ostschweizerin tags darauf gegen die Finnin Anastasia Kulikova (296).
Die alte Belinda Bencic hätte sich nach einer Niederlage wie dieser grantig und dünnhäutig gezeigt. Doch diese alte Bencic gibt es nicht mehr.
Seit einem halben Jahr ist sie Mutter von Bella, und mit dieser neuen Aufgabe hat sich auch ihr Blick auf den Sport verändert. Manch ein Beobachter zweifelte nach der Ankündigung ihrer Schwangerschaft im vergangenen Spätherbst daran, ob sie überhaupt noch einmal auf die Tour zurückkehren würde. Zu viele Rückschläge hatte sie trotz dem relativ jungen Alter bereits hinnehmen müssen.
Doch für Bencic selber hat sich diese Frage nie ernsthaft gestellt. Anfang August sagte sie in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag»: «Ich kann heute vieles besser einordnen. Tennis war mein Leben, und der Sport ist mir immer noch wichtig. Doch ich weiss heute auch: Es gibt noch anderes als das Leben auf dem Court.» Sie begegne sie all den Fragen, die mit der Karriere zu tun haben, etwas lockerer und weniger verkrampft.
Der Blickwinkel hat sich verändert
Am Mittwoch nach ihrer Niederlage in Hamburg zeigte sie, dass das mehr als bloss Worte waren. Nüchtern bilanzierte sie: «Meine Gegnerin hat mich mit ihrem Spiel als Linkshänderin geschlagen. Ich konnte mich nur schwer daran gewöhnen und musste heute auch viel mehr laufen.» Ihre Beine seien gegen Ende des Matches schwer geworden, die Spritzigkeit war weg. «Dieses Spiel hat mir gezeigt, woran ich noch arbeiten muss.»
Die Belgierin Yanina Wickmayer begrüsste Belinda Bencic Anfang Woche mit dem Post «welcome to the mom’s club, the best club in the world by far» zurück auf der Tour. Die US-Open-Halbfinalistin von 2009 weiss, wovon sie spricht. Im Mai 2021 wurde sie Mutter einer Tochter. Sie kehrte danach auf die Tennis-Tour zurück, den Anschluss aber schaffte sie nie mehr ganz.
Lange gab es auf der Tennis-Tour vor allem Väter. Der bekannteste von ihnen war Roger Federer, der seine Karriere auch als Vater von zwei Zwilling-Pärchen weiter vorwärtstrieb. Federer pflegte mit einem beträchtlichen Tross zu fliegen, dem neben seinen Trainern und den Physiotherapeuten auch die Nannys für seine vier Kinder angehörten. Federer und auch Novak Djokovic gewannen vor den Augen ihres Nachwuchses mehrere Major-Titel.
Mütter haben es da einiges schwerer. Die bekannteste von ihnen auf der WTA-Tour war bisher die Belgierin Kim Clijsters, die nach der Geburt ihrer ersten Tochter 2011 auf die Tour zurückkehrte, auf Anhieb das Australian Open gewann und später noch einmal die Nummer 1 wurde. Clijsters gab später als dreifache Mutter noch ein weiteres Comeback, das allerdings nicht mehr von Erfolg gekrönt war. Ihr Körper, der schon früh rebelliert hatte, machte die Strapazen nicht mehr mit.
Zu den prominenten Müttern gehören auch Serena Williams oder Naomi Osaka, die noch einmal auf die Tour zurückkehrten. Doch sie konnten nie mehr ganz an ihre vergangenen Erfolge anknüpfen.
Bei Belinda Bencic ist die Messlatte nicht ganz so hoch. Den bisher grössten Titel feierte sie 2021 am olympischen Tennis-Turnier in Tokio. An den Grand Slams war die Halbfinal-Qualifikation am US Open 2019 ihr bisher grösster Erfolg. Dazu kommen sechs Titel an kleineren Turnieren. Ihr Hunger nach Erfolg ist anders als etwa jener von Clijsters oder Williams noch nicht gestillt.
Im Interview mit der «NZZ am Sonntag» sagte Bencic im August, sie habe in ihrer Kindheit und Jugend zu viel in den Sport investiert, um sich mit erst 27 Jahren zurückzuziehen. Der Olympiasieg nehme ihr etwas Druck weg, doch sie wolle irgendwann ein Major-Turnier gewinnen.
Der Billie Jean King Cup und Australien im Visier
Die nächste Gelegenheit dazu winkt Bencic schon im kommenden Januar am Australian Open in Melbourne. Doch um dort wirklich zum Favoritenkreis zu gehören, steht ihr einiges an Arbeit bevor. Nächste Woche tritt sie bei einem kleineren ITF-Turnier in Luxemburg (Esch/Alzette) an.
In zwei Wochen folgt der Billie Jean King Cup mit dem Schweizer Team in Biel gegen Serbien, wo Bencic zusammen mit Viktorija Golubic, Jil Teichmann, Simona Waltert und Céline Naef antreten wird. Vor zwei Jahren haben die Schweizerinnen diesen Wettbewerb erstmals gewonnen. In Biel dabei zu sein, war stets die grosse Motivation von Bencic nach der Geburt ihrer Tochter Bella.
Anfang August sagte sie: «Am schwierigsten wird das ganze Drumherum. Das Packen, das Fliegen, die Reisen, bis man an den Turnieren ist. Wieder weniger zu Hause zu sein. Ich habe mich daran gewöhnt, wie ein normaler Mensch zu leben.»
Bei einem Besuch im «Sportpanorama» des Schweizer Fernsehens sagte Bencic, es sei auch die Aufgabe der etwas besser klassierten Spielerinnen, dafür zu sorgen, dass die Aufgabe für alle Mütter etwas einfacher werde. Nicht alle könnten es sich wie sie leisten, mit einer ganzen Entourage zu fliegen. Bei Bencic sind neben ihrem Partner und Fitnesstrainer Martin Hromkovic auch Bellas beide Grossmütter auf der Tour dabei.